Essen. Minuten können über Leben und Tod entscheiden. In NRW kommt der Rettungsdienst häufig zu spät. Ein Johanniter erklärt, warum.

Oft entscheiden Minuten, manchmal auch Sekunden über Leben und Tod. Bis ein Rettungswagen in NRW eintrifft, soll es deshalb nur acht Minuten dauern. In der Praxis sieht das jedoch anders aus: Laut einer Datenabfrage des SWR unter allen Rettungsbereichen in Deutschland, werden in NRW die acht Minuten häufig überschritten. Nur elf von 54 Rettungsbereichen gaben demnach an, dass in über 80 Prozent der Fälle das erste Rettungsmittel innerhalb der vorgegebenen Zeit am Einsatzort sein konnte. In fünf Rettungsdienstbereichen lag der Wert immerhin zwischen 70 und 79 Prozent, zwölf lagen darunter. Besonders überraschend: 26 Rettungsdienstbereiche haben laut SWR nicht geantwortet. Ein Grund, bei Tobias Eilers, Sprecher der Johanniter NRW nachzuhaken, wie die Lage im Ruhrgebiet ist.

Herr Eilers, warum können die vorgesehenen acht Minuten vom Rettungsdienst oft nicht eingehalten werden?

Tobias Eilers: Die acht Minuten sind eine sinnvolle Einsatzfrist, um Menschenleben zu retten. In der Regel werden sie von Beginn des Anrufs bis zum Eintreffen vor Ort berechnet. In ländlicheren Regionen liegt die Frist bei zwölf Minuten. In NRW ist die Zahl der Einsätze in den letzten Jahren um über 70 Prozent gestiegen. Derzeit fahren wir Johanniter im Jahr etwa 330.000 Einsätze, am Tag sind das um die 1000. Dadurch sind die Notfallsanitäterinnen und -sanitäter einer hohen Belastung ausgesetzt und ständig im Einsatz. Das liegt an den vermehrten Notrufen. Dabei ist ein Großteil dieser Einsätze nicht lebensbedrohlich. Trotzdem müssen wir innerhalb von acht Minuten vor Ort sein. Das belastet das System, weshalb es die Rettungskräfte es trotz aller Bemühungen nicht immer schaffen, in der vorgegebenen Frist am Einsatzort zu sein. 

Warum wird so häufig der Rettungswagen gerufen?

Viele denken, dass sie so schneller in der Notaufnahme drankommen. Das ist aber ein Irrtum. Außerdem kennen viele Menschen die Nummer des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes 116117 nicht, die sie bei nicht lebensbedrohlichen Beschwerden anrufen sollten, wenn die Arztpraxen abends und am Wochenende geschlossen sind. Unter der 112 erhoffen sich die meisten Menschen schnelle Hilfe, egal, ob es sich um Rückenschmerzen, einen eingewachsenen Zehennagel oder Einsamkeit handelt.

Wie kann man da entgegenwirken?

Das Rettungssystem muss reformiert werden: In den kommunalen Leitstellen, wo die Menschen hingeleitet werden, wenn sie die 112 anrufen, müssen die Patientinnen und Patienten besser koordiniert werden können. Dafür brauchen wir erstens den Ausbau der Notruf-Leitstellen zu Gesundheits-Leitstellen, wo die 116117 mit integriert wird und auch Arzttermine und sonstige psycho-soziale Hilfen koordiniert werden. Zweitens eine neue „Zwischeninstanz“ wie den Notfallkrankenwagen, um die nicht lebensbedrohlichen Notfälle auszulagern. Drittens müssten wir viel mehr ausbilden, viertens den teilweisen Flickenteppich an Rettungsdienst-Regeln vereinheitlichen. Fünftens sollte die Acht-Minuten-Regel nur für die lebensbedrohlichen Notfälle gelten. So könnten die Rettungskräfte die wichtige Vorgabe in NRW flächendeckend einzuhalten. 

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Eine neue Studie zeigt, dass es innerhalb der Städte an Rhein und Ruhr teils große Unterschiede gibt, was die Anfahrtszeit zum Einsatzort angeht. Woran liegt das?

Das ist eine gute Frage, die aber besser die jeweiligen Kommunen beantworten könnten. Fakt ist aber: Was die Rettungsregularien und die Einsatzbefugnisse angeht, haben wir in NRW einen Flickenteppich. Je nach Kommune arbeiten die Notfallsanitäterinnen und -sanitäter unter unterschiedlichen Bedingungen. So darf ein Kollege aus Stadt A zum Beispiel ein bestimmtes Schmerzmittel spritzen, was dem Kollegen aus der Nachbarstadt B aber verboten ist und nur die Notärztin darf. Das muss mit einem NRW-weiten Kompendium, also einem einheitlichen Standard für alle Kommunen, vereinheitlicht werden.

Was können wir als Bevölkerung tun, wenn der Rettungswagen nicht sofort eintrifft?

Viel. Vor allem Erste-Hilfe-Kurse besuchen – die machen sogar Spaß und retten Leben. Wir brauchen dringend mehr Ersthelfer, die einen Herz-Kreislauf-Stillstand erkennen und die betroffene Person reanimieren können. Das ist extrem wichtig, um die Wartezeit auf den Rettungsdienst zu überbrücken und Leben zu erhalten. Deshalb sollten alle Menschen mindestens alle fünf bis zehn Jahre einen Erste-Hilfe-Kurs besuchen, noch besser alle zwei Jahre. Unsere Erste-Hilfe-Kurse leider oft voll von Menschen, die nach ihrer Hilflosigkeit bei einem erlebten Notfall bedauern, bis dahin keinen gemacht zu haben.

Passiert schon etwas in den Städten, damit Notfallsanitäter schneller am Einsatzort eintreffen können?

Ja, in den letzten zehn Jahren hat sich viel getan: Die Kommunen und Rettungsdienstleister wie die Johanniter schauen genau hin, an welchen Orten noch Bedarfe entstehen. So wurden vielerorts Wachen neu oder ausgebaut oder mit Rettungswagen aufgestockt. Nach unserer Wahrnehmung sind die Engpässe jedoch meist weniger bei den Gebäuden oder Autos. 

Sondern?

Beim Personal. Ausgebildete Notfallsanitäterinnen und -sanitäter sind in NRW besonders rar – was leider ein hausgemachtes Problem durch viel zu wenig Ausbildungsplätze ist in den letzten zehn Jahren. Wir bilden in NRW weit unter unserem Bedarf aus und brauchen dringend mehr Ausbildungsplätze. Für die kommenden Jahre müsste die Kommunen und Krankenkassen die Kapazitäten etwa verfünffachen, um unsere NRW-Rettungskräfte endlich zu entlasten.

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