Olsberg/Marsberg. Verzichten, nix essen und sich besser fühlen. Geht das? Reporterin Sonja Funke macht eine Fastenkur mit. Ein Erfahrungsbericht:
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Zuviel, zuviel, zuviel. Zuviel süß, zuviel Alkohol, zu leckeres Essen, zuviel Lock-Down und Homeschooling… und wegen eines ordentlichen Ziepens im Bauch ein starkes Bedürfnis: Runter davon! Von all der Nervennahrung in nervenzerrenden Zeiten, vom Alltagsstress mit zwei Kindern zu Hause, von allem. Schaffe ich das jetzt, in dieser schwierigen Zeit? Versuch macht klug und bei Hildegard fühle ich mich gut aufgehoben.
Mit Hildegard
Ja, richtig gelesen: Hildegard. Die Fasten-Kur, für die ich mich entschieden habe, ist Dinkel-Heilfasten nach Hildegard von Bingen (1098-1179). Sie ist nicht nur eine Heilige, sie war auch eine ausgewiesene Kräuter-Kundlerin und Dinkel-Expertin, wie ein Zitat aus ihren Schriften belegt: „Dinkel ist das beste Getreide, fettig und kraftvoll und leichter verträglich als alle anderen Körner. Es verschafft dem, der es isst ein rechtes Fleisch und bereitet ihm gutes Blut. Die Seele des Menschen macht er froh und voll Heiterkeit.“ Ernährungsberaterin Christiane Rummel aus Bredelar ist Expertin fürs Dinkel-Fasten und hat daraus ihre eigene Kur zusammengestellt: viel Ruhe, frische Luft, Spaziergänge, Wechselduschen und vieles mehr. Über zwei Freundinnen bin ich auf sie gestoßen. Ich erzähle vom Fasten, sie haben sich gerade angemeldet. Ein Schicksalswink.
Ohne Genussmittel
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Schon mit der Anmeldung beginnt das Umdenken im Kopf. Denn: Fasten ist Entgiften. Und wenn ich weiß, was bevorsteht, sollte ich meinen Körper gut vorbereiten. So verzichte ich schon ein paar Tage vor den so genannten Vorbereitungstagen auf meinen geliebten Morgenkaffee, was echt schwerfällt, schwerer als die Süßigkeiten. Drei Tage lang – von Montag bis Donnerstag – plagen mich unglaubliche Kopfschmerzen. „Das ist die Entwöhnung, es ist besser, das nicht auch noch während des Fastens zu haben“, sagt Christiane Rummel. Genussmittel wie Kaffee, Nikotin oder Alkohol sind während des Fastens und auch die Tage davor und danach passé.
In der Gruppe
An unserem ersten Fastentag, einem Donnerstag, treffen wir Kursteilnehmer uns das erste Mal online und viele haben das gleiche Problem wie ich: Kopfweh! Christiane Rummel, die immer erreichbar ist, für alle Fälle, erklärt uns das Procedere und gibt Tipps auch für erste Wehwehchen. Unsere künftigen sieben Tage sind ernährungstechnisch sehr überschaubar. Morgens löffeln wir Habermus (Porridge aus Dinkelflocken) mit einem Apfel, einem Teelöffel Honig und Zimt. Mittags und abends gibt’s klare Hildegard-Gemüsebrühe, wahlweise instant oder selbstgemacht. Dazwischen: viel Wasser und Fasten- bzw. Kräutertee.
Mit Brei und Brühe
Der erste Tag läuft gut, da denkt der Körper noch: „Ach ja, sie lässt halt mal kurz was weg.“ Der zweite und dritte Tag werden schwieriger, zumal die Familie sich die schönsten gebratenen Dinge und dick belegte Brötchen schmecken lässt. Aber mein Fastenziel lässt mich alles aushalten. Ich werde damit belohnt, das kleine Wehwehchen nach und nach verschwinden und ich einen richtig klaren Kopf bekomme. So sortiert wie nie bereite ich bereits am dritten Tag unser Mittagessen zu. Ich Suppe, Familie Gulasch. Allerdings: Am fünften Tag kann ich Suppe und Habermus nicht mehr sehen. Zum Glück gibt es eine Alternative: Dinkelbrot aus reinem Vollkorn bzw. Urkorn. Gar nicht so einfach zu kriegen. Ich bin so glücklich, als der empfohlene Bäcker noch ein kleines hat! Und statt Instant koche ich mir selbst Brühe aus Gemüse und Dinkelkörnern. Sehr schmackhaft. So geht es fast der gesamten Gruppe, jeder richtet sich mit seinen eigenen kleinen Tricks ein, um die Zeit zu überstehen.
Mit Verdauung
Eines bleibt: Bei mir knurrt der Magen den halben Tag. „Da hilft trinken, trinken, trinken“, sagt Christiane Rummel. Aber dafür zwickt der Bauch nicht mehr. Kein Wunder, denn selbstverständlich gehört auch das Reinigen des Darms dazu. Beim Hildegard-Fasten geschieht dies auf sehr milde Weise. Morgens noch im Bett ein kleiner Ingwer-Keks zum Ausleiten, also zum Lösen der Schlacken im Darm. Sehr scharf, aber machbar, und mit Tibeter-Übungen versüßt. Und dann zum Habermus einen Esslöffel Flohsamen. Das war’s. Klappt! Und Christiane motiviert: „Schon am dritten Tag ist die Vielfalt der Darmflora zu 60 Prozent wiederhergestellt.“ Um das nicht gleich nach der Kur wieder zu vermasseln, sind die Aufbautage wichtig, an denen langsam wieder immer etwas mehr gegessen wird und vor allem nicht zu viele tierische Eiweiße, Süßes oder Frittiertes.
Für sich selbst
Was das Fasten aber über das vermeintliche Hungern hinaus eigentlich ist: reine Selbstfürsorge. Weil ich fokussiert bin, schaffe ich es fast immer, mittags eine halbe Stunde Pause mit Leberwickel einzubauen, mir Zeit für Wechselduschen zu nehmen, für einstündige Spaziergänge und vieles mehr, was zu Christiane Rummels Fastenplan gehört. Und am schönsten: Die Vorfreude auf das Fastenbrechen und der Genuss des Bratapfels, gefüllt mit Honig, Butter, Zimt und Mandelplättchen nach acht Tagen Fasten. Gepaart mit dem Stolz, das Ganze durchgehalten zu habe, so sehr die Familie auch gefrotzelt hat.
Für die Nerven ist Fasten auf Dauer bestimmt besser als die Dauer-Nascherei. Außerdem ist Mama jetzt ein bisschen leichter, auch gut fürs Gemüt. Und: Im Oktober gibt’s ein nächstes Mal!