Berlin. Die Menschen lieben True Crime. Doch hat die Beschäftigung mit wahren Verbrechen negative Folgen? Eine Studie hat das nun untersucht.
Diese Geschichte beruht auf wahren Ereignissen – ein Satz, der auf viele Menschen eine große Anziehung hat, besonders wenn es um Verbrechen geht. Seit Jahren entstehen immer mehr Medien-Formate, die sich mit echten Kriminalfällen beschäftigen – True-Crime-Podcasts und -Dokumentationen oder gedruckte Magazine wie „stern Crime“.
Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Corinna Perchtold-Stefan forscht an der Universität Graz zu dem Phänomen True Crime. In einer aktuellen Studie hat sie untersucht, warum sich Menschen freiwillig mit grausamen Gewaltverbrechen beschäftigen und wie sich das auf den Alltag der True-Crime-Fans auswirkt.
Frau Perchtold-Stefan, Sie haben am Institut für Psychologie an der Universität Graz eine Studie zum Phänomen True-Crime gemacht. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Corinna Perchtold-Stefan: Der Hype um True Crime in den Medien war immer an die Frage gekoppelt, ob das was Bedenkliches ist. Ob der Konsum auch negative Konsequenzen haben könnte, weil die Menschen misstrauischer werden, vielleicht gewaltbereiter und emotional abgestumpfter. Ich habe diese Diskussionen verfolgt und dachte mir: Es gibt keinerlei empirische Forschung dazu, ich bin selbst True-Crime-Fan, machen wir also eine Studie.
Sie haben bereits erste Ergebnisse ausgewertet. Was konnten Sie über die Motivation der Menschen herausfinden?
Perchtold-Stefan: Die überwiegende Mehrheit der befragten True-Crime-Fans sagt, es geht ihnen darum, zu verstehen, warum Menschen zu grausamen Taten fähig sind. Es geht um die Motive und Hintergründe von Taten, teilweise auch um die Lebensgeschichten der Täterinnen und Täter. Viele würden das vielleicht ein morbides Interesse nennen. Ich finde, dass es etwas sehr Menschliches ist, verstehen zu wollen, warum es zu extremen Gewalttaten kommt.
Es geht also darum, sich das Böse zu erklären? Vielleicht auch um eine Art von Kontrolle?
Perchtold-Stefan: Auf eine Art schon. Es geht darum, mehr Kontrolle über das unbekannte Böse da draußen zu bekommen. Dass heißt nicht, dass man Taten damit entschuldigt oder mit den Tätern sympathisiert. Aber darum, zu verstehen, dass es im Leben manchmal sehr kritische, emotional stark aufgeladene Situationen gibt, in denen sogenannte normale Menschen zu Tätern werden. Ich würde es in Anführungszeichen ein „Entmonstern“ nennen. Es geht darum, die Angst vor dem Monster im Menschen zu reduzieren.
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True Crime: Selbstverteidigungsstrategie für Frauen
Sie haben für Ihre Studie auch Hirnscans der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemacht. Warum?
Perchtold-Stefan: Die Idee war, ob man nicht über das hinaus, was die Leute über sich selbst sagen, etwas Handfestes finden kann, um zu erklären, warum bestimmte Personen von True Crime angesprochen werden und andere überhaupt nicht. Das ist der biologische Zugang zum Thema und bislang gibt es dazu in der Forschung noch nichts. Da geht es zum Beispiel konkret um die Frage: Wie sehen bestimmte Netzwerke im Hirn von True-Crime-Fans aus, die für die Regulation von Emotionen zuständig sind oder für Angstbewältigung und Stressresistenz? Dann könnte man vielleicht Aussagen dazu treffen, ob langfristiger Konsum von True-Crime negative Folgen haben kann. Wir stecken aber noch mitten in der Datenauswertung.
Sie haben mögliche negative Folgen angesprochen. Was sagen Ihre vorläufigen Ergebnisse: Macht der Konsum von True Crime ängstlicher und verzerrt die Realität?
Perchtold-Stefan: Hier haben wir was Spannendes herausgefunden. Wenn man sich besonders Frauen ansieht, die die Mehrheit der True-Crime-Fans bilden, sieht man, dass es überhaupt keine Zusammenhänge gibt zwischen dem Konsum von True Crime und der wahrgenommenen Sicherheit im Alltag. Das habe ich nicht erwartet.
Könnte es sogar hilfreich sein sich mit wahren Verbrechen auseinanderzusetzen, gerade für Frauen?
Perchtold-Stefan: Das ist definitiv so. Es gibt zum Beispiel die Theorie, dass sich vor allem Frauen für True Crime interessieren, weil sie das auch als eine Art Selbstverteidigungsstrategie sehen. True Crime als eine Art mentales Training. Ich sage nicht, dass das im Alltag tatsächlich vor Verbrechen schützt. Aber es kann einem das Gefühl geben, die Kontrolle über das eigene Leben zu haben.
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Motive der Fans von True Crime: Sensationslust steht nicht im Vordergrund
Im Sommer haben Medien von einem Fall in Südkorea berichtet. Eine Frau – True-Crime-Fan – soll aus Neugierde einen Mord begangen haben. Ein extremer Einzelfall?
Perchtold-Stefan: Ich denke, das ist ein extremer Einzelfall. Es gibt natürlich immer das Potenzial, dass negative Inhalte von bestimmten Personen falsch aufgefasst werden oder gewaltfördernd wirken. Wenn jemand aber nicht vorbelastet, emotional stabil und gesund ist, dann ist True Crime nach allem, was wir wissen, nicht gewaltfördernd. Es braucht aber definitiv noch viel mehr Forschung in dem Bereich.
True-Crime-Formate sind auch Unterhaltungsformate. Wo verläuft Ihrer Meinung nach die Grenze zum Voyeurismus?
Perchtold-Stefan: Das ist eine schwierige Frage, weil wir uns hier in einer Grauzone bewegen. Wo hört die Informationsvermittlung auf, wo fängt die Sensationslust an? Ich glaube, ganz entkoppeln kann man das nicht, weil die Themen per se spannend sind für die Leute. Aber ich glaube, man kann sagen, dass für die Mehrheit der Fans von True Crime nicht die Sensationslust im Vordergrund steht. Über einige Motive haben wir bereits gesprochen. Es kommt ein weiteres hinzu: Ein Drittel der Befragten hat angegeben, dass sie True Crime hauptsächlich deswegen mögen, weil sie wissen wollen, wie Polizeiarbeit und das Justizsystem funktionieren.