Kreis Olpe. Ariane Seifert und Elisabeth Herrmann aus Olpe leiden an Long Covid. Sie haben Gedächtnislücken und kognitiven Störungen – seit fast zwei Jahren.

Sie erinnert sich nicht mehr. Sie weiß nicht, was auf der vorigen Buchseite stand. Oder wie der Film anfing. Nur Leere. „Das sind Dinge, die mir früher Spaß gemacht haben. Und nichts davon kann ich mehr machen“, sagt Ariane Seifert. Ihre Stimme zittert, sie wischt sich die Tränen unter der Brille weg. Man sieht ihr die Krankheit nicht an. Aber die 45-Jährige aus Olpe kämpft. Jeden Tag. Gegen die Gedächtnislücken, die Unsichtbarkeit und die Gesellschaft, die noch keinen Platz für Long-Covid-Patienten wie sie gefunden hat. Halt findet sie beim Long-Covid-Gesprächskreis beim DRK in Olpe. Dort lernt sie auch Elisabeth Herrmann* (75) kennen. Und fühlt sich verstanden.

Ulrike Bell (links) von der DRK-Selbsthilfe-Kontaktstelle sitzt mit Long-Covid-Patientin Ariane Seifert auf der Couch im DRK-Mehrgenerationenhaus.
Ulrike Bell (links) von der DRK-Selbsthilfe-Kontaktstelle sitzt mit Long-Covid-Patientin Ariane Seifert auf der Couch im DRK-Mehrgenerationenhaus. © Unbekannt | Britta Prasse

Der Anfang

Es ist der 24. März 2021, als ein PCR-Test bei Ariane Seifert das Coronavirus nachweist. „An dem Tag ist meine Welt zusammengebrochen“, sagt sie. Wegen ihrer Multipler Sklerose (MS) gilt sie als Risikopatientin. Drei Wochen lang hat sie hohes Fieber. Der Appetit bleibt aus. Auch wegen des Geruchs- und Geschmacksverlusts. Sie ist schlapp und kurzatmig, allein der Weg vom Bett ins Bad verlangt ihr alles ab. „Ich habe in der Zeit meinen Koffer gepackt fürs Krankenhaus. Für den Notfall“, erinnert sich Seifert. Einen Krankenwagen ruft sie aber nie. Sie möchte zuhause bleiben.

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Elisabeth Herrmann besucht Ende Februar 2020 eine Sitzung des Frauenkarnevals. Es wird getrunken, gelacht, getanzt. Ein paar Tage später ist sie so stark erkältet, dass sie zum Arzt geht. „Meine Lunge wurde abgehört. Da hat man festgestellt, dass sie zu ist“, erinnert sich die 75-Jährige aus Olpe. Sie bekommt Antibiotika für eine Woche verschrieben. Der Husten legt sich und sie bekommt besser Luft. Dafür setzt das Fieber ein. 40 Grad hoch. „Ich war sehr müde und habe viel geschlafen. In den wenigen Momenten, in denen ich wach war, war ich nicht zum Denken in der Lage.“ Herrmann denkt an den Tod. „Ich dachte, dass ich sterbe. Gleichzeitig habe ich mir gesagt, dass alles in Ordnung sei, weil ich ja mein Testament gemacht habe.“ Das Fieber geht runter. Sie stirbt nicht. Als sie wieder etwas bei Kräften ist und in ihren Garten geht, wundert sie sich über eine Gartenschere, die am Boden liegt. „Mein Mann erklärte mir, dass ich kürzlich eine Blume umgetopft und dafür auch die Schere benutzt habe. Daran hatte ich keine Erinnerungen mehr.“ Ende März wird Elisabeth Herrmann in die Arztpraxis gerufen, weil sie auf das Coronavirus getestet werden soll. Symptomatische Patienten sollen auf Anordnung des Kreises getestet werden. Müllers Ergebnis: negativ. „Das hat mich nicht überrascht, es war ja schon einen Monat nach der Karnevalssitzung“, sagt Herrmann.

Die Symptome

Etwa drei Monate nach der Infektion fallen bei Ariane Seifert die Haare aus. Büschelweise. „Ich hatte immer volle, dicke Haare. Und auf einmal waren da kahle Stellen am Kopf“, sagt sie und weint. Ihr Hautarzt sagt ihr, er könne ihr nicht versprechen, dass sie keine Glatze bekäme. Für Ariane Seifert ist der Haarausfall das, was das Fass zum Überlaufen bringt. Abgesehen von der MS, die sie bereit erwerbsunfähig machte, hat sie mit Schmerzen in ihrer Hand zu kämpfen. Die wurde erst im Januar 2021 operiert, mit der Corona-Infektion verschlimmern sich die Beschwerden wieder. Bei einer Reha im November 2021 wird außerdem eine Schlaf-Apnoe von bis zu 36 Aussetzern pro Stunde sowie eine Lungeninsuffizienz festgestellt. Ihr Lungenvolumen beträgt zu diesem Zeitpunkt noch 60 Prozent. Sie bekommt ein Kortison-Spray.

