Brilon. Anke Linke aus Brilon leidet an einem schmerzhaften Lipödem. Sie kämpft für eine OP und erzählt über das Leiden, ihren Mut und die Verzweiflung.

„Wenn ich meinen Mann und meine Kinder nicht hätte, dann wüsste ich wirklich nicht, wofür ich die ganzen Strapazen überhaupt noch auf mich nehmen soll.“ Anke Linke aus Brilon leidet an einem Lipödem dritten Grades, kämpft verzweifelt um eine Operation. „Ich war immer etwas korpulenter“, erzählt die Brilonerin, die Vielen als Inhaberin des Second-Hand-Ladens im Schützengraben bekannt ist.

Mit 19 Jahren ist die inzwischen 41-Jährige zum ersten Mal Mutter geworden und „da sind dann eben ein paar Schwangerschaftskilos hängen geblieben. Aber nichts Dramatisches.“ Dass sie ernsthaft erkrankt sein könnte, das dämmerte ihr erst viel später. Schleichend mehrten sich die Kilos auf der Waage, es folgten zahllose wie nutzlose Diäten. Kein Öl, keine Kohlenhydrate, abends nichts mehr essen. Nichts half. Während einer weiteren Schwangerschaft seien ihre Beine dann plötzlich nicht einfach dicker geworden, „sondern die Form hat sich verändert.“

Krankhafte und meist schmerzhafte Fettverteilungsstörung

Fast vier Millionen Menschen leiden allein in Deutschland an der krankhaften und meist schmerzhaften Fettverteilungsstörung. Betroffen sind vorwiegend Frauen. Die Krankheit führt zu einer unkontrollierten und nicht durch Ernährung und Bewegung beeinflussbaren Fettvermehrung an Beinen, Hüfte, Gesäß und oft auch an den Armen. Zwischen den Fettzellen kommt es zu Wassereinlagerungen.

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Anke Linke aus Brilon leidet an einem Lipödem dritten Grades, kämpft verzweifelt um eine Operation. © Felicitas Hendrichs | Felicitas Hendrichs

Ein typisches Unterscheidungsmerkmal zur normalen Adipositas sei ein Gefühl von Styroporkügelchen, wenn man mit den Fingern über die Haut streicht. Als möglicher Auslöser gelten Hormonschübe, wie etwa die Pubertät, oder, wie in Anke Linkes Fall, Schwangerschaften. Da auch eine genetische Komponente vermutet wird, die Krankheit somit also erblich bedingt sein kann, mache sich ihre Tochter oft Gedanken und Sorgen bezüglich eigener Schwangerschaften, erzählt die 41-Jährige.

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Die jüngsten ihrer fünf Kinder würden wiederum oft nicht verstehen, wieso sie nicht so laufen kann wie andere Mütter: „Ich sage dann immer ‚Mama hat kranke Beine‘“. Ihre Beine seien eben wahnsinnig schwer - „und die hebe ich ja den ganzen Tag. Das macht unheimlich müde.“

Manchmal schießen ihr einfach Tränen in die Augen

Oft habe sie auch blaue Flecken: „Die bekomme ich ganz schnell, wenn man mich nur ein bisschen zu fest anfasst oder wenn ich mich ganz leicht stoße.“ Dazu Spannungsgefühle, zum Teil sehr starke Schmerzen und Depressionen. „Ich habe ganz schlimme Heulphasen. Da bin ich einfach fertig und kann überhaupt nichts mehr machen. Da bringen mich schon Kleinigkeiten an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.“

„Mein Mann und ich haben uns auf der Michaelis-Kirmes kennengelernt, da ist also unser Jahrestag. Ich würde so gerne nochmal mit ihm Karussell fahren, aber ich bekomme die Bügel nicht mehr zu.“

Anke Linke

Manchmal könne sie ihren Laden nicht öffnen oder müsse ihn spontan schließen. Dafür hätten nicht alle Verständnis. „Dabei bräuchte ich gerade das so dringend“, appelliert die fünffache Mutter an ihre Kunden. „Mit dieser Erkrankung wird man ohnehin ausgegrenzt, und irgendwann grenzt man sich selber aus, weil man die Sprüche und Blicke nicht mehr ertragen kann.“ Zum Beispiel beim Schwimmen. Das habe sie immer gerne gemacht, es sei auch förderlich für ihr Lipödem - aber eben nicht für die Seele. Von klein auf spielt die Brilonerin Orgel. Auch das sei heute kaum noch möglich, weil sie „das Pedal nur für maximal zehn Minuten bedienen“ kann.

