Winterberg. Politiker fühlen sich in Winterberg durch eine E-Mail unter Druck gesetzt. Es gibt Kritik an der Gründung eines kommunalen Energieunternehmens.

Der Ratssaal der Stadt Winterberg ist an diesem Abend proppenvoll. Die Luft stickig und schwül. Die Gemüter einiger Ratsmitglieder und Zuschauer erhitzt. Manche Besucher haben Handzettel dabei, auf dem die Menschen aufgefordert werden, an der Sitzung teilzunehmen: „Helft bitte mit, unser schönes Winterberg zu schützen!!“, heißt es da. Der Tagesordnungspunkt 3.10: „Gründung eines kommunalen Unternehmens und Beteiligung an einem Unternehmensverbund mit einem Unternehmen der Energiewirtschaft zur Erzeugung regenerativer Energien“ hat sie mobilisiert. Im Kern geht es um die Errichtung von Windrädern rund um Winterberg. Eigentlich will die Stadt keine Windräder in ihrer Region haben. Doch eine gesetzliche Vorgabe zwingt sie dazu. Durch die Gründung eines kommunalen Unternehmens will man sich zumindest weiterhin Handlungsspielräume erhalten und auch mitverdienen. Im Vorfeld hatte die Initiative „HSK-Gegenwind“, die sich aktuell in der Gründungsphase befindet, mit Flyern dafür geworben, an der Sitzung teilzunehmen.

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Außerdem hatten die Aktivisten an sämtliche Ratsmitglieder E-Mails geschickt und sich gegen das Aufstellen von Windrädern in Winterberg positioniert. Zudem wurden die Stadträte mit Fragen beispielsweise wie: „Möchte ich in 2025 für eine weitere Legislaturperiode in den Stadtrat von Winterberg gewählt werden?“, oder „Wie hoch ist mein privates Haftungsrisiko als Ratsmitglied, da auch nach aktueller Wissenschaftslage hohe gesundheitliche Risiken für die Bürgerinnen und Bürger des Stadtgebiets und der angrenzenden Städte bestehen, die als vorsätzlich oder grob fahrlässig gewertet werden können?“, konfrontiert.

CDU-Fraktionsvorsitzender Timo Bundkirchen

„Mich irritiert, dass die FWG das Thema nutzt, um Stimmung zu machen, wohl wissend, dass wir keinerlei Wahl haben“

Timo Bundkirchen

Bürger soll am Ende profitieren

Dabei ist das Aufstellen der Windräder schon längst keine Frage mehr - es ist Gesetz. Jahrzehntelang hatte sich der Rat der Stadt Winterberg gegen die Installierung der Windenergieanlagen ausgesprochen. Bis jetzt hat sich an dieser Position auch nichts geändert, betont Bürgermeister Michael Beckmann bei seinen Ausführungen, der negative Folgen für den Winterberger Tourismus fürchtet. „Durch das Wind-an-Land-Gesetz haben wir das Heft des Handelns nicht mehr in der Hand“, sagt er. Denn aufgrund der neuen Vorgaben, die am 1. Februar 2023 in Kraft traten, wurden die Bundesländer dazu verpflichtet, bestimmte Anteile ihrer Landesfläche für Windenergieanlagen auszuweisen. Diese Vorgaben sollen sicherstellen, dass insgesamt zwei Prozent der Fläche Deutschlands bis 2032 für Windenergie genutzt werden können. Auch Winterberg muss seinen Beitrag leisten.

Bislang sind dafür vier Prozent der Stadtfläche ausgewiesen worden, die Verwaltung selbst hoffe noch darauf, dass sie die Zahl auf zwei Prozent drücken kann, erklärt Beckmann. Doch selbst entscheiden könne sie nicht mehr. Lediglich habe man die Möglichkeit, seine Meinung zu äußern. „Wir werden weiter kämpfen“, sagt er. In neun sogenannten Windenergiebereichen dürfen Windräder aufgestellt werden. Bereits vier Bereiche seien an private Investoren verpachtet worden. „Dass fremde Projektierer an unserem Wind Geld verdienen, hätte ich mir niemals vorstellen können“, so der Bürgermeister kopfschüttelnd, der noch einmal deutlich machte, wie wichtig es sei, den ausgerufenen „Winterberger Weg“ zu beschreiten. Deshalb sei die Gründung eines eigenen Energieunternehmens so wichtig. So wolle man die Wertschöpfung vor Ort maximieren und die Bürger maximal beteiligen.

Chancen überwiegen die Risiken

Die Beteiligung erfolgt in Zusammenarbeit mit der KT Energie Ventures GmbH, die ebenfalls als Gesellschafter fungieren wird. Dessen Geschäftsführer Norbert Menke betont, dass man den Flächenbesitzern „sehr attraktive Angebote“ machen werde. Man strebe ein „faires Modell“, bei dem man zudem touristische Belange berücksichtigen werde. Er könne sich zudem Synergien, beispielsweise mit der Land- und Forstwirtschaft, vorstellen. „Energie wird ein Wirtschaftsfaktor für die Stadt werden. Die Chancen überwiegen die Risiken“, sagt er, während es im Publikum vereinzelt Gemurre, aber auch Applaus gibt.

