Arnsberg. Ausstellung des Kunstvereins Arnsberg rückt Menschen in späterer Lebensphase in den Fokus

Die Nachfrage nach Plätzen im Fitnessstudio wird immer größer, in den sozialen Medien kaschieren Bildbearbeitungsprogramme die Fältchen aus den Gesichtern der Plattformnutzer, und Anglizismen nehmen eine immer bedeutendere Rolle im deutschen Sprachraum ein. Jedes Jahr wird die Liste mit gesellschaftlichen Veränderungen wie diesen ein gutes Stück länger; sie ist ein Indikator für die tiefe menschliche Sehnsucht nach Jugend einerseits und dem Drang, dem Altern zu entfliehen, andererseits. Hinten über fällt in diesem Wandel allerdings oft die Position der Älteren, die in der dem vitalen Idealtyp zugewendeten modernen Gesellschaft oft vernachlässigt oder gar unsichtbar sind. Diesem Problem stehen der Kunstverein aus Arnsberg zusammen mit Anna Anderegg in der aktuellen Videoausstellung „Silver Boom“ gegenüber.

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Dort werden Ton- und Bildaufnahmen der von Anna Anderegg in Arnsberg geleiteten, gleichnamigen Werkstatt sowie andere, explizit hier zugängliche Videos präsentiert. Von persönlichen Erfahrungsberichten und Lebensgeschichten, über die Eindrücke der finalen Aufführung der Werkstatt, bis hin zu Aufnahmen stark emanzipierter, sich couragiert bewusst freizügig zeigender Frauen gibt es hier eine weite Bandbreite, die die eigene Lebensrealität erweitert.

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Neben den Bildern aus Arnsberg dürfen sich die Besucher der aktuellen Ausstellung jedoch noch auf weitere zum Themenkomplex gehörende Inhalte aus aller Welt freuen. Anna Anderegg leitet nämlich bereits seit 2020 das Projekt „Silver Boom“. Verschiedenste Stimmen erfahrener Frauen kommen somit in Arnsberg zur Geltung. „Eigentlich sind bei Annas Projekt die Videos der Werkstatt immer nur ein kleines Geschenk für die Teilnehmerinnen, aber wir dachten uns, die Aufnahmen sind so wunderbar und wertvoll, dass wir sie zeigen müssen“, erklärt Kuratorin Pauline Doutreluingne die Idee hinter der neuen Ausstellung. „Hier werden alte Muster aufgebrochen, es gibt Tabubrüche und letztendlich befreit das die Frauen und Männer.“

Auch das beinahe kafkaeske Bild der sich aus dem eigenen Papiergewand befreienden Teilnehmerinnen ist auf der Königsstraße als des gesamten Projekts zu sehen.<br/><br/>
Auch das beinahe kafkaeske Bild der sich aus dem eigenen Papiergewand befreienden Teilnehmerinnen ist auf der Königsstraße als des gesamten Projekts zu sehen.

© Unbekannt | Tim Drinhaus

Tatsächlich sind auf den vielen Monitoren in den Räumlichkeiten des Kunstvereins Eindrücke zu gewinnen, die zunächst befremdlich wirken. Langsam im Kollektiv durch die Städte schleichende Frauen über 60 brechen aus ihrer einheitlichen Formation aus und begeben sich in ungewöhnliche und starre Positionen, die keineswegs in das gewohnte Städtebild zu passen scheinen. Auf einem anderen Bildschirm ist eine ältere Dame zu sehen, die mit jugendlicher, bunter Mütze und Jeansjacke gekleidet der an sie gerichteten Erwartungshaltung eines beige-eintönigen Kleidungsstils trotzt.

Große Lautsprecher

Ein Zimmer weiter liegt der Fokus dann auf der akustischen Wahrnehmung der Werkstatt. Über große Lautsprecher werden Vorstellungsgespräche befragter Frauen abgespielt. Sie erzählen von ihrer Kindheit, von Problemen bei der Alltagsbewältigung, seitdem sie in die Jahre gekommen sind, oder auch von Grenzen, ab der es ihnen schwerfalle, einen privaten oder beruflichen Neuanfang zu wagen.

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Höhepunkt der Ausstellung ist ein Videozusammenschnitt, „bei dem sehr viel Mut gefordert war“, meint Anna Anderegg – und das nicht ohne Grund. „Wir arbeiten hier bewusst mit viel Haut“, kommentiert die Künstlerin das Video sich nackt räkelnder Seniorinnen, „um die Idealtypen unserer Gesellschaft zu durchbrechen.“ Genau deshalb sei „Silver Boom“ auch auf Frauen zugeschnitten: „Frauen müssen jung und attraktiv sein, jedes Altern wird verdeckt oder ansonsten kommentiert. Wir wollen Impulse für eine neue Sichtweise bieten, bei der insbesondere Frauen nicht auf ihr Äußeres reduziert werden.“ Der Mut der Teilnehmerinnen, sich so vor der Kamera zu präsentieren, habe Anna selber sehr inspiriert: „Ich habe Frauen kennengelernt, die ich mir zum Vorbild gemacht habe. Wenn ich selber mal alt bin, möchte ich werden wie sie.“

Und das sei auch das Ziel der Ausstellung: Die Besucher sollen ihre gewohnten Idealbilder überdenken und tolerant für andere sein, sodass Platz für eine freiere und kollektivere Gesellschaft geschaffen werde. Auch freuen können sich die Arnsberger auf Videos der Aufführung des Straßenprojekts. Einzelne Ausschnitte eines Rundgangs durch die Altstadt, in denen sich die Werkstattteilnehmerinnen in ihre absurd erscheinenden Positionen begeben, sind hier zusammen mit Bildern zu sehen, auf denen sich die Frauen aus einem selbst gebauten Papierkostüm befreien, indem sie eben dieses zerreißen.

Interessierte können sich die Ausstellung bis zum dritten September im Haus des Kunstvereins auf der Königsstraße ansehen.