Marsberg. Ein Mann sticht in einer Flüchtlingsunterkunft in Marsberg-Westheim einen anderen Mann nieder. Das Gericht kommt zu einem überraschenden Urteil.
Dass der 44-jährige Angeklagte aus Marsberg am 9. Juni letzten Jahres seinen Kontrahenten mit einem Messer schwer verletzt hatte, stand von Beginn des Prozesses an fest. Es wurde auch nie bestritten. Nur: hat er damit, so wie die Staatsanwaltschaft dies vor dem Schwurgericht des Landgerichtes Arnsberg angeklagt hatte, den Versuch eines Totschlages unternommen, oder hat er in einer Notwehrsituation gehandelt? Am Ende gab es einen Freispruch.
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Es galt speziell diese für ein Urteil ausschlaggebende Frage zu klären. Dies aber stellte sich in zwei Verhandlungstagen als äußerst schwierig heraus. Die Tat direkt hatte nur der schwer kranke Vater des Angeklagten gesehen. Er berichtete als Zeuge das, was sein Sohn schon in seiner Stellungnahme am ersten Prozesstag ausgesagt hatte, nämlich, dass er von seinem Mitbewohner in der Flüchtlingsunterkunft in Marsberg-Westheim nach einem zunächst verbalen Streit mit dem Mitbewohner geschlagen und gewürgt worden war. Er sei so gewürgt worden, dass ihm schwarz vor Augen wurde und keine Luft mehr bekam. „Ich dachte, ich sterbe“, erklärte er.
Verletzter krabbelt blutend zur Tür
Während des Würgens will er ein Messer ergriffen und auf seinen Kontrahenten eingestochen haben. Andere Mitbewohner der Unterkunft hatten die Szene erst nach der eigentlichen Tat mitbekommen. Sie hatten den Verletzten blutend auf dem Boden zur Tür krabbeln gesehen, während der Angeklagte aus dem Haus lief. Alle Bewohner, auch der vermeintliche Täter und der Geschädigte waren damals alkoholisiert.
Es fließen reichlich Bier und Wodka
Am Vormittag hatte man reichlich Bier und am Nachmittag Wodka getrunken. Die zunächst polizeiliche Vernehmungen und die Anhörungen der Zeugen vor Gericht erbrachten kein klares Bild der Situation rund um das Geschehen. Das Tatmesser war nie gefunden worden, es sollte von dem Angeklagten direkt nach der Tat bei seiner Flucht aus der Unterkunft in die Diemel geworfen worden sein. Nach den verbliebenen unzureichenden Erkenntnissen beantragte die Staatsanwältin, den Angeklagten freizusprechen. „Es konnte in der Beweisaufnahme nicht geklärt werden, ob die Messerstiche während des Würgens erfolgten, oder ob dieser Angriff schon beendet war und der Angeklagte erst dann zugestochen hatte. Es bleiben Zweifel, die zu einem Freispruch führen müssen“, argumentierte die Staatsanwältin.
„Mein Mandant hat zugestochen als er gewürgt wurde. Er konnte sich vom Würgegriff nicht anders befreien. Seine Handlung war auch verhältnismäßig.“
Der Verteidiger Oliver Brock: „Mein Mandant hat zugestochen als er gewürgt wurde. Er konnte sich vom Würgegriff nicht anders befreien. Seine Handlung war auch verhältnismäßig. Deshalb beantrage ich einen Freispruch.“
Das Schwurgericht sah diese Argumentation ebenso und sprach den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlages frei. „Ob die Stiche zum Zeitpunkt des Angriffes tatsächlich erfolgten, konnte nicht gänzlich geklärt werden. Diese Unklarheit darf nicht zu Lasten des Angeklagten gewertet werden. Es muss von einer Notwehrsituation ausgegangen werden, so begründete der Vorsitzende Richter das Urteil. Weder die Staatsanwaltschaft noch die Verteidigung wollten ein Rechtsmittel einlegen. Deshalb wurde das Urteil sofort rechtskräftig. Der Haftbefehl wurde aufgehoben, und der Angeklagte wird für die Zeit seit seiner Festnahme bis zu seinem Freispruch finanziell entschädigt.