Winterberg/Brilon/Hochsauerland. Ein Zahnarztbesuch im Sauerland endet für einen Winterberger Jungen traumatisch. Die Mutter reagiert geschockt. Die erschütternde Geschichte:
„Ich habe eine ganz schlechte Nacht hinter mir und bin immer noch total geschockt.“ Sabine Becker* spricht über einen Zahnarztbesuch mit ihrem Sohn. Die Mutter aus dem Raum Winterberg hat sich an dieWP Brilon gewandt, „Nicht, weil ich jemanden anschwärzen möchte, sondern um darauf aufmerksam zu machen, dass geduldiger auf Kinder eingegangen werden muss.“ Denn: Während der letzten Behandlung ihres 8-Jährigen bei einem Vertretungszahnarzt im Sauerland und außerhalb ihrer Heimatstadt Winterberg ist ihr Sohn von dem Arzt heftig gemaßregelt und angegangen worden.
Mit Eiterbeule muss Moritz Becker zum Arzt – und wird gemaßregelt
Mit einer Eiterbeule am Zahn muss Moritz Becker* zum Zahnarzt. Für viele Kinder ist der Zahnarztbesuch angstbehaftet, doch für Sabine Beckers Sohn ist die Situation besonders schwierig. Er hat ADHS mit einer Impulsstörung. Jeden Tag muss Sabine Becker ihm genau den folgenden Tagesablauf erklären, damit er sich darauf einstellen kann. „Trisomie ist eine Krankheit, die man Kindern ansehen kann. ADHS ist nicht sichtbar und viele Menschen sehen dann nur, dass das Kind nicht hört oder erst handelt bevor er nachdenkt.“ Lesen Sie auch:Querdenker gefasst – Plumper Nazi-Angriff auf Sauerlandpraxis
Normalerweise läuft der Zahnarztbesuch für Moritz Becker immer gut. Sein behandelnder Arzt erklärt ihm genau, was während der Behandlung passieren wird, nimmt ich Zeit, zeigt die Geräte. Doch dieses Mal muss es schnell gehen, der Arzt ist nicht da. Familie Becker sucht einen Vertretungsarzt auf. „Der Arzt kam ins Behandlungszimmer und hat sofort gesagt, dass Moritz jetzt seine Klappe halten soll. Dass wäre sein Behandlungszimmer, also gelten auch seine Regeln.“ Moritz Becker reagiert eingeschüchtert und ängstlich. Obwohl seine Mutter sagt, dass er ADHS habe und daher mehr Zeit brauche, nimmt der Arzt keine Rücksicht. Er sagt nur: „Ich habe selbst drei Söhne. Sei nicht so eine Heulsuse.“
Eltern kämpfen für ihre Kinder - und dann das
So schildert Sabine Becker den Arztbesuch. Moritz Becker sei später aufgelöst gewesen, habe die ganze Rückfahrt im Auto geweint. „Der Arzt hat mich Heulsuse genannt“, sagt er wieder und wieder. „Ich habe mich geärgert, dass ich nichts gesagt habe. Aber wir brauchten die Behandlung, denn Moritz hatte doch Schmerzen“, sagt die Mutter. Der Vorfall beschäftigt sie – so sehr, dass sie sich an die Zeitung wendet. „Er ist doch eh immer das Kind, das außen vor ist, das nie eingeladen wird, weil er eben nicht wie die anderen Kinder ist. Und wir Eltern kämpfen für unsere besonderen Kinder, wir haben unser Päckchen zu tragen. Und dann geschieht so etwas.“ Sabine Becker weint während sie spricht.
Sebastian Schiewe ist Fachzahnarzt für Oralchirurgie in Brilon und betreibt die Gemeinschaftspraxis S3. Er hört sich Sabine Beckers Geschichte an. „Geduld ist das wichtigste bei einer Behandlung von Kindern“, sagt er. Man könne Kindern sehr wohl die Angst vor dem Zahnarztbesuch nehmen. „Viele Menschen haben Angst, zum Zahnarzt zu gehen, das kommt noch aus der eigenen Kindheit, als die Ärzte eben noch anders behandelt haben“, sagt Schiewe. „Eltern dürfen ihre eigene Angst nicht zeigen. Man darf nicht schon vor dem Besuch sagen, dass Mama auch Angst davor hat.“ Wichtig sei, die Kinder schon früh an die Praxisbesuche zu gewöhnen, am besten schon, wenn der erste Zahn durchgebrochen ist. „So vermeidet man, dass der erste Termin beim Zahnarzt schon eine Behandlung mit Bohrer und Co und daher traumatisch sein könnte.“ Sebastian Schiewe grinst: „Außerdem gewöhnen sich die Kinder dann auch an die Atmosphäre und den intensiven Geruch. Um ehrlich zu sein, nimmt man den selbst gar nicht mehr wahr.“
Jederzeit mit Handzeichen um eine Pause bitten
Zeigt das Kind trotzdem Angst oder Überforderung auf dem Zahnarztstuhl, müsse man darauf eingehen. „Ich lasse die Kinder erstmal auf dem Stuhl hoch und runter fahren, ich gebe ihnen einen Mundspiegel in die Hand und erkläre, was passieren wird.“ Eltern müssten versuchen, weiter ruhig zu bleiben, sonst färbe die Nervosität direkt auf das Kind ab. „Mir ist auch wichtig, dass die Kinder wissen, dass sie während der Behandlung jederzeit mit einem Handzeichen um eine Pause bitten können. Heben die kleinen Patienten die Hand, dann stoppe ich. Das sorgt für ein Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt.“
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Klappt es dennoch nicht und das Kind macht die Untersuchung nicht mit, müsse man einen zweiten Termin vereinbaren. „Wenn die Behandlung aufschiebbar ist, ist das kein Problem und man kann einfach einen weiteren Termin ausmachen, um die Kinder nicht unter Druck zu setzen. Ist die Behandlung wegen Schmerzen oder anderer Probleme aber dringlich, sollte man im letzten Schritt über eine Narkose nachdenken.“
Zahnarztbesuche müssen zur Routine werden
Sebastian Schiewe und seine Praxi betreuen auch Kitas, bringen den Kindern dort die Untersuchungsinstrumente näher ebenso wie das Zähneputzen. „Das und die Zahnarztbesuche müssen zu einer Routine werden. Das kann man bei fast jedem Kind hinbekommen, mit der nötigen Zeit.“
*Die Namen der Familie sind der Redaktion bekannt, sie möchten im Rahmen der Berichterstattung aber lieber anonym bleiben