Arnsberg/München. Peter August Kessler aus Arnsberg lebt seit 30 Jahren offen homosexuell. Doch in seiner Heimat konnte er das bislang nicht zeigen – bis jetzt.

Seit mehr als 30 Jahren lebt der gebürtige Oeventroper Peter August Kessler offen schwul in München. Er selbst nennt sich „schwuler Sauerländer im Exil“. Heute kann er über seine sexuelle Orientierung sprechen, doch als Jugendlicher im Sauerland Mitte der 1980er hatte er Angst vor seinem Coming-out. Im Interview spricht er über fehlende schwule Vorbilder auf dem Land, Mobbing in der Schule und eine lebenslange Sehnsucht.

In ihrem Youtube-Video sagen Sie ,Schwul sein war Mitte der 1980er Jahre etwas, worüber man lachte, es war pervers, es war ein Skandal’. Wie haben Sie sich damals als junger Mann im ländlichen Oeventrop gefühlt, als Sie ahnten, dass Sie homosexuell sind?

Peter August Kessler: Ich konnte es nicht einordnen. Ich wusste überhaupt nicht, was es ist. Ich habe mich unsichtbar gefühlt, weil es diese Lebensform nicht gab. Es gab keine positiven Vorbilder. Im Sauerland gab es so etwas damals nicht. Ich habe 1987 am Laurentianum mein Abitur gemacht und ich weiß jetzt, dass es auch in meiner Stufe Schwulen und Lesben gab, aber das wusste man damals nicht. Wen hätte ich fragen sollen? Mir fehlte das Zugehörigkeitsgefühl.

Steckbrief: Peter August Kessler

Geboren und aufgewachsen ist Peter August Kessler 1967 in Arnsberg-Oeventrop. 20 Jahre später macht er 1987 sein Abitur am Gymnasium Laurentianum. Drei Jahre später zieht er 1990 für ein Studium der Germanistik und Anglistik an der Ludwig-Maximilians-Universität nach München, wo er noch heute lebt.Der Literaturdozent war unter anderem mehrere Jahre als Buchhändler und Deutschlehrer tätig. Seit 2014 ausgebildeter Goldmund-Märchen- und Geschichtenerzähler.

Peter August Kessler spricht erstmals über sein Coming-out

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Es war ein Bruch. Ich lebte gerne im Sauerland. Ich war ein glücklicher Jugendlicher, hatte Freunde, war kein Außenseiter und meine Familie ist war dort immer sehr stark verwurzelt. Und auf ein Mal hatte ich das Gefühl, dass ich nicht mehr dazugehöre. Das hatte niemand gewusst. Ich hatte immer das Gefühl: Da ist etwas, das ich verheimlichen muss.

>>> Regenbogenfahne an der Propsteikirche in Arnsberg gehisst.

In dem Video erzählen Sie auch, dass Sie daran gedacht haben, sich umzubringen. Was hat Ihnen in dieser Situation geholfen?

Da haben mir meine Eltern geholfen. Sie haben sich vor mich gestellt und gesagt: ,Du bist unser Sohn’. Nach dem Abitur bin ich dann umgehend nach München gezogen und habe Germanistik studiert. Das hätte ich auch in Münster, Köln oder Dortmund machen können. Aber für mich musste es München sein, damit 600 Kilometer dazwischen sind. Es war ein Instinkt und wollte irgendwo ganz neu anfangen. In München habe ich dann irgendwann offen schwul gelebt , aber meine Eltern wollten lange Zeit, dass es in Oeventrop und Arnsberg nicht bekannt wird.

Angst vor dem Coming-out in der Heimat

Im Nachhinein haben mir und meinen Eltern die Politiker geholfen, die sich öffentlich zu dem Thema geäußert haben, wie Berlins ehemaliger Bürgermeister Klaus Wowereit oder der gebürtige Sauerländer Franz Müntefering, der sich öffentlich zu seiner lesbischen Tochter bekannt hat - das waren positive Figuren für mich. Und gerade für meine Eltern war das auch sehr wichtig.

Sie hatten ihr Coming-out in München und nicht in Oeventrop. Was waren Ihre Sorgen?

