Neheim. Auch in Arnsberg wurden in der NS-Zeit Menschen zwangssterilisiert und ermordet - weil ihr Leben „unwert“ war. Eine Ausstellung erzählt von den Schicksalen.
Bereits seit einigen Jahren befasst sich der Arbeitskreis Dorfgeschichte Voßwinkel intensiv mit den Auswirkungen der Rassenpolitik der Nationalsozialisten auf das Leben der Menschen im ländlichen Raum. Acht Zwangssterilisationen und drei „Euthanasie“-Morde (staatlich organisierte Tötungen, Anm. d. Redaktion) in Voßwinkel sind ein Beispiel für die vielen Verbrechen, die es während der Naziherrschaft gegeben hat. „Die Ideologie der ,Reinheit des Volkskörpers‘ wurde auch im ländlichen Raum konsequent durchgesetzt“, betont Michael Filthaut.
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Der Voßwinkeler ist Mitglied des Arbeitskreises und recherchiert bereits seit Jahren intensiv zu diesem Thema. Dabei ist er auch familiär vorgeprägt. „Mein Onkel ist eines der Opfer gewesen“, sagt Filthaut. Sehr schnell sei ihm bei der Recherche klar geworden, dass es nicht um anonyme Zahlen, sondern vielmehr um persönliche Schicksale wie das seines Onkels gehe. Filthaut wird anhand von drei Schicksalen den Vortrag „Vergessene Opfer der NS-Diktatur“ am Mittwoch, 5. Februar, um 18.30 Uhr in der Stadtbücherei Neheim halten. „Ich beschreibe an einem Beispiel den Ablauf eines Sterilisationsverfahrens und den Weg von zwei Patienten der Heilanstalt Warstein, die dann in der Folge in der Tötungsanstalt Hadamar in Hessen ermordet wurden.“ Lokalhistoriker Filthaut wird in seinem Vortrag sogar die Originaldokumente, die die Verbrechen nachweisen, zeigen.
Sein Vortrag findet im Rahmen der Ausstellung „Lebensunwert - zerstörte Leben“ der Arbeitsgemeinschaft Bund der Euthanasie-Geschädigten und Zwangssterilisierten in der Neheimer Stadtbibliothek statt. Die Ausstellung beginnt am 4. Februar und ist bis zum 21. Februar dienstags bis freitags von 10 bis 18 Uhr sowie samstags von 10 bis 13 Uhr zu den regulären Öffnungszeiten der Bücherei zugänglich. „Am 12. Februar gibt es um 17 Uhr auch eine öffentliche Führung durch die Ausstellung“, verspricht Michael Filthaut.
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Der Forscher war vor allem im Kreisarchiv fündig geworden und hat seitdem einen engen Austausch mit Kreisarchivleiterin Susi Frank. Im sogenannten Arbeitskreis „Archive im Hochsauerlandkreis“ herrsche generell eine kooperative Stimmung unter den Einrichtungen, wie Michael Eismann, Leiter des Stadtarchivs Arnsberg betont. Deshalb sei er auch froh, dass die Ausstellung nach ihrer Präsentation in Neheim im Anschluss direkt nach Arnsberg komme. „Wir werden im Stadt- und Landständearchiv Arnsberg, das sich im Kloster Wedinghausen befindet, vom 25. Februar bis zum 13. März dienstags bis donnerstags von 13 bis 15.30 Uhr die Schautafeln zeigen“, so Eismann. Für den 26. Februar um 18.30 Uhr ist auch hier der Vortrag zu den vergessenen Opfer der NS-Diktatur vorgesehen. Eine öffentliche Führung wird es in Arnsberg am 5. März um 18 Uhr geben.
Jutta Ludwig, Leiterin der Stadtbücherei Neheim, hat sich in Vorbereitung auf die Ausstellung intensiver mit der Thematik befasst. „Ich war erschüttert, als ich gelesen habe, welche Verbrechen auch hier im Sauerland begangen wurden.“ Archivar Michael Eismann ist froh, dass sich engagierte Menschen wie Michael Filthaut und sein Voßwinkeler Kollege Michael Rademacher intensiv in die Quellen zu den NS-Verbrechen eingearbeitet haben. „Wir Archivare haben nur eine sehr begrenzte Zeit für Forschungen zur Verfügung. Deshalb stellen wir gerne solche Quellen zur Verfügung, damit sie für die Forschung genutzt werden.“ Die Quellen würden nichts bringen, „wenn sie nur ungenutzt in der Ecke liegen“.
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Angefangen hatte der Arbeitskreis Dorfgeschichte nur mit Akten aus Voßwinkel. Mittlerweile wurde die Recherche auf den HSK ausgebaut. „Manchmal haben ganz dünne Mappen ganz große Sprengkraft. Zum Beispiel, wenn es Entnazifizierungsakten sind, in denen man Hinweise auf Mittäterschaft in Euthanasie- und Sterisilisationsverbrechen findet“, erklärt Michael Rademacher. In einigen Fällen seien auch Angehörige von Opfern nicht erfreut darüber, dass die Schicksale ihrer Verwandten von der Forschung aufgearbeitet würden. „Viele fürchten nachträglich noch stigmatisiert zu werden, weil sie Nachfahren vermeintlich erbkranker Menschen sind.“ Große Gegensätze würden deutlich. „Einige Familien und Angehörigen wollen verstehen und die Aufarbeitung, andere wiederum wollen einfach nur vergessen“, unterstreicht Filthaut.
Der Forscher konnte nachweisen, dass allein im Altkreis Arnsberg mehr als 300 Personen wegen angeblicher Erbkrankheiten wie „angeborenem Schwachsinn“, „erblicher Fallsucht“ oder „manisch-depressivem Irresein“ unfruchtbar gemacht wurden. Die meisten medizinischen Eingriffe erfolgten nach ersten Erkenntnissen mit 116 Fällen im Marienhospital in Arnsberg. Entscheidend für die Auswahl der Opfer ist nach Aussage von Filthaut dabei das Erbgesundheitsgericht gewesen, das sich beim Amtsgericht des jeweiligen Landgerichts befand. In Arnsberg gab es auch solch eine Institution.
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