Hochsauerlandkreis. Wie steht die Aussicht auf Frieden im Ukraine-Krieg? Militärexperte Patrick Sensburg mit einer schmerzhaft-ehrlichen Antwort.
Es ist kein Ende in Sicht: Der Krieg in der Ukraine wird weiterhin mit aller Brutalität geführt, während in Deutschland über Sanktionen und die Erlaubnis, mit deutschen Waffen russisches Gebiet anzugreifen, debattiert wird. Wie aber steht es aktuell um mögliche Friedensverhandlungen? Das beantwortet Patrick Sensburg, Oberst der Reserve und Präsident des Deutschen Reservistenverbandes.
Wie würden Sie die aktuelle Lage gerade beschreiben? Stecken die beiden Streitkräfte fest? Wer ist derzeit im Vorteil gegenüber der anderen Partei?
Das lässt sich von hier aus nur schwer beschreiben. Fakt ist, dass die russische Offensive auf Charkiw an Dynamik verloren hat. Dennoch rückt Russland vor allem im Donezk, zwar langsam und unter hohen Verlusten, aber dennoch in kleinen Schritten vor. Dagegen hat die Ukraine in den vergangenen Tagen erfolgreich Flugabwehrsysteme auf der Krim zerstört, was als erster Schritt angesehen werden kann, die F-16 zu schützen, die in den nächsten Monaten von Partnerstaaten an die Ukraine geliefert werden. Die Ukraine braucht nun jede Art der vollen Unterstützung, um diesen Krieg für sich zu entscheiden.
„Putin lässt sich nur schwer in die Karten schauen und auch wenn er Verhandlungsbereitschaft signalisieren lassen würde, könnte die ukrainische Seite nicht sicher sein, ob er das, was er vorschlägt auch wirklich so meint.“
Medien haben vor einer kurzen Weile getitelt, dass Putin bereit sei, an den Verhandlungstisch zu kommen. Was steckt dahinter und lässt sich wirklich eine Bereitschaft erkennen?
Putin lässt sich nur schwer in die Karten schauen und auch wenn er Verhandlungsbereitschaft signalisieren lassen würde, könnte die ukrainische Seite nicht sicher sein, ob er das, was er vorschlägt auch wirklich so meint. Wenn Putin wirklich an den Verhandlungstisch zurückkehren wollen würde, so könnte er ein deutliches Zeichen der Deeskalation senden, dass unmissverständlich seine Bereitschaft zum Dialog aufzeigt. So ein Schritt könnte beispielsweise wenigstens eine Waffenruhe über die Zeit der olympischen Spiele sein oder er lässt einen bestimmten Teil seiner Truppen anhalten bzw. zurückziehen. Doch davon haben wir in letzter Zeit wenig gesehen. Im Gegenteil. Die russische Kriegsmaschinerie führt diesen Krieg immer weiter und weiter erbarmungslos fort. Deshalb gehe ich davon aus, dass dieser Krieg leider erstmal weiter gehen wird.
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Wäre Selenskyj bereit, an den Verhandlungstisch zu treten und sind Verhandlungen, ohne das Russland einen territorialen Anspruch erheben darf, überhaupt möglich?
Er war ja in der Schweiz, aber Putin nicht. Über die gesamte Zeit des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine war die ukrainische Seite gewillt, Verhandlungen aufzunehmen. Sie hat für diese Verhandlungen ganz klare Kriterien aufgestellt, die die russische Seite nie akzeptiert hat. Ob und in welchem Umfang innerhalb von Verhandlungen auch über territoriale Ansprüche Russlands verhandelt wird, ist allein Sache der Ukraine. Sollten sich die ukrainische Regierung und insbesondere die Bevölkerung für einen solchen Kompromissfrieden aussprechen, dann müssen auch wir das akzeptieren. Doch Umfragen in der Ukraine deuten genau auf das Gegenteil hin. Mit welchem Recht erhebt Russland überhaupt territoriale Ansprüche an einen souveränen Staat. Putins Narrative erinnern sehr an Hitler.
Russland plant aktuell hohe Steuererhöhungen: Geht Putin das Geld aus? Und was bedeutet das?
Seit der Vollinvasion in der Ukraine im Februar 2022 haben die Staatsausgaben Russlands die Einnahmen bei Weitem überschritten. Auch das Haushaltsdefizit lag 2022 und 2023 bei umgerechnet 68 Milliarden Euro. Zudem sind die Rücklagen im Nationalen Wohlstandsfonds um etwa die Hälfte geschrumpft, um das Haushaltsdefizit auszugleichen. Die jetzt geplanten Steuererhöhungen sind die größten seit Putins Amtsantritt. Wir sehen also, dass dieser sinnlose Krieg Russlands eine Menge Geld verschlingt und Putin die russische Gesellschaft dahingehend umbauen will, dass es diesen Krieg dauerhaft führen kann. Ob das gelingen kann, bleibt abzuwarten. Diese Steuererhöhungen zeigen aber deutlich auf, dass dieser Krieg auch für Russland teuer erkauft ist und immer größere Anstrengungen erfordert, ihn fortzuführen.
Wie bewerten Sie die Entscheidung der Bundesregierung, dass die Ukraine nun auch mit deutschen Waffen russisches Territorium angreifen kann? Verschiebt Deutschland zu viele rote Linien, die zuvor gesetzt wurden?
Ich zeige Ihnen mal ein Beispiel auf: Die Lage in der Ukraine stellte sich lange Zeit so dar, dass sich russische Verbände im Hinterland der russisch-ukrainischen Grenze bereithielten, um dann an irgendeinem Abschnitt der Grenze zum Angriff überzugehen. Darüber hinaus gab es Fälle, bei denen russische Kampfhubschrauber genau auf der Grenze zur Ukraine in der Luft standen und ihre Kampfmittel auf die Ukraine abfeuerten. Das alles geschah mit dem Wissen, dass die Ukraine, die von den westlichen Partnern gelieferten Waffen nicht auf russischem Territorium einsetzen durfte, was ein eklatanter Nachteil gegenüber Russland ist, welches als Aggressor keinerlei Beschränkungen im Wirkungskreis seiner Waffen einberechnen musste. Deshalb ist es meiner Meinung nach nur folgerichtig, wenn wir der Ukraine nun erlauben, auch die Bereitstellungsräume in unmittelbarer Umgebung der Grenze mit den gelieferten Waffen anzugreifen. Ich kann nachvollziehen, dass bestimmte Ängste herrschen, dass dieser Krieg eskalieren könnte, doch für die ukrainische Bevölkerung eskaliert dieser Krieg seit dem Februar 2022 auf täglich grausamste Weise. Wir haben uns dazu entschieden, die Ukraine bei ihrem Abwehrkampf zu unterstützen, deshalb müssen wir sie auch dazu befähigen, sich wirklich verteidigen zu können. Das schließt den Angriff auf russisches Territorium mit ein. Man stelle sich vor, die Alliierten hätten im Zweiten Weltkrieg Hitler-Deutschland nicht betreten dürfen und nicht beschießen dürfen. Diese Denke ist irrsinnig. Natürlich darf sich die Ukraine mit aller Macht gegen Russland auch auf dem Territorium des Angreifers verteidigen.
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