Essen. Kliniken in NRW geraten in Finanznot, erste Häuser sollen geschlossen werden. Fachleute befürchten eine Insolvenzwelle, Patienten wehren sich.
Ein Kind wird geboren, eine Frau wird schwer verletzt eingeliefert, ein Mann muss dringend am Herzen operiert werden: Es sind extreme und oft Notsituationen, in denen sich jedes Jahr Millionen Menschen hilfesuchend an Krankenhäuser wenden. Doch aktuell sind es die Kliniken selbst, die in Not geraten sind: Steigende Kosten und ausbleibende Patienten haben sich offenbar zu einer toxischen Mischung entwickelt, die nach Ansicht von Experten immer mehr Kliniken in die Knie zwingen könnte.
Ein aktuelles Beispiel findet sich im Bergischen Land: Dort kündigt die insolvente Klinikgruppe „Kplus“ an, drei Krankenhäuser zu schließen. Droht Ähnliches im Ruhrgebiet?
Boris Augurzky vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, einer der renommiertesten Gesundheitsexperten des Landes, warnt vor einer Insolvenzwelle im Gesundheitswesen. „Wir werden in den nächsten Wochen erleben, dass die Anzahl der Insolvenzverfahren bei Kliniken steigt“, sagt der Gesundheitsökonom dieser Redaktion. Das gelte auch für Ballungsräume wie das Ruhrgebiet: „Hier gibt es sehr viele Krankenhäuser. Deshalb wird es hier auch vermehrt zu Insolvenzverfahren kommen.“
Klinik-Pleiten in NRW: Patienten bleiben vielfach aus, Fachkräfte fehlen
Alle Kliniken im Land stehen nach Ansicht des Fachmanns derzeit vor den gleichen Problemen: Die starke Inflation und Tarifsteigerungen führten zu höheren Kosten. Zugleich stagnierten die Erlöse. „Bei den Behandlungen sind die Kliniken nicht mehr auf dem Vor-Corona-Niveau“, sagt Augurzky. Im Vergleich zu 2019 sei die Zahl der Behandlungen um 13 Prozent gesunken. Erschwerend kommt der Fachkräftemangel hinzu: Weil Personal fehlt, bleiben Betten leer oder aber teure Leiharbeit muss eingekauft werden.
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In der Folge geraten die ohnehin wirtschaftlich geschwächten Häuser vermehrt in Finanznöte. Ihre Lage sah schon vorher nicht rosig aus: Laut aktuellem Krankenhausreport schrieb bereits 2021 rund jedes dritte Krankenhaus in Deutschland rote Zahlen. Mehr als jedes zehnte Haus war in so einer prekären Lage, dass erhöhte Insolvenzgefahr bestand. Im Jahr zuvor lag der Anteil der insolvenzgefährdeten Krankenhäuser bei sieben Prozent. Fachkliniken und größere Häuser stehen allerdings besser da als kleinere Häuser.
Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft befinden sich in NRW derzeit acht, bundesweit 26 Krankenhäuser mit 34 Standorten in Insolvenzverfahren. 2024 rechnet Augurzky bereits mit bis zu 70 Fällen. „Ich erwarte, dass diese Zahl danach weiter steigen wird, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern.“ Das heiße aber nicht, dass es zu einem Kliniksterben kommen werde. Vielmehr versuchten die Betreiber, ihre Häuser in der Insolvenz zu sanieren.
Im Bergischen Land sollen drei Krankenhäuser schließen
Nicht funktioniert hat das in Solingen: Die Klinikgruppe Kplus hatte bereits im Sommer ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt, um eine akut drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres hatte die Klinikgruppe nach eigenen Angaben fünf Millionen Euro Defizit gemacht.
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In dieser Woche kündigte die Geschäftsführung an, drei ihrer Kliniken schließen zu müssen. Die Chance, Leistungsbereiche zu verlagern, soll das NRW-Gesundheitsministerium nach Darstellung der Klinikgruppe verwehrt haben. Mehr als 1500 Beschäftigte und über 50.000 Patientinnen und Patienten sind betroffen.
Kliniken fordern Hilfen vom Staat
Um solche Szenarien zu verhindern, wirbt Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft, um Hilfe vom Staat. „Wir fordern einen Inflationsausgleich, um die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben wieder zu schließen, da Krankenhäuser ihre Preise nicht erhöhen dürfen“, sagt Gaß dieser Redaktion. Unterstützung in der Branche ist ihm sicher: Mitte September demonstrierten allein in Düsseldorf rund 10.000 Menschen, um auf die Finanznot der Kliniken aufmerksam zu machen.
Im Bergischen Land wollen die Menschen ebenfalls nicht kampflos aufgeben. Über 35.000 Unterschriften haben sie bereits im Internet gesammelt, um die Schließung der Krankenhäuser in und um Solingen zu verhindern. „Wo soll man denn hin, wenn mal ein Notfall eintritt?“, fragt eine der Unterzeichnenden. Und eine Mitarbeiterin fragt erbost, ob das der Dank für ihren Einsatz in der Corona-Pandemie sei. „Vielleicht hilft klatschen.“