Arnsberg. Nicole und Kim teilen ihre Erfahrungen als Prostituierte, über das, was sie bewegt. Welche Geheimnisse würden die Wände erzählen?
Könnten Wände sprechen, würden die des Bordells Traumraum in Arnsberg Geschichten von geheimen Sehnsüchten erzählen. Vielleicht die des älteren Mannes, der die Prostituierte nur umarmen will. 30 Minuten lang - nackt. Denn sie erinnert ihn an das jüngere Ich seiner Frau, die kürzlich verstarb. Vielleicht wäre es aber auch die, in der ein Mann angepinkelt werden möchte. „Er kommt seit zwölf Jahren zu mir; hat eine bildhübsche Frau und Kinder“, sagt die Prostituierte, „aber darüber könnte er niemals mit ihr sprechen.“
Nicole (48) kennt die Geheimnisse, die die Wände bewahren. Sie selbst ist seit 29 Jahren Prostituierte. „Ich habe mit 19 Jahren angefangen – damals hab‘ ich eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht und nebenbei als Prostituierte gearbeitet. Wegen der Kohle“, sagt sie. Doch ihr Vater erwischt sie; steht plötzlich im Bordell. „Er wollte, dass ich aufhöre – wollte mich finanziell unterstützen.“ Irgendwann prostituiert sie sich aber doch wieder. „Er erwischte mich erneut und stellte mich vor die Wahl: Job oder Vater.“ Sie zieht an ihrer E-Zigarette. „Ich habe den Job gewählt!“ Seitdem überlegen sie und ihr Mann, der das Bordell Traumraum betreibt, sehr gut, wem sie von ihrer Welt erzählen. Von ihrem Doppelleben.
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Ein Doppelleben, das auch Kim (27) sehr gut kennt. Sie ist eine von elf Frauen, die im Traumraum ihre Seite als Sexarbeiterinnen ausleben – und Mutter von zwei Kindern. „Meine Freunde, Familie und insbesondere meine Kinder wissen nichts“, sagt sie. „Ich arbeite hauptberuflich als Physiotherapeutin.“ Kim ist nur wenige Tage im Monat da; ist Single und hat einfach Lust. „Privat habe ich keinen Bock, jemanden kennenzulernen, jemanden nach Hause zu holen – und nachher hab‘ ich ne miese Nummer.“ Im Bordell verdient sie zudem Geld. Freiberuflich. Denn keine der Frauen ist angestellt – alle arbeiten auf eigene Rechnung und genießen sowohl Service als auch Sicherheit durch den Traumraum.
„Manche Männer buchen immer die gleiche Frau“
Aktuell sind laut Kreisordnungsamt 18 Prostituierte im Hochsauerlandkreis gemeldet. „Wie viele tatsächlich hier arbeiten, ist aber nicht bekannt, da die Anmeldung beispielsweise auch in Bayern erfolgen und dann deutschlandweit gearbeitet werden kann“, sagt Martin Reuther, HSK-Sprecher. Von den Traumraum-Frauen ist im HSK keine gemeldet – alle leben weit weg, teils sogar im Ausland. Prostituierte ab 21 Jahren erhalten eine Genehmigung des Ordnungsamtes für zwei Jahre und für ein Jahr vom Gesundheitsamt. Für unter 21-Jährige gelten andere, verkürzte Fristen.
Während Nicole und Kim von ihren Erfahrungen erzählen, wird deutlich, dass hinter den Türen des Arnsberger Bordells verschiedene Lebensrealitäten sichtbar werden. Die der Frauen aus Litauen, aus Polen, Ungarn und auch die der „Quotendeutschen“, wie Nicole sich selbst nennt. 30.636 angemeldete Prostituierte zählt das Statistische Bundesamt Ende 2023. Davon allein 8159 in NRW. Die meisten von ihnen sind zwischen 21 und 45 Jahre alt und stammen aus osteuropäischen Ländern, wie zum Beispiel Bulgarien, Polen, Rumänien und Ungarn. Auch Mia ist eine „Quotendeutsche“. Eine, die ihren Job gerne macht, wie sie sagt.
