Menden. Nach der Verpuffung im Kalkwerk Menden fragen sich viele Menschen, welche Gefahr vom Werk und den Zügen ausgeht. Die Antworten sind überraschend.
Nach der Verpuffung im Kalkwerk von Lhoist/Rheinkalk in Menden wächst bei vielen Menschen die Angst vor weiteren Zwischenfällen. Aber was kann im Kalkwerk wirklich passieren? Mit welchen gefährlichen Stoffen wird da gearbeitet? Die Verantwortlichen im Werk versichern: Den ganz großen Knall werde es nicht geben. Die Gefahren seien viel alltäglicher.
+++ Erste Ermittlungsergebnisse: Silo bei Verpuffung quasi leer +++
Eine Verpuffung, Explosionsgefahr… Das lässt in vielen Köpfen Bilder von verheerenden Kettenreaktionen hochkommen. Das Gewirr von Leitungen, Förderbändern und Rohren in Oberrödinghausen erinnert auf den ersten Blick ein wenig an die Anlagen im Leverkusener Chempark, wo im vergangenen Jahr Explosionen und Brände zur Katastrophe führten. Mit einem Chemiewerk habe das Kalkwerk aber rein gar nichts zu tun, sagt Lhoist-Sprecher Mario Burda: „Im Prinzip haben wir keine anderen Chemikalien als jeder bei sich zuhause im Küchenschrank.“ Die Mengen seien vielleicht anders, aber dafür die Sicherheitsvorschriften viel strenger.
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Klassische Unfälle
„Die häufigsten Unfälle sind Unfälle, die auch im Haushalt passieren“, sagt Alexander Zirzow, der bei Lhoist Germany das Thema Arbeitssicherheit koordiniert. Das sei ein Mitarbeiter, der auf der Treppe stolpere, mal ein eingeklemmter Finger. Die Gefahr liege bei der gewaltigen Industrieanlage, dass jemand zwischen Maschinen gerate, eine Treppe hinunterstürze oder auch vor einen Kalkzug gerate. Auf dem Gelände herrscht klassischer Werksverkehr. Jeder Fremdbetrieb werde deshalb intensiv eingewiesen. Für spezielle Aufgaben gebe es Handbücher, die jeder externe Arbeiter durcharbeiten müsse. Ein Sicherheitsingenieur wache in Vollzeit am Standort über die Sicherheit der Angestellten. Dabei geht es auch um den Steinbruch, in dem mit schweren Maschinen gearbeitet wird.
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Kalköfen
Das Herz des Kalkwerks sind die Kalköfen. Darin wird der Kalkstein zu nutzbarem Kalk gebrannt. Es gibt einen großen Drehofen mit einer sich ständig drehenden Trommel. Daneben stehen sechs senkrechte Schachtöfen. Der Brennvorgang ist eher simpel: In den Ofen werden auf 15 bis 120 Millimeter Durchmesser zerkleinerte Steine gegeben. Diese werden bei Temperaturen über 850 Grad gebrannt. Aus Calciumcarbonat wird Calciumoxid. Dabei wird Kohlendioxid freigesetzt. Dabei bleibt der Kalkstein in Brocken erhalten. „Der Stein verändert seine Form nicht, er wird nur weißer und leichter“, sagt Werksleiter Stefan Flügge. Je nach späterer Nutzung wird der Kalk noch weiter veredelt oder gemahlen. Der Brennvorgang per se sei ungefährlich, weil dort keine Chemikalien zugeführt werden. Lediglich die hohen Temperaturen im Inneren des Ofens seien zu beachten.
Kohlebunker
Im Kohlesilo, einem geschlossene Behälter, lagert der Braunkohlestaub. Dieser wird als Brennstoff zum Ofen geführt und brennt dort kontrolliert ab. Dafür wird der Staub vorher mit der Luft gemischt, um ein brennfähiges Gemisch zu erzeugen. In dieser bestimmten Konzentration ist der Staub auch explosiv. Es muss in jedem Fall vermieden werden, dass es zu einem Kontakt mit Zündquellen oder Funken kommt. Allerdings, so erklärt Michael Joswig, zuständiger Technischer Manager bei Rheinkalk, gebe es entsprechende Explosionsklappen am Dach des Silos. „Darüber wird der Druck im Falle einer Verpuffung im Silo kontrolliert nach oben abgeleitet.“ Letztlich soll neben einem Personenschaden auch vermieden werden, dass die Anlagen zerstört werden und es zu Produktionsausfällen kommt. Zum Hintergrund: Was genau den Unfall jüngst auslöste, ist weiter unklar.
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Kalk
Besondere Vorsicht ist im Umgang mit dem Kalk geboten. „Kalk reagiert mit Feuchtigkeit“, sagt Michael Joswig. Wer auf dem Gelände unterwegs ist, muss immer eine Schutzbrille mitführen – und tragen. Es gibt zum Schutz spezielle Handschuhe. Die Angestellten haben einen Hautpflegeplan Gewässerkontamination. Wichtig sei außerdem der sorgsame Umgang mit gebranntem Kalk, da dieser nicht unkontrolliert in die Umwelt oder Gewässer gelangen sollte.
Kalkzüge
Seit Jahrzehnten gehören die Kalkzüge zum Stadtbild von Menden. Das weiße Pulver an der Hülle deutet auf den Inhalt hin. In den Spezialwaggons ist Kalk enthalten. Dieser könne aber – auch wenn er an Mehlstaub erinnert – nicht durchzünden, so dass es zu einer Verpuffung kommen kann. Kalk ist ein mineralischer Stoff. Dem Kalk fehle im Gegensatz zum Mehl einfach der Brennwert. „Das gefährlichste an den Zügen ist wahrscheinlich die Diesellok“, sagt Werksleiter Stefan Flügge.
Kohlezüge
Ähnlich sehe es bei den Zügen aus, die Braunkohlestaub zur Verbrennung anliefern. In den Zügen werde zwar der gleiche Staub geliefert, der jetzt zur Verpuffung führte. Allerdings seien dabei die Bedingungen für eine Verpuffung nicht gegeben. Der Staub müsse eine gewisse Mischung mit der Luft erreichen, um explosiv zu sein. Liege der Staub auf einem Haufen, sei eine Entzündung sehr unwahrscheinlich.
Diesel/Gas und Co.
Auf dem Gelände liegen Gasleitungen. Es gibt eine Tankstelle. Auch diese erfüllen alle gültigen Sicherheitsstandards , betonen Zirzow und Joswig. Die Tankstelle sei mit den gleichen Schutzvorrichtungen angelegt wie eine Tankstelle für Autofahrer – übrigens auch mit ähnlichen Preisen.