Hagen. Ein in Hagen aufgenommenes Online-Literaturkonzert zeigt den sonst düster wirkenden Lyriker lebensfroh. Was Südfrankreich damit zu tun hat.
Er war nie ein populärer Dichter, er war nicht Mainstream und sprach nur eine begrenzte Zahl Interessierter an. Dennoch gehört Ernst Meister (1911 – 1979) zu den großen deutschen Lyrikern des zurückliegenden Jahrhunderts. In diesem Jahr hätte der Hagener Schriftsteller seinen 110. Geburtstag gefeiert.
Aus diesem Anlass sollte am 9. Mai ein Literaturkonzert im Kunstquartier stattfinden. Coronabedingt fiel das Live-Event jedoch ins Wasser. „Doch nach so aufwendiger Vorbereitung wollten wir die Veranstaltung nicht einfach ausfallen lassen und haben stattdessen ein anderes Projekt realisiert“, sagt Reinhard Gundlach, ein Enkel Ernst Meisters. Mit „wir“ meint der 57-Jährige die Engagierten, die vor drei Jahren die Neue Ernst-Meister-Gesellschaft (NEMG) gegründet haben. Reinhard Gundlach ist der Präsident des eingetragenen Vereins, ein weiterer Gründungsvater und Mitstreiter ist Peter Schütze. Der Autor und Dramaturg hat früher häufig Ernst-Meister-Texte rezitiert.
Städtisches Kulturbüro beteiligt
Wie das Alternativ-Projekt aussieht? „Wir haben ein Online-Literaturkonzert von einem Kamerateam aufzeichnen lassen. Der zweiteilige Film ist auf dem Videoportal Youtube abrufbar. Auch das städtische Kulturbüro verlinkt auf seiner Seite zu dem Film“, erklärt Reinhard Gundlach.
Ernst Meister und der Süden
Zum Hintergrund: Am 9. Mai wurde das Literaturkonzert, das den Titel „Ernst Meister und der Süden“ trägt, im Kunstquartier aufgenommen. Der Film – eine Mischung aus Lesung, Kommentierung, Musik und Bildern – wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit gedreht.
„Von 8 bis 14.30 Uhr haben sich die Akteure im klimatisierten Auditorium des Emil-Schumacher-Museums in kleinen Gruppen getroffen“, blickt Melanie Redlberger zurück. Die Mitarbeiterin des Kulturbüros hat das Projekt begleitet. „Die Matinee war als Sonderveranstaltung im Museum genehmigt“, unterstreicht die Kulturwissenschaftlerin, die das Filmteam und die Akteure mit großem Interesse unterstützt hat.
„Ich kannte bislang nur sehr düstere, abstrakte und in komplizierter Sprache verfasste Werke von Ernst Meister. Der Lyriker wirkte durch seine Texte auf mich immer unnahbar. Die Matinee stellt jedoch Ernst Meisters Leidenschaft für Südfrankreich in den Mittelpunkt, und plötzlich wirkt der Dichter sehr offen und lebensbejahend“, schwärmt Melanie Redlberger. Auch Nicht-Kenner des Schriftstellers oder Skeptiker gegenüber seiner Werke würden durch das Online-Literaturkonzert einen einfachen Zugang zu seiner Lyrik bekommen.
Mittelmeer-Aufenthalte als Thema
„Mein Großvater reiste sehr gerne, am liebsten nach Südfrankreich, Italien und Ibiza, deshalb werden im Film auch seine Mittelmeer-Aufenthalte zwischen 1957 und 1978, thematisiert“, sagt Reinhard Gundlach. Zwischen 1963 und 1978 besuchte Ernst Meister regelmäßig seinen engen Freund Helmut Kohlleppel, der in der Provence eine Ferienwohnung besaß. Dort entstanden Gedichte von Ernst Meister und etliche farbige Kreidezeichnungen. In der Provence sei sein Großvater, so Gundlach, immer gelöst und lebensfroh gewesen.
Peter Pietzsch, 1986 bis 2000 Intendant des Hagener Theaters, liest im Rahmen der Matinee aus den Provence-Erinnerungen Helmut Kohlleppels, Peter Schütze trägt unter anderem auf Ibiza entstandene Texte vor, und Ernst Meisters Tochter Regina Meister steuert Erinnerungen an eine Trüffeljagd mit ihrem Vater in der Provence bei.
Begleitung am Flügel
Der Pianist und Komponist Berthold Matschat begleitet die Rezitation am Flügel mit eigens für die Veranstaltung geschriebenen Eigenkompositionen.
Eingebettet ins Stadt-Jubiläum
Ernst Meister gilt als hermetischer Dichter. Unter hermetischer Lyrik versteht man Gedichte, deren Inhalt und Hintergrund sich häufig dem unmittelbaren Verständnis des Lesers entziehen. Der gebürtige Hagener schrieb teils im dadaistischen Stil. Für seinen Gedichtzyklus „Jenseits von Jenseits“ wurde er 1962 mit dem Hagener Kunstpreis ausgezeichnet. 1979 wurde dem Schriftsteller postum der Georg-Büchner-Preis verliehen.Das ursprünglich geplante Live-Literaturkonzert sollte Bestandteil des vom Netzwerkprojektes „Literaturland Westfalen“ organisierten Festivals „Europa:westfalen“ sein. Nun wird das Alternativprogramm (die Online-Veranstaltung) auf dem YouTube-Kanal von „Literaturland Westfalen“ veröffentlicht.Im Rahmen des „275 Jahre Stadt Hagen“-Jubiläums zeigt das Osthaus-Museum ab dem 4. September die Ausstellung „Die Stadt“, auf der auch Werke von Ernst Meister präsentiert werden. In Kooperation mit der Neuen Ernst-Meister-Gesellschaft soll dann auch der Ernst-Meister-Preis 2021 zum 110. Geburtstag des Dichters verliehen werden.
Reinhard Gundlach kommentiert die Lyrik seines Großvaters und beleuchtet den biografischen Hintergrund des Schriftstellers. Und zahlreiche, bislang unveröffentlichte Bilder komplettieren das Online-Literaturkonzert.