Hagen. Obwohl der streng geschützte Flussregenpfeifer in Hagen brütet, arbeitete eine Planierraupe auf der Westside. Mit beinahe fatalen Folgen.
Der Vogel sitzt nahezu unsichtbar auf seinem Nest. Vor ihm erhebt sich die riesige Ladeschaufel einer Planierraupe. Es sieht so aus, als würde Goliath mit David kurzen Prozess machen wollen. Doch der Vogel bleibt ungerührt auf seinem Nest sitzen.
Der David ist in diesem Fall ein Flussregenpfeifer. Eine geschützte Art, laut Naturschutzbund auf der Vorwarnstufe zur Roten Liste. Der Vogel brütet auf der Westside – jener Brachfläche, die sich zwischen Hauptbahnhof und Bahnhofshinterfahrung befindet. Und damit er bei seinem Brutgeschäft nicht gestört wird, hatte die Untere Naturschutzbehörde der Stadt Hagen den Bereich mit einem Zaun abgesperrt und Hinweisschilder, die von dem Gelege des Flussregenpfeifers und dem Zweck des Zaunes kündeten, aufgestellt.
Vogel harrt auf dem Gelege aus
Was aber muss Thorsten Klein (53), ehrenamtlicher Mitarbeiter der Biologischen Station Hagen, erleben, als er auf der Westside nach dem Rechten schaut? „Ein Riesenbulldozer steht nur wenige Schritte vom Nest entfernt. Es ist ein Wunder, dass die Brut noch nicht zerstört wurde.“ Und dass der brütende Vogel trotz des komischen Ungetüms unmittelbar vor seinem Schnabel auf seinem Gelege ausharrte.
Der Zaun, der jegliche Aktivität auf dem Gelände eigentlich unterbinden sollte, war beiseite geschoben worden, stellte Klein fest. Umgehend setzt er die städtische Naturschutzbehörde von dem Vorfall in Kenntnis, die sofort einen Mitarbeiter zur Westside schickte und den Zaun wieder geraderücken ließ. „Die provisorischen Hinweisschilder waren für die zuständige Firma nicht deutlich erkennbar“, teilte Clara Treude, Sprecherin der Stadtverwaltung Hagen, mit. Nach einem Austausch zwischen Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH), Naturschutzbehörde und der Firma seien die Arbeiten unverzüglich eingestellt worden.
Bestand ist seit Jahren rückläufig
Der WBH hatte die Firma beauftragt, die Flächen auf der Westside, auf denen ein Teil des im Zuge der Flutkatastrophe 2021 angefallenen Gerölls zwischengelagert wurde, zur Entsorgung vorzubereiten. Dass ein Flussregenpfeiferpärchen an dieser Stelle niste, sei dem WBH nicht bekannt gewesen, so Stadtsprecherin Treude. Die vier Eier seien aber unversehrt geblieben: „Trotzdem sollte jede Störung der geschützten Vogelart unbedingt vermieden werden.“
Das sieht auch Ralf Blauscheck so, Leiter der Biologischen Station in Hagen. Der Bestand des Flussregenpfeifers sei seit Jahren rückläufig, weil der Vogelart immer weniger geeignete Brutgebiete zur Verfügung ständen. Vegetationsfreie Geschiebeflächen wie an der Westside seien ein ideales Nistgebiet: „Obwohl ich sagen muss, der dort brütende Vogel hat dicke Nerven. Das war eine Situation auf Messers Schneide.“ Gott sei Dank habe der Baggerfahrer das Gelege, das mit bloßem Auge kaum zu erkennen sei, nicht zerstört.
Nach Angaben von Vogelschützer Klein brütet seit 2017 regelmäßig ein Flussregenpfeiferpärchen auf der Westside, auf der die Stadt Hagen in den nächsten Jahren ein neues Stadtquartier entstehen lassen möchte. Er erwartet, dass die Küken Ende Mai zur Welt kommen. Es sind ausgesprochene Nestflüchter, die nach dem Schlüpfen zügig damit beginnen, in der Umgebung nach kleinen Insekten zu suchen. Die Stadt Hagen hat deshalb angekündigt, die Arbeiten würden bis Mitte/Ende Juli ruhen.