Arnsberg. Gelungene Premiere des Projekts „Silver Boom“ unter Leitung von Choreographin Anna Anderegg.

Zehn Zehn Frauen im Alter zwischen 66 und 79 Jahren haben eineinhalb Wochen intensiv eine Theaterperformance im öffentlichen Raum geprobt. Sie hatten den Mut, am Projekt „Silver Boom“ des Kunstvereins im Rahmen des Arnsberger Kultursommers teilzunehmen. Nun stehen sie mit ihrer einfühlsamen Choreographin Anna Anderegg auf dem Neumarkt zur Premiere. Unauffällig haben sie sich weiträumig verteilt. Da bewegt sich eine zur Platzmitte und die Gruppe verdichtet sich um sie.

Den Darstellerinnen gelingt es, eine größere Zuschauerschar zum Mitgehen zu animieren, bevor sie sich mit ihr gemächlich langsam über den Steinweg und den Lindenberg hinunter bewegen. Immer mehr Leute stoßen hinzu. Lautsprecherstimmen der beteiligten und weiterer Frauen begleiten sehr anrührend die Schreitenden, indem sie sich zu Höhen und Tiefen ihres nunmehr langen Lebens mit Rückschlägen, Perspektiven und auch Anekdoten bekennen.

Lebende Statuen

Plötzlich wird der Zug der Menschen überrascht von Darstellerinnen, die die Gruppe entschlossen verlassen, um am Straßenrand zu lebenden Statuen an Hauselementen, auf Bänken, an Pfosten oder auf dem Boden liegend zu mutieren. Diese Inszenierung aus verhaltener Bewegung, bekennenden Erzählungen und der immer wieder in ihrer Performance verharrenden Darstellerinnen am Wegesrand lenken die Gedanken unwiderstehlich auf das Anliegen der älteren Frauen, sich in unserer, von jüngeren Generationen bestimmten Gesellschaft bemerkbar zu machen. Auf der Treppe an Tilmanns Gässchen gelingt dies umso eindringlicher, wenn die Leute hautnah an den Frauen hindurchsteigen, die wie eingefroren auf den Stufen sitzen oder liegen. Der Straßenzug des Steinwegs bildet nun die Kulisse einer Kette mit den Akteurinnen als Gliedern, die ständig von hinten nach vorne wechselnd die Linie voranschieben und in entschlossener Haltung mit ausgestrecktem Arm symbolisieren: es geht immer nach vorne.

Ungewöhnliches am Wegerand...
Ungewöhnliches am Wegerand... © WP | Jochem Ottersbach

Überwältigende Schlussszene

Überwältigende Schlussszene vor dem Lichthaus im Klosterhof: Jede, der in Formation aufgestellten Frauen entfaltet einen großen Papierbogen. Die Lautsprecher verstummen. In der geheimnisvollen Stille ist nur das Knistern und Rascheln des Papiers zu hören, als sich die Darstellerinnen damit wie in Zeitlupe bekleiden, um dann ihr Gewand entschlossen in Stücke zu reißen. Diese Szene des symbolischen befreienden Zerfetzens und Wegwerfens belastender Dinge, die man nicht mehr möchte, beeindruckt die Zuschauerin Karin (70) so, dass ihre anfängliche Skepsis, warum alternde Frauen ihre Probleme zur Schau stellen müssen, wo derzeit alle ihre Sorgen haben, umschlägt und sie erkennt: „Das bin ich, das ist mein Leben.“ Einer, der es wissen muss, Yehuda Almagor, dessen experimentelles Teatron Theater zusammen mit seiner Frau Ulla seit Jahren ein Highlight auf die Arnsberger Kulturszene setzt, zeigte sich begeistert: „Bescheiden und ruhig, aber eindringlich wird man mit den anrührenden Texten und den lebenden Skulpturen in einen intensiven Raum geführt, in dem man schwer vorbeisehen kann. Arnsberg braucht das!“

Älteste Teilnehmerin ist 79

Die älteste Teilnehmerin Brigitte Witte (79) ist nach der Premiere glücklich, dass sie in ihrem Alter ein sehr anregendes Gruppenerlebnis hatte mit den einfühlsamen Regieanweisungen unter der Prämisse „Wir machen das Ding“, das jetzt den Leuten gut gefallen hätte und das sie verstanden haben. „Schön auch, sich dabei selber zu finden.“ Und schließlich Choreografin Anna Anderegg: „Ich bin sehr stolz auf die Teilnehmerinnen, die in so kurzer Zeit, die Stadt erobern konnten.“