Winterberg. Timo Bundkirchen ist Offizier aus Winterberg. Er spricht über den Ukraine-Krieg und die Show of Force, die nun ein wichtiges Mittel der NATO ist.
Der Winterberger CDU-Fraktionsvorsitzende Timo Bundkirchen bekommt als Hauptmann bei der Bundeswehr die kritische Sicherheitslage an der so genannten Ostflanke der NATO hautnah zu spüren. Der Ukraine-Krieg wirkt sich direkt auf seinen Arbeitsplatz aus. Ein Interview über den Zustand der Streitkräfte, den versprochenen Geldregen der Regierung, Genderdebatten und die Wehrpflicht.
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Darum muss sich die Bundeswehr dringend kümmern
WP: Bundeskanzler Olaf Scholz hat angekündigt, die Bundeswehr zu modernisieren und mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auszustatten. Ist das jetzt der richtige Schritt?
Timo Bundkirchen: Der Schritt ist an sich richtig. Die Bundwehr muss modernisiert und besser ausgerüstet werden. Aber es reicht bei Weitem nicht aus, nur Geld zu investieren. Das Problem liegt meiner Meinung nach ganz woanders.
Was meinen Sie damit?
Man muss sich bei der Bundeswehr dringend um das Beschaffungswesen kümmern. Nehmen Sie mal als Beispiel ein Funkgerät. Erst einmal dauert es mindestens ein halbes Jahr, bis entschieden wird, ob derjenige Soldat berechtigt ist, ein neues Gerät zu erhalten und wenn ja, welches Modell zielführend ist. Anschließend muss das Geld drei Jahre im Voraus im Bundeshaushalt beantragt werden und erst nach Zuweisung der Mittel kann die Ausschreibung an die Industrie beginnen. Nach Entwicklungs- und Produktionszeit wird das Gerät dann an die Truppe ausgeliefert und erprobt. Gravierender Nachteil der die Truppe maßgeblich einschränkt ist, dass der Prozess bis zu sieben oder mehr Jahre in Anspruch nehmen kann und das Funkgerät in der Zeit fehlt und bei der Auslieferung bereits veraltet ist.
Das sind die gravierenden Mängel der Bundeswehr
Also geht es hauptsächlich darum, Bürokratie abzubauen und effizienter zu werden. Was bringt dann aber das Sondervermögen, das die Bundesregierung bereitstellen will?
Eigentlich hat die Bundeswehr ja jetzt schon einen recht hohen Etat von 50 Milliarden Euro jährlich. Vergleicht man das mit dem der russischen Streitkräfte, sind das nur zehn Milliarden weniger. Es geht darum, Prozesse zu verschlanken, die Bundeswehr dem Auftrag angepasst, flexibel, schlagkräftig und handlungsfähiger zu machen. Negativ und einschränkend wirkt sich auch aus, dass man viele Bereiche in der Bundeswehr outgesourct hat. Die Instandsetzung von Fahrzeugen, die Verpflegung und die Bekleidung befinden sich allesamt in zivilen Händen, was die eigene Handlungsfähigkeit einschränkt. Mit dem Kauf der modernen F35 US Kampfjets geht man einen Schritt in die richtige Richtung, um unseren Luftraum zu schützen und den Verpflichtungen gegenüber der NATO Rechnung zu tragen. Es werden aber noch viele weitere Schritte erforderlich sein, um die Bundeswehr für die künftigen Aufgaben aufzustellen.
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Wäre die Bundeswehr denn in ihrem aktuellen Zustand in der Lage, einen Invasor zurückzuschlagen und die Bevölkerung ausreichende vor Luftangriffen zu schützen?
Das ist sie leider nicht. Das sagen ja auch viele Verteidigungsexperten. Im Rahmen der NATO-Bündnisverteidigung verlassen wir uns auch sehr viel auf andere Nationen. Wir verfügen über keine ausreichende Luftverteidigung, die Technik ist meistens veraltet und wir besitzen fast keine funktionalen Panzer, Flugzeuge und Hubschrauber.
Kritik an Genderdebatte bei der Truppe
Wie konnte es denn eigentlich so weit kommen?
Man hat die Bundeswehr immer isoliert betrachtet. Verteidigungspolitik war nie sexy. Viele Politiker haben sich deshalb beim Thema Verteidigung und Sicherheit immer schwergetan und falsche Schwerpunkte gesetzt. Genderdebatten und ob der Dienstgrad nun männlich, weiblich oder divers sein muss, sind absolut unangebracht. Im Ernstfall muss ich mich auf meine Kameraden jederzeit verlassen können, da darf das Geschlecht und eine zwanghafte Frauenquote keine Rolle spielen. Die meisten Menschen haben geglaubt, dass man sich in Europa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht mehr mit Landesverteidigung auseinandersetzen muss. Man hat immer gedacht, dass man als moderne Demokratie schon ausreichend genug geschützt ist. Das war ein Trugschluss, der angesichts der Eskalationen von 2008 in Georgien und 2014 der Krim-Krise vorhersehbar war.
