Hochsauerlandkreis. Während überall die Vorbereitungen laufen, zeigt die Städte im Altkreis Brilon wenig Eile, sich auf Neuwahlen einzustellen - mit einer Ausnahme.
Es ist ein bemerkenswertes Zeichen deutscher Verwaltungsrealität: Während Bundeskanzler Olaf Scholz längst angekündigt hat, die Vertrauensfrage zu stellen, und Union sowie SPD über Wahltermine verhandeln, begegnen einige Städte im Sauerland der Anfrage der Westfalenpost zur Wahlvorbereitung mit starker Zurückhaltung.
„Derzeit ist ein Termin für – mögliche – vorgezogene Neuwahlen nicht bekannt“, lautet die nahezu wortgleiche Antwort aus Marsberg, Olsberg, Hallenberg während Winterberg sogar die Frage aufwirft, ob es überhaupt „zu einer Neuwahl kommen werde“. Zum Zeitpunkt der Anfrage stand der finale Wahltermin zwar noch nicht fest. Doch ob es Neuwahlen gibt, diese Debatte war auch schon zum Zeitpunkt der Anfrage vom Montag, 11. November, lange gelaufen. Die Stadt Brilon antwortet ebenfalls fast gleichlautend. Dass es eine Neuwahl geben wird, wird aber zumindest aus dieser Stadt nicht angezweifelt. Mittlerweile haben sich SPD und CDU auf einen Wahltermin am 23. Februar geeinigt.
Verwaltungssprache als Defensivstrategie
Besonders auffällig wird die defensive Haltung im weiteren Verlauf der Antworten. Alle fünf Städte, mit Ausnahme von Medebach, flüchten sich in eine identische Formulierung: Die Verwaltung werde „gemäß dem gesetzlichen Auftrag“ die Wahl vorbereiten und durchführen. Eine Aussage, die so selbstverständlich ist wie die Tatsache, dass Rathäuser Pässe ausstellen und Müll abgeholt wird.
Die Vertrauensfrage
In der Geschichte der Bundesrepublik wurde die Vertrauensfrage nach Artikel 68 des Grundgesetzes bisher nur fünfmal gestellt. Zwei dieser Anfragen gingen auf den SPD-Kanzler Gerhard Schröder zurück (November 2001 und Juli 2005), während auch seine Vorgänger Willy Brandt (1972), Helmut Schmidt (1982) und Helmut Kohl (1982) dieses Mittel nutzten, um entweder ihr Mandat zu stärken oder Neuwahlen herbeizuführen.
Regelungen im Grundgesetz
Artikel 68 des Grundgesetzes regelt die Vertrauensfrage nur knapp. Er erlaubt es dem Kanzler, die Vertrauensfrage zu stellen. Findet sein Antrag keine Mehrheit im Bundestag, kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Kanzlers das Parlament innerhalb von 21 Tagen auflösen. Zudem verlangt Absatz 2, dass mindestens 48 Stunden zwischen Antragstellung und Abstimmung liegen müssen.
Echte und unechte Vertrauensfrage
Der Kanzler kann die Vertrauensfrage mit einer Sachentscheidung verknüpfen, wie es Schröder 2001 tat, als er die Entsendung deutscher Truppen nach Afghanistan beschließen ließ. Diese sogenannte „echte Vertrauensfrage“ bindet das Vertrauen der Abgeordneten an eine konkrete politische Entscheidung. 2005 stellte Schröder die Frage jedoch ohne Sachthema – eine „unechte Vertrauensfrage“, die ihm im Verlustfall Neuwahlen ermöglichte. Das Bundesverfassungsgericht entschied damals, eine unechte Vertrauensfrage sei zulässig, wenn dem Kanzler die Mehrheit im Bundestag fehle und seine Handlungsfähigkeit dadurch beeinträchtigt sei.
Auswirkungen auf die aktuelle Regierung
Nach dem Rückzug der FDP und dem Verlust der Mehrheit führt Kanzler Scholz nun eine rot-grüne Minderheitsregierung. Ihm fehlen die notwendigen Stimmen, um eine kontinuierliche und stabile Politik zu gewährleisten. Für künftige Entscheidungen wäre er auf Unterstützung aus der Opposition angewiesen, was seine Handlungsfähigkeit erheblich einschränkt. (dpa)
Medebachs pragmatischer Ansatz
Einen erfrischenden Gegenpol bietet Thomas Grosche, CDU-Bürgermeister von Medebach und designierter CDU-Landratskandidat im Hochsauerlandkreis: „Die Hansestadt Medebach wird eine vorgezogene Bundestagswahl im Rahmen unserer organisatorischen und logistischen Möglichkeiten und unter Beachtung gesetzlicher Vorgaben umsetzen können“, so Grosche
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Grosche geht ins Detail, spricht von „temporären Arbeitsspitzen“ und plant bereits konkrete Maßnahmen: „Hinsichtlich der Einberufung von Wahlhelfern sowie dem notwendigen Vorhalten der Wahllokale können einige Vorarbeiten relativ zeitnah umgesetzt werden.“ Er denke sogar schon über die Mobilisierung junger Wahlhelfer über soziale Medien nach.
„Hinsichtlich der Einberufung von Wahlhelfern sowie dem notwendigen Vorhalten der Wahllokale können einige Vorarbeiten relativ zeitnah umgesetzt werden.“
Die zögerliche Haltung der meisten Kommunen im Altkreis steht im großen Kontrast zur Dynamik auf Bundes- und Landesebene. Nordrhein-Westfalens Landeswahlleiterin Monika Wißmann hat bereits konkrete Vorbereitungen eingeleitet und steht im engen Austausch mit den Kreiswahlleitern.
Bundeswahlleiterin Ruth Brand hatte in einem früheren Schreiben an Bundeskanzler Scholz zwar auf Risiken bei einem zu frühen Wahltermin hingewiesen, sieht aber den nun diskutierten Februar-Termine als „rechtssicher durchführbar“ an.
Praktische Herausforderungen
Dabei sind die Herausforderungen real und erheblich: Die Parteien müssen in Rekordzeit ihre Kandidaten aufstellen, kleinere Parteien Unterstützungsunterschriften sammeln. Für Druck und Versand der Stimmzettel werden etwa zwei Wochen benötigt. Die vom Grundgesetz vorgesehene 60-Tage-Frist nach Auflösung des Bundestags setzt den zeitlichen Rahmen.
Die Kommunen müssen Wählerverzeichnisse erstellen, Wahlbenachrichtigungen verschicken - auch an Deutsche im Ausland - und Wahllokale organisieren. Mehrere hunderttausend Wahlhelfer müssen bundesweit rekrutiert und geschult werden. „Zeitlicher Druck in der Wahlvorbereitung steigert naturgemäß die Schwierigkeiten bei der Organisation und erhöht die Fehleranfälligkeit“, warnt NRW-Wahlleiterin Monika Wißmann.
Historische Parallelen
Der letzte vergleichbare Fall liegt fast 20 Jahre zurück: Nach der verlorenen Vertrauensfrage von Kanzler Gerhard Schröder wurde der Bundestag am 21. Juli 2005 aufgelöst - 59 Tage später, am 18. September, wurde gewählt. Damals lagen zwischen der Entscheidung für eine Neuwahl und dem Termin 119 Tage, jetzt sind es voraussichtlich 109 Tage.