Berlin. Lange Beziehungen leiden oft unter den alltäglichen Problemen. Kann man eine Ehe durch Abstand retten? Eine Paartherapeutin klärt auf.

  • Eine Ehe durch Abstand retten – kann das gelingen? Die Scheidungsquote in Deutschland ist hoch
  • Viele Paare suchen nach Wegen, um ihre Beziehung aufzufrischen und eine bessere Harmonie zu schaffen
  • Ist Abstand der richtige Weg für eine Partnerschaft? Wir haben mit einer Paartherapeutin gesprochen

2021 wurden 39,9 Prozent der Ehen in Deutschland geschieden. Damit kam auf drei Hochzeiten etwa eine Scheidung. Die Gründe dafür dürften so vielfältig sein wie die Blumen in den Brautsträußen. Doch bei guter Beobachtung könnten sich einige Beziehungen retten lassen. Spätestens, wenn die bloße Anwesenheit des Partners für miese Laune sorgt, sollten die Alarmglocken bei beiden Partnern läuten. Eine mögliche Lösung: mehr Abstand.

Doch woran erkennt man, dass Abstand nötig wäre – und wir führt man ihn behutsam in seine Beziehung ein?

Arnika Otto ist systemische Paar- und Sexualtherapeutin und hilft Paaren dabei, den Weg aus unterschiedlichen Krisen zu finden. In manchen Fällen führt dieser Weg über getrennte Schlafzimmer, sagt sie. "Menschen haben ein unterschiedliches Bedürfnis nach Nähe und Distanz", erklärt Otto. Paare, bei denen es dauerhaft gut laufe, hätten häufig eine gute Nähe-Distanz-Balance.

Beziehung und Ehe durch Abstand retten: Kann das gelingen?

Eine gute Nähe-Distanz-Balance erkennt man daran, dass zwei Teile einer Beziehung daran glauben, auch in einer Beziehung sie selbst sein und eigene Entscheidungen treffen zu können. Dafür haben die Paare Strategien entwickelt, mit denen sie das Gleichgewicht in ihrer Beziehung sowohl durch Ich-Zeit als auch durch Paar- oder Familienzeit halten.

"Vielen Menschen fällt es jedoch schwer, für sich einzustehen, wenn sie mit dem Partner zusammen sind", weiß die Expertin. "Sie kreisen schnell um die Bedürfnisse des Anderen und fühlen sich letztendlich genervt und eingeengt." Diese Menschen müssten häufiger auf Distanz gehen, um sich selbst wieder spüren zu können – sei es durch Hobbys, getrennte Wohnungen oder eine leidenschaftliche Fernbeziehung.

Partnerschaft: Wann Sie in Ihrer Beziehung auf Abstand gehen sollten

Abstand – ein Thema, das Arnika Otto auch oft in ihren Therapiesitzungen begegnet. In einem Fall sei eine Frau zu Beginn der Beziehung sehr damit beschäftigt gewesen, ihren Partner glücklich zu machen, erzählt die Therapeutin. Nach einiger Zeit sei die Frau autonomer geworden, habe jedoch Probleme damit gehabt, diese Autonomie in Gegenwart ihres Partners zu verteidigen. Infolgedessen habe sich die Frau eine eigene Wohnung angeschafft, sagt Otto.

Die systemische Paar- und Sexualtherapeutin Arnika Otto
Die systemische Paar- und Sexualtherapeutin Arnika Otto © Foto: Privat

"Im Laufe der Therapie lernte sie, sich von ihrem Partner abzugrenzen. Er wiederum lernte, das nicht mehr als Angriff auf die Paarbeziehung zu deuten", erklärt die Therapeutin. Die Klientin habe mehr darauf gehört, was sie wollte und sich besser mitgeteilt. Und am Ende fand das Paar sogar wieder zusammen: "Zuletzt gab sie die Wohnung wieder auf", sagt Otto über ihre Klientin.

Was ist das "Living-Apart-Together"-Modell?

Es gibt aber auch andere Gründe dafür, wieso sich Menschen für das sogenannte "Living Apart Together"-Modell entscheiden: Es entsteht weniger Alltag, Streitigkeiten über die Haushaltsführung können abnehmen und Paare können sich öfter zu Dates treffen. Wenn Kinder oder ein Kinderwunsch im Spiel sind, stoße das Konzept jedoch an seine Grenzen. "Außerdem führen Trennungen auf Zeit statistisch gesehen häufig auch zu echten Trennungen", so Arnika Otto.

Getrennte Schlafzimmer allein würden hingegenwenig über die Zufriedenheit innerhalb einer Beziehung aussagen. "Einige Partner schnarchen, andere brauchen ihr individuelles Reich oder finden es sexuell interessanter, sich gegenseitig einzuladen oder zu besuchen", sagt die Therapeutin.

Laut einer Studie eines US-amerikanischen Matratzenanbieters gaben 75 Prozent der befragten Personen an, dass sich die Anwesenheit ihres Partners negativ auf ihren Schlaf auswirke. 59 Prozent sagten außerdem, dass getrennte Schlafzimmer der Beziehung gut tun würden.

Ehe retten statt Fremdgehen: In akuten Krisenzeiten kann Abstand helfen

Auch für Diana Boettcher, Paartherapeutin aus Berlin, kann Abstand in bestimmten Situationen helfen. Zum Beispiel dann, wenn ein Paar schon so lange in der Krise steckt, dass die bloße Anwesenheit des Anderen zu einer gereizten Stimmung führt.

"Paaren, die hoch eskaliert sind, empfehlen wir, im Alltag eher auf Abstand zu gehen und stattdessen den Raum in der Paarberatung moderiert dafür zu nutzen, einander wieder näher zu kommen", sagt Boettcher. Das gelinge aber nicht vielen. Oft gebe es einen Part, der den anderen nicht in Ruhe lassen kann, weil die Angst zu groß ist, die Beziehung zu verlieren. Das sei zwar verständlich, aber nicht immer hilfreich.

Diana Boettcher ist Paartherapeutin in Berlin.
Diana Boettcher ist Paartherapeutin in Berlin. © Chris Gonz

"Manchmal muss man die riesengroßen Brände erstmal löschen – und dabei kann Abstand helfen", sagt sie. Die Therapeutin betont aber auch: "Diesen Rat gebe ich nur, wenn das Paar parallel in der Beratung ist. Ansonsten entfernt es sich einfach nur voneinander."

Allen anderen Paaren rät Boettcher: "Es ist wichtig, dass wir uns Zeit für uns selbst nehmen und individuelle Räume haben." Eine Beziehung brauche beides: Nähe und Distanz. Paare, die sich voneinander entfernen können, aber trotzdem emotional miteinander verbunden sind, sich gegenseitig Freiraum gönnen und sich davon nicht bedroht fühlen, hätten oft die gesündesten Beziehungen.

Und wer weiß: Vielleicht sorgen ein eigenes Hobby oder ein Kurztrip mit Freundinnen und Freunden ja auch dafür, dass das Nachhausekommen umso schöner ist.