Berlin. Weil sie perfekt sein wollte, hat Susanne Krammer viel riskiert – und viel verloren. Was ihr nach der Schönheits-OP das Leben rettete.

Es ist der Tag nach der Not-OP. Mit meinem Nachthemd hochgezogen bis zum Hals stehe ich im Krankenhauszimmer vor dem Spiegel. Was ich sehe, ist ein Schlachtfeld. Geklammerte Wunden, Schläuche, getrocknetes Blut. Von meinen Brüsten ist kaum noch etwas übrig. Wie zwei Ballons, aus denen die Luft rausgelassen wurde. Ich weine. Später kommt Dr. Stern in mein Zimmer. Er ist der Arzt, der mir heute Nacht das Leben gerettet hat – nachdem meine Brustvergrößerung, in einer anderen Klinik, dramatisch schiefgegangen war.

„Weißt du, du bist so eine tolle Frau, du brauchst keine Brüste“, sagt Dr. Stern. Klingt seltsam, eine Frau, deren Brüste entfernt wurden, mit dieser Bemerkung trösten zu wollen. Aber genau dieser Satz half mir aus irgendeinem Grund. Er rückte etwas Entscheidendes in mir gerade. Vielleicht, weil er es so direkt auf den Punkt brachte. Ich, die Frau, die seit Jahrzehnten von der Sucht nach Perfektion gequält wurde, kapierte plötzlich: Schön, weiblich, perfekt sein zu wollen definiert nicht meinen Wert. Meine Kraft, mein Stolz, ist das, was mich wirklich ausmacht. Und ich war einfach nur glücklich, am Leben zu sein.

Beauty-OP: So kam es zu der Entscheidung für die Brustvergrößerung

Bald sollte ich aber feststellen, dass meine Seele Wunden davongetragen hat, die schwerer heilen, als das, was mein Körper erleiden musste. Neun Jahre ist das jetzt her. Der Moment vor dem Spiegel unterteilte mein Leben in ein Davor und ein Danach. Davor war ich Beauty-Redakteurin, und schon beruflich ging es mir immer nur um den super Körper und ein faltenfreies Gesicht.

Von einem bekannten Beauty-Doc bekam ich das Angebot, mir für einen Artikel Fett absaugen und damit die Brüste vergrößern zu lassen. Lipotransfer, diese damals noch recht neue Methode, wurde als besonders natürlich beworben. Ich zögerte, doch solche Selbstversuche waren in der Branche an der Tagesordnung. Und die Grenzen für das, was ich bereit war, meinem Körper anzutun, längst total verschoben.

Brust-OP bereut: „Ich hätte es abblasen und auf mein Bauchgefühl hören sollen“

Für die OP reiste ich quer durch die Republik. Als ich den behandelnden Arzt in seiner Praxis traf, hatte ich sofort ein schlechtes Gefühl. Er interessierte sich kein bisschen für mich, war eitel und selbstverliebt, deshalb nenne ich ihn Dr. Pfau. Ich hätte alles direkt abblasen und auf mein Bauchgefühl hören sollen. Dr. Pfau desinfizierte meinen Körper kaum, streifte mit der Kanüle meinen Oberarm, ohne sie auszutauschen.

Nach dem Eingriff verschwanden die Zweifel, was seltsam klingen mag. Doch die Beziehung zu meinem Körper war immer schon geprägt von Höhen und Tiefen, änderte sich meist täglich. Und als ich dann meinen neuen Busen sah, war ich auf einen Schlag so euphorisch wie nie zuvor: Ich fand ihn einfach nur wunderschön.