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Herzrasen, Gedächtnislücken, Wortfindungsstörungen: Auch wenn bei Elisabeth Herrmann keine Corona-Infektion nachgewiesen wurde, treten bei ihr nie da gewesene Beschwerden auf. „Mein Arzt meinte nur zu mir: ‚Bedenken Sie Ihr Alter!‘ Ich habe mich im Stich gelassen gefühlt.“ Zur Abklärung wird Herrmann allerdings doch ins St.-Martinus-Hospital Olpe eingeliefert, für eine Herzkatheteruntersuchung. Dabei wird eine Herzinsuffizienz festgestellt. „Ich hatte nie irgendwelche Vorerkrankungen, musste nie Tabletten nehmen“, so Herrmann. Das hat sich geändert.

Das Unverständnis

Gesprächskreis im DRK-Mehrgenerationenhaus

Der Gesprächskreis für Menschen mit Long Covid soll nach einer Pause wieder stattfinden. Der nächste Termin zum Austausch ist am Donnerstag, 17. März, um 17.30 Uhr, im DRK-Mehrgenerationenhaus im Löherweg 9, Olpe. Kontakt: Ulrike Bell, 02761/2643 oder bell@kv-olpe.drk.de

Ariane Seifert fängt an zu googeln. „Das habe ich lange Zeit nicht gemacht, um mich nicht verrückt zu machen.“ Als sie dann aber von Berichten rund um das Thema Long Covid liest, wird sie hellhörig. Sie kontaktiert die Post-Covid-Ambulanz an der Uniklinik Essen – und bekommt einen Termin für Ende 2023. „Es gibt so gut wie keine nennenswerten Stellen für Leute, die nach einer Corona-Infektion immer noch Probleme haben, aber nicht intensivmedizinisch betreut wurden.“ Wut, Frust und Verzweiflung spricht aus ihrer Stimme. Sie bekommt im Januar 2022 schließlich einen Termin an der Uniklinik Bonn. Dort untersuchen Forscher aktuell die Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung für Lunge und Nervensystem. In der Klinik muss sich Seifert Gedächtnistests unterziehen. Auch Tests, die auf die kognitiven Fähigkeiten abzielen, werden gemacht. Denn: Ariane Seifert kann seit ihrer Erkrankung keine Schleife mehr binden. Die Ärzte möchten die 45-Jährige gerne stationär aufnehmen und eine Rückenmarkspunktion vornehmen. Die Untersuchung kennt sie bereits von ihrer MS-Erkrankung. „Ich habe mich aber erstmal dagegen entschieden.“ Zu groß ist die Angst vor weiteren Schmerzen, vor einer weiteren Diagnose, vor einem weiteren Tropfen, der das Fass erneut zum Überlaufen bringen könnte.

„Ich habe die Menschen wie durch eine Milchglasscheibe wahrgenommen“, erzählt Elisabeth Herrmann. Sie lässt ihre Augen untersuchen, bekommt zwei neue Brillen. Aber es ändert nichts. Die Weiterleitung der Information ins Gehirn ist lange gestört – die 75-Jährige erkennt die Menschen auf der Straße nicht. Kurz nach ihrer zweiten Impfung im Mai 2021 geht sie mit ihrem Mann durch die Stadt, als plötzlich die Milchglasscheibe zur Seite geschoben wird. „Ich stand da und konnte wieder alles sehen. Die Menschen müssen mich für verrückt gehalten haben.“ Bis heute kann sie sich nicht erklären, was passiert ist.

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Die Hilfe

Sich nicht länger abgeschottet fühlen, sondern sich mit Menschen austauschen, die ganz ähnliche Erfahrungen gemacht haben: Ariane Seifert und Elisabeth Herrmann haben nach so einer Möglichkeit gesucht. Als im Januar 2021 die Selbsthilfe-Kontaktstelle des DRK einen Long-Covid-Gesprächskreis ins Leben ruft, fühlen sich die beiden Frauen sofort angebunden. Wegen des Lockdowns kann das erste Treffen zwar erst im Mai stattfinden – doch der Wunsch, sich unter Gleichgesinnten wieder „normal“ zu fühlen, ist bei Seifert und Herrmann ungebrochen. „Das Problem ist, dass wir oft nicht ernst genommen werden“, meint Herrmann. Die Akzeptanz falle schwer. Auch gegenüber sich selbst. „Ich kann mich nicht mehr auf mich selbst verlassen. Man kann mir Sachen unterstellen, die ich nicht widerlegen kann, weil ich einfach diese Gedächtnislücken habe. Das macht einen mürbe“, erzählt Seifert. Beide Frauen kämpfen bis heute mit den Folgen ihrer Erkrankungen. Beide haben sich verändert. Vor allem Seifert hat noch einen langen Weg vor sich. „Das, was die Krankheit aus mir gemacht hat, wünsche ich keinem.“

* Name von der Redaktion geändert