Im Anschluss ergreift der Fraktionsvorsitzende der CDU, Timo Bundkirchen, das Wort. Er richtet sich direkt an die vielen Zuschauer und den Initiator der HSK-Gegenwind: „Die gezeigte Initiative respektieren und schätzen wir, ist es doch gelebte Demokratie, Meinungen sachlich auszutauschen und Mehrheiten zu finden“, sagt er. Mit dem Flyer und den Mails habe man grundsätzlich ein emotionales Thema hervorgehoben, das den Stadtrat schon seit vielen Jahren beschäftige und teilweise sehr gute Gründe genannt, warum man Windkraft insgesamt kritisch oder zurückhaltend sehen sollte. „Doch rein sachlich und objektiv betrachtet stellt sich die Frage, wollen wir Windkraft in Winterberg haben, Ja oder Nein leider überhaupt nicht mehr“, sagt er und verweist auf die jahrelange Debatte im Rat und das bestehende Gesetz.

Pöbelei in der Sitzungspause

Man wolle keinen unkontrollierten, massiven Ausbau der Windenergie vor Ort. „Wir haben uns mit den uns zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln, in Form einer Stellungnahme dagegen gewehrt. Das Ergebnis der Stellungnahme liegt allerdings noch nicht vor. Wir sind an die Öffentlichkeit gegangen und haben die Pläne für Winterberg transparent den Bürgern in Presse und Social Media dargestellt und haben zusätzlich zu öffentlichen Bürgerversammlungen eingeladen und zu dem Thema informiert“, so Bundkirchen an die Zuschauer gewandt. Der generelle Protest gegen Windkraft sei gerechtfertigt, aber: „Versuchen Sie nicht erneut die Ratsmitglieder anzugreifen oder unter Druck zu setzen. Das hat hier niemand verdient. Bleiben Sie sachlich und fair“, sagt er mit fester Stimme.

Die WP Brilon auf Social Media

Bundkirchen trägt wegen einer starken Erkältung an diesem Abend einen Mund-Nasen-Schutz. Trotz Maske kann man ihn auch bis in die hinteren Reihen gut verstehen. Auch hier gibt es Applaus, aber auch Unmutsbekundungen. In einer Sitzungspause wird Bundkirchen, laut eigener Aussage und Zeugen, von einer Frau verbal attackiert: „Da ist er ja! Endlich sieht man draußen mal das Gesicht. So eine Frechheit, hier mit Maske zu sitzen“, soll diese gesagt haben. Nachdem Bundkirchen seine Ausführungen beendet hat, meldet sich SPD-Mann Fritz Kelm zu Wort. Er sieht die Gründung des Unternehmens als „große Chance“. Die E-Mail-Aktion im Vorfeld der Sitzung bezeichnet er als „unter aller Sau“. Zudem habe er Gespräche mit vielen jungen Leute geführt, die der Windenergie nicht so kritisch gegenüber ständen. „Wir machen das hier für unsere Kinder und Enkelkinder“, sagt er.

Vier Mitglieder votieren dagegen

Dagegen kündigt der Vorsitzende der FWG-Fraktion, Sebastian Vielhaber, an, dass seine Fraktion gegen den Beschluss stimmen werde: „Wir werden da nicht mitmachen“, sagt er unter dem zustimmenden Applaus einiger Windkraftgegner im Publikum. Sein Fraktionskollege Heinrich Kräling wird sogar emotional. Aufgeregt und mit lauter Stimme, macht er seinem Ärger Luft. Als er darauf aufmerksam gemacht wird, dass es aufgrund der klaren Gesetzeslage keinerlei rechtliche Möglichkeiten gebe, den Bau von Windrädern zu verhindern, platzt es aus ihm raus: „Dann sollen sie doch klagen“, ruft er empört in den Sitzungssaal. Obwohl Bürgermeister Michael Beckmann darauf verweist, dass die FWG bei vorangegangenen Entscheidungen für die Gründung des kommunalen Unternehmens gestimmt hatte, bleiben die Fronten verhärtet. Vielhaber: „Wir haben uns mit diesem Thema sehr intensiv beschäftigt“, entgegnet er.

FDP-Mann Bernd Kräling ist ein Befürworter der Unternehmensgründung. Er sieht beispielsweise finanzielle Vorteile für die Stadt: „Ich will, dass die Gewinner hier bleiben“, erklärt er. Doch seine Argumente überzeugen die Gegenseite nicht. Dann meldet sich noch einmal Timo Bundkirchen zu Wort: „Mich irritiert, dass die FWG das Thema nutzt, um Stimmung zu machen, wohl wissend, dass wir keinerlei Wahl haben“, sagt er. Am Ende stimmen die drei FWG-Ratsmitglieder gegen die Gründung. Und sogar SPD-Mann Jürgen Niggemann hebt bei der Fragen „Wer ist dagegen?“, seine Hand. Ansonsten stimmen alle anderen Lokalpolitiker für den Vorschlag, das lokale Energieunternehmen zu gründen.

Am nächsten Tag meldet sich Tobias Stahlschmidt von der Initiative „HSK-Gegenwind“ bei der WP. Im Zuge der Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden der CDU und des SPD-Ratsmitgliedes Fritz Kelm sei die Rede von Drohungen in der Mail der Initiative gewesen. „Ich sehe aber definitiv keine Drohungen. Man könnte es als Druck ausüben verstehen“, teilt er per Mail mit.