Eine Brustvergrößerung ist eine beliebte und häufige Schönheits-OP unter Frauen.
Eine Brustvergrößerung ist eine beliebte und häufige Schönheits-OP unter Frauen. © iStock | Ivan-balvan

Brustgewebe war komplett infiziert

Nur zehn Tage später wurde er grünblau, schließlich grau. Abgestorbenes Gewebe. Ich hatte über 39 Grad Fieber und kontaktierte Dr. Pfau. Er wollte nicht, dass ich in eine städtische Klinik gehe, und empfahl mir einen Kollegen bei mir vor Ort, dem er offenbar vertraute: Dr. Stern. Nach einer Punktierung, bei der er mit einer Kanüle Flüssigkeit entnahm, packte mich blankes Entsetzen. Meine Brüste waren nach innen gestürzt, die Brustwarzen kaum noch zu sehen. Der Befund: das gesamte Gewebe infiziert mit multiresistenten Keimen, darunter Fäkalkeime.

Es drohte eine Sepsis. Die verschriebenen Antibiotika halfen nicht. Es bestand Lebensgefahr. Doch noch immer konnte ich nur daran denken, wie schrecklich ich aussehe. Nicht, wie ernst die Situation ist. Jetzt zähle jede Minute, machte Dr. Stern deutlich und bereitete die Not-OP vor. Ich verabschiedete mich von meinem Freund und meinen Kindern. Ich hatte Todesangst. Nach der OP waren meine Brüste flach, die Haut konnte erhalten, aber das innere Gewebe musste komplett entfernt werden.

Nach der Not-OP kam die Depression

Das war okay, immerhin hatte ich überlebt. Bald aber kamen die Panikattacken. Büschelweise fielen mir die Haare aus. Ich wurde depressiv. Posttraumatische Belastungsstörung, so die Diagnose. Ein tiefer Selbsthass hatte mich fest im Griff. Einmal stand ich in der Küche und öffnete die Messerschublade. Ich wollte, dass es vorbei ist, konnte mir einfach nicht verzeihen.

Nach der Not-OP leidet die Frau unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (Symbolbild).
Nach der Not-OP leidet die Frau unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (Symbolbild). © iStock | elenaleonova

Was hatte ich meinen Kindern und mir angetan? Welchen Werten war ich gefolgt? Immer wieder dachte ich an früher: Ich war das Kind, das nicht gesehen wurde. Mein Vater sagte, dass er mich nie liebte. Als ich 17 war, lobte eine Freundin meiner Mutter meine Schönheit. „Ha, die soll sich nichts drauf einbilden“, erwiderte sie. Ich entwickelte eine Essstörung. Themen, die nach der OP schließlich in einer dreijährigen, nahezu wirkungslosen Therapie durchgekaut wurden.

Leben nach der OP – das rettete Susanne Krammer

In dieser Zeit erwog ich, Dr. Pfau anzuzeigen. Mein Anwalt riet ab: Ich würde viel Geld zahlen und doch verlieren. Erst als ich einen Kater geschenkt bekam und tagelang das selbstzufriedene Tier beobachtete, verzogen sich die dunklen Wolken. Ich begann zu meditieren, fand langsam wieder zu mir. Ich bin durch die Hölle gegangen, aber letztlich war es gut so. Ich will mir nicht vorstellen, wer ich heute wäre, wenn die Brustvergrößerung gut gelaufen wäre. Ein Plastikpüppchen, rundumerneuert. Schrecklich.

Meinen Körper mag ich jetzt so, wie er ist, ich trage naturbraune Haare, keine gepolsterten BHs und denke nicht daran, meine Brüste wieder aufbauen zu lassen. Sie zeigen meine Entwicklung und sind ein Teil meiner Geschichte. Ich will vor allem junge Frauen für die Risiken von Beauty-OPs sensibilisieren und ihnen klarmachen: Ihr braucht das alles nicht. Macht Dinge, die euch guttun, seid liebevoll und großzügig zu euch. Dann strahlt ihr von innen heraus und seid wunderschön.

Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter und oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.

Dieser Text erschien zuerst in der Zeitschrift „Myself“, die wie diese Redaktion zur Funke Mediengruppe gehört.