Berlin. Sexarbeiterin Lenia Soley erzählt, was Sex für sie bedeutet, wie sie Job und Beziehung vereinbart und was Paare davon lernen können.

  • Lenia Soley arbeitet als Sexarbeiterin in Berlin
  • In unserem Interview erzählt sie, wie sie zu ihrem Beruf kam
  • Und sie erklärt, was Paare aus ihrer Arbeit lernen können

Lenia Soley ist ein Künstlername. Unter diesem Pseudonym arbeitet eine 27-jährige Berlinerin als Escort und Sexarbeiterin. Sie bietet sexuelle Dienstleistungen für Geld an und gibt Workshops für Frauen. Hier erzählt Soley, wie sie Beziehung und Arbeit miteinander verbindet, was Sex für sie bedeutet und was Paare von ihrer Arbeit lernen können.

Wie sind Sie Sexarbeiterin geworden?

Lenia Soley: Das waren verschiedene Gründe. Ursprünglich habe ich Physik studiert und dann gemerkt, dass ich lieber mit Menschen arbeiten möchte. Die Empathie, die ich für Menschen empfinde, und in Verbindung mit anderen zu treten, bereiten mir Freude. Außerdem mag ich Dinge besonders gerne, die tabuisiert sind. Ich habe einen rebellischen Charakter.

Durch Zufall habe ich eine Frau kennengelernt, die Escort ist, und fand es irgendwie cool, was sie erzählt hat. Ich dachte, ich probiere es einfach mal und bin dann hängen geblieben. Ich war damals ein relativ unsexueller Mensch und masturbiere zum Beispiel sehr selten. Ich habe auch mit Escort angefangen, um mich selbst noch ein bisschen mehr auszuprobieren und mehr über meine Sexualität zu lernen.

Was haben Sie über Ihre Sexualität gelernt?

Soley: Eines der ersten Dinge war, Nein zu sagen. Von fast jeder Frau, die ich auf den von mir gehaltenen Frauen-Retreats treffe, höre ich, dass sie schon mal ein Date hatten, bei dem sie gemerkt haben, dass sie eigentlich keinen Sex wollten, aber es trotzdem mitgemacht haben, weil sie dachten, dass sie das Date jetzt nicht mehr hinausschmeißen können – oder ähnliche Geschichten. Als ich dann in der Sexarbeit angefangen habe, habe ich gelernt, dass ich beim privaten Sex keine Dienstleisterin bin und niemandem etwas schulde. Wenn ich jetzt privaten Sex habe, dann mache ich das nur für mich. Wenn du schon mit einer dreistelligen Zahl von komplett unterschiedlichen Menschen Sex hattest, dann merkst du irgendwann ganz genau, wie dein Körper funktioniert und was du gerne magst.

Für Sexarbeiterin Lenia Soley beinhaltet Sex das Verarbeiten und Zulassen von jeglichen Gefühlen.
Für Sexarbeiterin Lenia Soley beinhaltet Sex das Verarbeiten und Zulassen von jeglichen Gefühlen. © Privat | Privat

Escort: So eifersüchtig ist mein Partner

Sie sind derzeit in einer Beziehung. Wie lässt sich diese mit Ihrer Arbeit vereinen?

Soley: Ich bin in einer polyamorösen Beziehung und kenne viele Kollegen und Kolleginnen von mir, die auch in nicht monogamen Beziehungskonzepten sind. Dadurch lässt sich mein Job genauso vereinen, wie mit allen anderen privaten Kontakten, die man vielleicht hätte. Mein Partner verspürt aber deutlich weniger Eifersucht bei meinen beruflichen Kontakten, weil er weiß, dass ich dort als Dienstleisterin hingehe. Ich kenne auch Leute, die in monogamen Beziehungen sind und in denen wird dann auch gesagt, dass der Job halt der Job ist.

Braucht es Grundregeln, um Ihre Arbeit in einer Beziehung möglich zu machen?

Soley: Genau wie bei jeder nicht monogamen Beziehung braucht es offene Kommunikation und man sollte sich über das Thema Gesundheit unterhalten. Natürlich verhüte ich. Es steht auch im Prostituierten-Schutzgesetz, dass alle sexuellen Praktiken, also Oralsex, Vaginalsex, Analsex oder ähnliches mit Kondom gemacht werden müssen. Mit meinem Partner ist das insgesamt aber relativ entspannt, weil er selbst schon viele polyamorösen Erfahrungen hat.

Was bedeutet Sex für Sie?

Soley: Für mich ist Sex das schöne Verarbeiten und Zulassen von Gefühlen. Für mich schafft Sex einen Raum, in dem wir alles dürfen. Wir dürfen hier zärtlich sein, Wut herauslassen, herumschreien. Alles, was auf dem Konsens der Beteiligten beruht, ist hier in Ordnung.

Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Sex, den Sie mit ihrem Partner haben, oder den bei der Arbeit?

Soley: Ja, ich würde sagen, mit meinem Partner geht es viel mehr um die Verbindung, die wir beide haben. Da geht es dann um Augenkontakt, einander zu spüren und zu riechen. Im Beruflichen hat Sex viel damit zu tun, was sich für die andere Person und mich schön anfühlt, ohne das Verschmelzen.

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Das empfindet eine Sexarbeiterin für ihre Kunden

Wie differenzieren Sie Sex und Gefühle voneinander?

Soley: Für mich besteht Sex aus allen Gefühlen, die da sind. Wenn es um Liebesgefühle geht, kann ich auch für jemanden Liebe empfinden, ohne dass ich mit demjenigen in einer Beziehung bin. In diesem Moment kann ich einfach für das, was ich sehe, Liebe empfinden. Viel Empathie und Einfühlungsvermögen in Menschen zu haben, ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das sehr praktisch als Sexarbeiterin ist. So empfinde ich für eigentlich alle meine Kundinnen und Kunden irgendeine Art von Liebe.

Inwiefern hat Ihre Arbeit Ihre Beziehung positiv beeinflusst?

Soley: Dadurch, dass ich mich viel mehr mit Sexualität beschäftige, ist mein Sexleben einfach ein anderes und total schön. Der Sex bleibt ein aktiver Faktor in unserer Beziehung. Zusätzlich gibt mir meine Arbeit viel Flexibilität, sodass ich viel Zeit in meine Beziehung investieren kann. Wir haben eine Fernbeziehung, und ich kann es zeitlich leisten, im Monat ein paar Mal für ein paar Tage einfach zu ihm zu fahren.

Was glauben Sie, was Paare aus Ihrer Arbeit mitnehmen können?

Soley: Was ich bei meinen Frauen-Retreats lehre, ist das Spüren von dem persönlichen „hell yes“, also sich zu fragen, was man gerade wirklich mehr als alles andere wünscht. Wenn ich in sexuellem Kontakt bin mit jemandem, dann eben nicht einfach irgendwas zu machen, ohne sich die Frage zu stellen, ob das jetzt okay für mich ist, sondern reinzuspüren, was der eigene Körper gerade braucht. Ich glaube, das ist eine Frage, die Menschen sich zu selten stellen. Gerade wenn ich in einer längeren Beziehung vielleicht die Lust an Sex verliere, kann ich lernen herauszufinden, auf welche Art von Sex genau ich denn eigentlich keine Lust mehr habe, und was ich bräuchte, um wieder ein „hell yes“ im sexuellen Kontakt zu spüren.

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