Darum sollte die Wehrpflicht wieder aktiviert werden
War es Ihrer Meinung nach ein Fehler, die Wehrpflicht auszusetzen?
Ich bin davon überzeugt, dass ein Dienstjahr für Deutschland genau das richtige ist, was wir jetzt benötigen. Das muss dann ja nicht zwangsläufig bei der Bundeswehr sein. Ich glaube, besonders der Wegfall des Zivildienstes hat vielen Einrichtungen sehr weh getan. Auch Feuerwehr, das Technische Hilfswerk und soziale Einrichtungen würden davon profitieren. Meiner Meinung nach wäre dieses Jahr für Deutschland ein Gewinn für alle, einerseits für den jungen Menschen, der sich weiterentwickelt, seinen Charakter ausprägt, beruflich festigt, Teamfähigkeit und Toleranz entwickelt und lernt, auf eigenen Füßen zu stehen. Andererseits für die Gesellschaft als Ganzes. Vielleicht könnte damit auch dem beklagten Fachkräftemangel entgegengewirkt werden.
So sieht moderne Kriegsführung aus
Sie sind Hauptmann beim Bataillon Elektronische Kampfführung in der Burgwald-Kaserne in Frankenberg. Was bedeutet das?
Wir beschäftigen uns mit dem sogenannten Krieg im Cyber-Informationsraum. Das wird zunehmend immer wichtiger im Einsatz. Elektronische Kampfführung unterscheidet sich in Aufklärung und Wirkung. Aufklärung meint hier, Signale und Funksprüche des Feindes im elektromagnetischen Spektrum zu entdecken, auszuwerten und die Ergebnisse an militärische Führungsstäbe weiterzugeben. Elektronische Kampfführung trägt somit als das Auge im Cyberraum zu einem kompletten Lagebild bei. Neben der Aufklärung ist es die Fähigkeit, auf erkannte Feinde auch direkt einzuwirken. Durch Störungen und Beeinflussungen der feindlichen Elektronik und Kommunikationsmöglichkeiten wird das eigene Potenzial zielführend erweitert und ein im 21. Jahrhundert nicht mehr wegzudenkendes Instrument moderner Kriegsführung bereitgestellt.
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Mit Show of Force den russischen Aggressor abschrecken
Und welche Rolle spielt dann der Standort Frankenberg?
Wir stellen in Frankenberg 200 Soldaten für die sogenannte NATO Response Force (dt. NATO-Reaktionsstreitmacht / schnelle Eingreiftruppe der NATO). Ich selbst bereite mich derzeit auf den nicht auszuschließenden Einsatz der Kameraden an der NATO-Ostflanke als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine vor. Seit dem Einmarsch Putins sind wir in erhöhter Alarmbereitschaft. Die NATO wird es vermutlich nicht zulassen, dass russische Truppen Mitgliedsländer angreifen. Deshalb werden dort jetzt von Zeit zu Zeit die Truppen verstärkt. Das nennen wir Show of Force. Damit soll der Gegner vor weiteren Aggressionen abgeschreckt werden. Wir nähern uns leider immer mehr den Zuständen des Kalten Krieges an.
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Weitere Eskalationen sind nicht auszuschließen
Sie sind Familienvater in Winterberg. Sorgen Sie sich um die Zukunft Ihrer Kinder, dass diese auch weiterhin in Frieden leben können?
Als zweifacher Familienvater sorgt man sich natürlich um die Zukunft seiner Kinder. Man will, dass es seinen Kindern mal besser geht als einem selbst. Durch die dramatische Entwicklung in der Ukraine sind weitere Eskalationen an der Grenze Europas nicht auszuschließen. Ich wünsche mir natürlich, dass meine Kinder in Frieden aufwachsen und leben können. Für uns in Deutschland ist der Frieden zur Selbstverständlichkeit geworden. Das war nicht immer so und wir sollten alle dankbar sein, dass wir in Frieden leben dürfen - mit Blick auf die Geschehnisse in der Welt ist das wirklich nicht selbstverständlich. Trotzdem zeigen die aktuellen Entwicklungen, dass wir im Ernstfall auch wehrhaft sind und uns unsere Bündnispartner gegen ungerechtfertigte Aggressionen verteidigen können müssen.