Kreis Olpe. Sercan Celik macht Nezahat Baradari die Kandidatur für den Bundestag streitig. Rassismus-Vorwürfe gegen die Abgeordnete sorgen für Brisanz.
Zwei Hashtags brachten den Stein ins Rollen, widersprüchliches Krisenmanagement ließen ihn in den folgenden Wochen zu einer mittelgroßen Gerölllawine heranwachsen: Die heimische SPD-Bundestagsabgeordnete Nezahat Baradari brachte mit einem Facebook-Posting mehrere jesidische Organisationen gegen sich auf.
Besonders brisant dürfte das Thema werden, wenn sich die Attendornerin am Freitag wieder zur SPD-Kandidatin im Wahlkreis Olpe/Märkischer Kreis I wählen lassen möchte. Denn es gibt einen Gegenkandidaten. Sercan Celik, ein Jeside. Ausgerechnet.
Nach einer Online-Diskussion der SPD-Bundestagsfraktion mit jesidischen Frauen, die über den Völkermord durch den so genannten Islamischen Staat im Jahr 2014 berichteten, schreibt die Abgeordnete im Dezember bei Facebook von einer „uns befremdenden Kultur“ und setzt die Hashtags #Zwangsheirat und #Ehrenmord.
Kritische Kommentare gelöscht
Die Stelle für jesidische Angelegenheiten und die Initiative „Eziden weltweit“ veröffentlichen daraufhin eine Stellungnahme. „Frau Baradari bedient hier Stereotype und Vorurteile gegenüber Ezidinnen, welche in der jüngsten Vergangenheit als Legitimation für die Auslöschung des ezidischen Volkes dienten“, kritisieren die Organisationen. „Derartige Äußerungen einer Bundestagsabgeordneten gegenüber einer Volksgruppe, die seit Jahrhunderten wegen solcher Stereotype verfolgt wird, ist nicht nur Besorgnis erregend, sondern auch gefährlich.“ Die „Ezidische Jugend Deutschland“ spricht in einem offenen Brief von einer „klaren rassistischen Haltung der SPD-Abgeordneten“. Auch ein umstrittener Journalist greift das Thema auf.
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In der Kommentarspalte des Facebook-Beitrags machen viele Jesidinnen und Jesiden ihrem Ärger unmittelbar Luft. Die Abgeordnete bedauert daraufhin das Missverständnis: „Ich muss mich in Ihre Lage versetzen und sehe, daß Sie durch die Hashtags sich verletzt fühlen und muss das klarstellen.“ Allerdings könne sie den Beitrag nicht ändern, weil ihr die Administrationsrechte für ihre eigene Facebook-Seite fehlten. Weiter schreibt sie: „Aber Fakt bleibt Fakt, dass es noch viel zu tun gibt, um die Frauen zu schützen, egal ob ezidische, muslimische oder christliche oder atheistische Frauen.“
Weitere kritische Kommentare werden anschließend offenbar gelöscht. Nezahat Baradari selbst spricht auf eine Anfrage unserer Redaktion von „unzähligen Hassnachrichten und diffamierenden Kommentaren“, die auf ihren Beitrag folgten. „Aus diesem Grund haben wir zunächst entschieden, jegliche Kommunikationsmöglichkeit über mein Facebook-Profil einzuschränken“. Inzwischen ist das ganze Posting von der Seite genommen. Die Profile der „Eziden weltweit“ und der Ezidischen Jugend hat die SPD-Politikerin blockiert – nicht gezielt, wie die Abgeordnete beteuert.
Journalisten wegen Beleidigung angezeigt
„Als Frau mit Migrationshintergrund, die im Kindesalter selbst als Tochter politisch Verfolgter gemeinsam mit ihrer Familie aus der Türkei nach Deutschland flüchtete, musste ich häufig erfahren, wie weit Rassismus und Diskriminierung in Deutschland verbreitet sind. Auch aus diesem Grund ist mir ein entschlossener Kampf gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus als Sozialdemokratin ein sehr wichtiges Anliegen“, versichert sie auch auf Anfrage noch einmal.
Dass sie den Journalisten nach dessen Berichterstattung angezeigt hat, dementiert sie auf Anfrage nicht. „Ich bin jederzeit bereit, mich allgemein und besonders im politischen Meinungskampf harter Kritik in den sozialen Netzwerken zu stellen. Dies gilt jedoch nicht für solche Äußerungen, die ausschließlich der Diffamierung meiner Person gelten und mich systematisch als Rassistin brandmarken“, erklärt die Attendornerin. „In Fällen, in denen ich mich beleidigt fühle, steht es mir frei, wie jeder anderen Person auch, solche Beleidigungen zur Anzeige zu bringen.“
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„Das ist ein schwieriges Feld“, sagt Sercan Celik, der Gegenkandidat um die Bundestagskandidatur, wenn er auf das Facebook-Posting der Abgeordneten angesprochen wird. Er distanziere sich von Hetze und Diffamierung gegen Nezahat Baradari. Aber er sagt auch: „Ich glaube, dass man sich in der Politik mit konstruktiver Kritik schon auseinandersetzen sollte.“
Als Kleinkind nach NRW gekommen
Der heute 32-Jährige wächst in der Türkei auf. Seine Volksgruppe wird dort und in den Nachbarländern seit Jahrhunderten immer wieder Opfer von Verfolgung. Auch Ende der 80er Jahre, als Sercan Celik noch fast ein Baby ist. NRW-Innenminister Herbert Schnoor reist damals in das kleine Dorf der Familie, nimmt Anteil an den Folgen der Gewalt und ermöglicht den Verfolgten ein Bleiberecht in der Bundesrepublik.
„Er hat die Türen für meine Familie geöffnet“, sagt Sercan Celik. „Er und die Sozialdemokratie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass ich Bildung und die demokratische Grundordnung genießen konnte.“ Jetzt möchte er etwas zurückgeben. „Diese Kandidatur ist eine Herzensangelegenheit für mich.“
Serkan Celik ist ausgebildeter Jurist, nach dem Studium im Rheinland wieder zurückgekehrt in seine deutsche Heimatstadt Kierspe und dort Vorstandsmitglied im SPD-Ortsverein, dem er seit 15 Jahren angehört und der ihn einstimmig nominierte.
Bindeglied zwischen den Generationen
„Als Wirtschaftsregion brauchen wir eine starke Sozialdemokratie“, will er einen Schwerpunkt auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik setzen. Die Industrie im Kreis Olpe und dem südlichen Märkischen Kreis befinde sich schon durch die Digitalisierung in einem Transformationsprozess. „Durch die Pandemie wird das noch erschwert“, sieht er eine Herausforderung.
Als verhältnismäßig junger Politiker wolle er zudem ein Bindeglied zwischen den Generationen sein. Seinen Wahlkampf führt er bislang vorwiegend über Profile in den sozialen Netzwerken. „Dort bekomme ich sehr positive Rückmeldungen von jungen Leuten.“
All dies treibe ihn an – und nicht die Kontroversen um Nezahat Baradari. Direkte Kritik an seiner Kontrahentin kommt ihm nicht über die Lippen, allein weil sie eine Genossin sei. „Es ist wichtig und gut, dass man in einer Demokratie Alternativen hat“, sagt er nur, „und die würde es ohne mich am Freitag nicht geben.“