Operation würde helfen, ist aber in weiter Ferne

Sie sei in Bereichen eingeschränkt, über die sich „normale Leute“ gar keine Gedanken machen müssen. „Mein Mann und ich haben uns auf der Michaelis-Kirmes kennengelernt, da ist also unser Jahrestag. Ich würde so gerne nochmal mit ihm Karussell fahren, aber ich bekomme die Bügel nicht mehr zu.“ Anke Linke schießen die Tränen in die Augen: Oft fühle sie sich im wahrsten Sinne des Wortes einfach nur wie eine schwere Last. „Freizeitpark mit den Kindern macht natürlich auch nicht so viel Spaß, wenn man die ganze Zeit nur die Tasche halten darf.“ Beim Restaurantbesuch das Gleiche. „Da muss ich vorher auf der Homepage gucken oder anrufen, ob die Bänke haben. Auf Stühlen kann ich nicht lange sitzen, passe in manche auch gar nicht rein.“ Darum habe sie eigentlich gar keine Lust mehr, wegzugehen. „Zuhause ist meine sichere Burg.“

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Die Familie gibt ihr Kraft. © Felicitas Hendrichs | Felicitas Hendrichs

Anke Linkes Lipödem befindet sich im Stadium 3. Das ist die höchste Stufe. Unter ihrer Haut haben sich inzwischen zahlreiche schmerzhafte Knoten gebildet. Eine Operation würde helfen, ist aber in weiter Ferne. „Eine OP im Stadium 1 und 2 wird von den Krankenkassen in der Regel nicht übernommen, weil das als kosmetisches Problem gilt, also angeblich nicht schlimm genug ist. Ich bin jetzt im Stadium 3 und da werden die Kosten auch nicht übernommen, weil ich zu dick bin.“

Zweimal pro Woche zur Lymphdrainage

30 Kilo soll die Brilonerin vorher abnehmen. Sie bezeichnet das als „absolut unmöglich“. „So viel normales Fett habe ich gar nicht am Körper, das krieg ich nicht runter.“ Ihr sei von Ärzten bestätigt worden, dass der von den Kassen geforderte BMI von unter 35 für viele Frauen mit Lipödem gar nicht zu erreichen sei, da diese den Wert eben aufgrund ihrer Krankheit überschreiten. 

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Erst ein Arzt in einer Spezialklinik in Mühlheim an der Ruhr habe ihr „richtig erklären“ können, was genau ihre Erkrankung überhaupt bedeutet. Dort würde auch die Operation durchgeführt. „Ich wünsche mir die Operation natürlich sehr, habe auf der anderen Seite aber auch Angst davor. Es sind ja insgesamt sechs OPs.“

Zweimal pro Woche muss sie für jeweils eine Stunde zur Lymphdrainage. Das eigentliche Problem: Die Lymphdrainage entwässert, „man muss danach den ganzen Tag zur Toilette.“ Und auch das ist für die Mutter jedes Mal ein Kraftakt. Sie muss täglich eine extrem enge Kompressionsstrumpfhose tragen. Die nach einem Toilettengang wieder so hochzuziehen, dass sie richtig sitzt, könne bis zu 15 Minuten dauern - „Und kurz danach muss ich dann schon wieder.“ Nur nachts darf sie die Strumpfhose aus dickem, speziellen Strick ausziehen - bei hohen sommerlichen Temperaturen eine Katastrophe. Morgens muss sie sehr früh zusammen mit ihrem Mann aufstehen, damit der ihr beim Anziehen der Hose hilft. „Alleine ist das für mich unmöglich zu schaffen. Duschen kann ich darum auch immer erst abends.“

„Ich will ganz bestimmt kein Mitleid, aber ich brauche Verständnis.“

Anke Linke

Ihre Familie kann nicht verstehen, wieso die Operationskosten nicht übernommen werden. Auch ihr Arzt habe ihr bestätigt, dass sich die Kosten für die Kassen schnell amortisieren würden. Die konservative Therapie mit Lymphdrainagen und den speziellen Strumpfhosen koste auf die Jahre hoch gerechnet ein Vielfaches. Ihre Mutter würde oft weinen. „Meine Mama, Petra Lahme, war dieses Jahr Schützenkönigin in Alme. Es war ein Fotograf vor Ort und ich sollte natürlich auch mit auf die Bilder. Aber ich wollte es nicht, bin nur auf Schnappschüssen mit drauf. Tanzen konnte ich natürlich auch nicht lange.“ Für die WP lässt sich Anke Linke jedoch fotografieren. Besteht sogar auf Bilder ihrer nackten Beine - „Damit die Leute endlich verstehen, wie schlimm es wirklich ist. Ich will ganz bestimmt kein Mitleid, aber ich brauche Verständnis.“ 

Inzwischen stehe sogar die Überlegung im Raum, ihr Häuschen mit Garten im Schützengraben, in dem Anke Linke auch ihren Second Hand Shop betreibt, zu verkaufen, um die rund 45.000 Euro für die Operation zu stemmen - „Ich möchte einfach nur mein altes Leben zurück.“