Dass jemand den Kontakt abbricht. Ich kann das jetzt nicht mehr so richtig fassen: Das ist eine diffuse Angst. Eine Angst vor sozialer Ablehnung und Ausgrenzung. Später habe ich mit meinem Coming-out in München positive Erfahrungen gemacht.

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Waren die Menschen in München toleranter? Welche Unterschiede haben Sie zwischen Dorf und Stadt erlebt?

Das war Ende der 1980er Jahre in München auch noch ganz anders, als es heute ist. Das wurde in München auch teilweise geächtet. Aber es gab Gruppen an der Universität, wo sie sich Menschen suchen konnten, die so sind wie sie sind. In der Stadt gab es mehr Orientierungsmöglichkeiten und man war anonymer.

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Was hat sich in den vergangenen 30 Jahren geändert?

Mit dem Christopher Street Day gibt es zum Beispiel ein festes Ereignis im Jahr, wo nicht nur Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender hingehen, sondern auch Mütter mit Kinderwagen. Die Szene ist mittlerweile viel größer geworden, vieles ist selbstverständlicher. Im Sauerland im Übrigen aber auch. Nach und nach gab es da auch Menschen, die ihre sexuelle Orientierung ausgelebt haben und im Ortsleben anerkannt waren. Ich habe aber auch Schwule und Lesben kennengelernt, bei denen klar war, dass die Eltern und Verwandten im Sauerland das nicht wissen durften.

Warum auf dem Land schwule und lesbische Vorbilder fehlen

Damals gab es wenig homosexuelle Vorbilder für Sie in Oeventrop. Jetzt sprechen Sie offen darüber, wohnen aber in München. Wie lässt sich das im ländlichen Raum ändern?

Ich bin vielleicht für manche ein Vorbild, weil ich mich traue etwas zu sagen. Ich kann mich aber auch mehr trauen, weil ich nicht mehr in Oeventrop wohne. Die Resonanz auf mein Video war sehr positiv. Auch der derzeitige Bürgermeister Ralf Paul Bittner hat das Video im Internet positiv bewertet. Und was vielen auch Mut macht, ist zum Beispiel die Regenbogenfahne, die an der Propsteikirche und in der Kirche Oeventrop gehisst wurde. Es ist ein Symbol der Hoffnung. Das macht der Pastoralverbund meiner Meinung nach sehr gut. Es ist wahnsinnig wichtig, dass die Kirche in der Stadt Arnsberg sagt, wir stehen hinter euch und ihr seid Teil dieser bunten Sauerlandgesellschaft. Das hat mich wahnsinnig berührt.

Wie ist es mit der Schule? Häufig hört man von der Angst vor Mobbing nach einem Coming-out als Jugendlicher.

Ich habe in München sieben Jahre als Deutschlehrer gearbeitet und selbst in so einer Großstadt hätte ich kein schwuler Schüler sein wollen. Wie das in Arnsberg ist, kann ich nicht beurteilen. Aber es ist vermutlich leichter als früher. Ich denke jedoch, dass das im Sauerland auch immer noch ein Thema ist.

Wie der Druck von dem Coming-Out bei Jugendlichen genommen werden kann

Was würden Sie Jugendlichen heute raten und wie kann der Druck von dem Coming-out genommen werden?

Die Menschen machen unterschiedliche Erfahrungen und zum Glück ist es so, dass es viel mehr Leute gibt, die das positiv sehen. Es kommt auf die Lebenssituation drauf an, aber ich denke, es ist besser, es zu versuchen und zu schauen, wer diesen Weg schon gegangen ist. Hilfreich kann auch sein, sich zu vernetzen. Man muss es probieren. Für mich war es danach eine Befreiung.

Auf Ihr Video erhalten Sie derzeit viele positive Rückmeldungen. Haben Sie daran gedacht, nach Oeventrop zurückzukehren?

Ja, da denke ich immer wieder dran. Das ist eine lebenslange Sehnsucht bei mir. Ich bin immer noch ein Sauerländer. Die Resonanz auf das Video macht es mir jetzt leicht, auch wenn es noch von anderen Faktoren abhängig ist. Im Moment denke ich, dass Oeventrop auch für einen schwulen Mann ein gutes Pflaster ist.