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Hier, am Esstisch im Privatbereich, versammeln sich die Frauen in Dessous und High Heels. Kein Mann ist hier. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee mischt sich mit dem von aromatischem Tee. Auf der Couch liegen flauschige Wolldecken. Der Raum strahlt eine entspannende Atmosphäre aus, in der sich unterschiedliche Erfahrungen und Geschichten entfalten. Alle paar Minuten klingelt das Telefon – Nicole geht ran. Vor ihr liegen der Kalender und der Arbeitsplan der Frauen. „Manche Männer buchen immer die gleiche Frau“, sagt sie, „also muss ich immer wissen, wer wann hier ist.“
Diesmal ist es Mia, die gefragt zu sein scheint – immer wieder fragen Männer nach ihr. Doch Nicole weiß: „Mia braucht immer Pausen dazwischen, da kann ich nicht einen Termin nach dem anderen vergeben.“ Sie kennt „ihre“ Frauen. „Angefangen hat alles in Hannover“, sagt Mia, „eine Freundin von mir arbeitete als Prostituierte und meinte, dass sie gutes Geld verdient. Ich habe wochenlang hin und her überlegt. Ich habe gedacht: Da kommt ein Mann, der gibt mir Geld und denkt dann, dass er alles machen kann, was er will. Meine Gedanken deckten alle Klischees ab, die es gibt.“ Doch sie probiert es aus – steigt ein, bleibt.
Was, wenn ein Mann mal querschlägt?
„Sex ist das Allernatürlichste der Welt. Es sind Bedürfnisse, es ist Nähe. Es ist viel mehr als nur rein, raus und tschüss“, sagt Mia. Manchmal sei sie auch Therapeutin. „Und für manche Kunden bin ich einfach nur ein Gesprächspartner – sie erzählen mir Dinge, die sie zu Hause nicht erzählen können.“
Es klingelt – alle Blicke richten sich auf den Monitor, der über der Tür hängt. „So können wir sehen, wer vor der Tür steht“, sagt Kim, die inzwischen eine Jeans, ein Shirt und Sneakers trägt. In zwei Stunden muss sie ihre Kinder aus dem Kindergarten abholen und in ihr Leben als Mutter zurückkehren.
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Männer, die für Sex bezahlen, hatten im Durchschnitt 19,9 Sexualpartnerinnen und -partner im Leben, darunter 7,3 bezahlte Partnerinnen und Partner. Im Rahmen der Studie „Gesundheit und Sexualität in Deutschland“ (GeSiD) wurden von 2018 bis 2019 die Daten von 2336 Männern im Alter von 18 bis 75 Jahren mit Wohnsitz in Deutschland, die persönlich befragt wurden, ausgewertet. Diese Männer sagten, dass sie überwiegend Vaginalverkehr in inländischen Bordellen kaufen. Diese Erfahrungen haben auch Nicole, Kim und Mia.
Und was, wenn einer dieser Männer einmal querschlägt? „Das passiert selten“, sagt Mia. „Die Männer hören schon auf das, was du im Zimmer sagst.“ Im schlimmsten Fall bricht sie ab, wirft den Mann raus. Zur Not mithilfe des Notknopfes, der in jedem Zimmer hängt. „Der Knopf sendet direkt ein Notsignal an die Polizei.“ Einmal, so erzählt sie, habe ein Freier gedacht, dass er so den Zimmerservice rufen könne. „Kurze Zeit später stürmte die Polizei das Haus.“ Sie lacht. Einen echten Ernstfall kennt sie nicht. Ein mögliches Sexkaufverbot würde ihnen diese Sicherheit nehmen, da Bordelle wie dieses dann schließen müssten.
Wieder klingelt es an der Tür. Mia bricht das Gespräch ab. Sie verlässt den Privatbereich mit einer weiteren Sexarbeiterin. Denn der Freier hat gleich zwei Frauen gebucht. Schon beim Öffnen der Tür riecht es nach Vanille. Auf der Treppe zu den Zimmern stehen Duftkerzen. Sie sollen ein wohliges Ambiente schaffen. Die Wände erwartet ein neues Geheimnis.
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