Ambrock. Das Hirntrauma galt im Straßenverkehr als fast verschwunden. Nun kehrt es auch in Hagen zurück – durch ältere E-Bike-Fahrer.
Schädel-Hirn-Trauma. Das ist letztlich nichts anderes als eine Verletzung des Gehirns durch einen äußeren Einfluss. Ein Schlag, ein Sturz, eine heftige Einwirkung mit einem Gegenstand. Frakturen, aber auch Hirnblutungen können die Folge sein – mit schweren Auswirkungen zum Beispiel auf die Motorik, das Erinnerungsvermögen oder die Fähigkeit zu sehen. Während die Zahl der Patienten mit Schädel-Hirn-Traumen in der Reha lange gesunken ist, steigt sie in einem Bereich, den man zunächst gar nicht auf dem Schirm haben mag: ältere E-Bike-Fahrer.
In der Klinik Ambrock in Hagen sieht man diese Fälle in der neurologischen Abteilung. Deren Leiter Dr. Christoph Schäfer wird deutlich: „In den letzten 30 Jahren sind Patienten mit Schädel-Hirn-Traumen in der Rehabilitation eigentlich deutlich seltener geworden.“ Was vor allem mit der Verbesserung der Fahrzeugtechnik zu tun hat. Das klassische Schleudertrauma, auch „Peitschenschlagphänomen“ genannt, ist höchst selten geworden. Typische Beschwerden: Nacken- und eventuell Kopfschmerzen sowie ein „steifer Hals“.
Verbesserte Fahrzeugtechnik
Heute, so Dr. Christoph Schäfer, gebe es viel besseren Aufprallschutz, ganz andere Sicherheitssysteme. Und trotzdem mussten Schäfer und seine Kollegen eine deutlich steigende Zahl folgenschwerer Schädel-Hirn-Traumen im vergangenen Jahr behandeln. Und zwar im Zusammenhang mit dem Thema E-Bikes. „Bei älteren Menschen lassen die koordinativen Fähigkeiten nach. Dazu kommt, dass 25 Stundenkilometer schon sehr viel sind und für eine altersbedingt nachlassende Reaktionsfähigkeit manchmal zu hoch. Es kann dann mitunter sehr schwer sein, ein E-Bike zu kontrollieren. Auch führt diese hohe Geschwindigkeit nicht selten dazu, dass andere Verkehrsteilnehmer die E-Biker erst zu spät wahrnehmen“, erklärt der Ambrocker Chefarzt.
Verletzung sind oft schwer
Gerade diese Altersklasse sei es aber, der das E-Bike die Welt zum Radfahren wieder öffne. Es käme noch mehr hinzu, erklärt Dr. Christoph Schäfer. Zum einen sei die Auffindesituation oft prekär. „E-Bike-Stürze geschehen oft in entlegenem Gelände, wo Rettungsdienste, vor allem auch Hubschrauber gar nicht bzw. spät hinkommen.“
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Andererseits sind die Kopfverletzungen nicht selten schwer. Bei einem sogenannten „Epidural-Hämatom“ beispielsweise – eine arterielle Blutung zwischen Schädelknochen und Hirnhaut – müsse sofort und binnen weniger Minuten Entlastung geschaffen werden. Es besteht akute Lebensgefahr. Im Krankenhaus muss oft sofort die Schädeldecke geöffnet werden.
Folgenschwerer Sturz
Das klingt alles zunächst sehr drastisch und nach einem absoluten Ausnahmefall, ist es aber nicht. Da viele E-Bike-Fahrer auch ohne Helm unterwegs seien, würden schon verhältnismäßig milde Stürze schwere Folgen nach sich ziehen können. Schäfer berichtet von einem Senior, der in einem Geschäft eine Probefahrt auf einem E-Bike machen wollte und nach 100 Metern unglücklich stürzte und mit dem Kopf auf eine Bordsteinkante knallte. Die Folge: schwerste Hirnblutungen, unter deren motorischen Folgen der Senior bis heute leidet.
„E-Bike-Fahren suggeriert Sicherheit für ältere Personen“, sagt Dr. Christoph Schäfer. Sicherheit, die es so nicht gibt. Die Verkehrsunfall-Statistik 2022 für NRW zeigt: 29 von 48 Todesopfern waren älter als 65 Jahre. Insgesamt wurden im zurückliegenden Jahr fast 6900 E-Bike-Unfälle registriert. Sogar Innenminister Reul appellierte an die ältere Bevölkerung, den Umstieg aufs E-Bike vorsichtig zu trainieren. In der Jugendverkehrsschule Hagen bietet die Polizei beispielsweise Übungen an, damit Senioren sicherer werden.
Polizei hilft mit Training
Ein erster Schritt sei es, so Polizeihauptkommissar Jörg Ebel bereits im April gegenüber dieser Zeitung, seine Schwierigkeiten oder Schwachstellen zu erkennen und sich auch einzugestehen. „Selbst wenn am Ende die Erkenntnis steht, dass man zu unsicher für den dichten Innenstadtverkehr fährt, ist das eine wichtige Erkenntnis. Hauptsache man wird nicht schwer verletzt oder kommt bei einem Unfall gar ums Leben“, sagte der Polizeihauptkommissar, der seit 2008 im Bereich Unfallprävention bei der Hagener Polizei im Einsatz ist und Angebote für alle Altersklassen, von Kita-Kindern bis hin zu Senioren, begleitet.