Berlin. Fast jeder Dritte geht fremd und betrügt seinen Partner. Doch das muss nicht das Ende der Beziehung sein, sagt Paartherapeutin Arnika Otto.

Ein Seitensprung bedeutet für viele Paare eine Krise, aus der sie oft nur schwer wieder herausfinden. Trotzdem gehen rund 30 Prozent der Deutschen im Laufe ihres Lebens fremd. Arnika Otto ist systemische Paar- und Sexualtherapeutin in Essen und hilft Paaren unter anderem dabei, ihre Beziehung nach einem Betrug wieder zu festigen.

Frau Otto, wie gehen Sie vor, wenn Menschen nach einem Seitensprung in Ihre Praxis kommen?

Otto: Beim Erstgespräch haben beide Partner die Gelegenheit, die Situation zu schildern. Man könnte sagen, dass beide Partner in unterschiedlichen Zeiten unterwegs sind: Der Betrügende möchte möglichst schnell aus der Krise und einem neuen Sonnenaufgang entgegen spurten. Das ist natürlich recht leicht, wenn man für sich eine Entscheidung getroffen hat und sowohl die Bedeutung der Außenbeziehung als auch der Hauptbeziehung gut einschätzen kann. Der Betrogene kann dies jedoch nicht und sieht die Sache daher oft ganz anders.

Welche Gefühle kann ein Seitensprung auslösen?

Otto: Für den Betrogenen ist das bisherige Bild, das er von der Beziehung hatte, eingestürzt. Er stellt alles in Frage: Die Beziehung, jedes Wort, das je gesagt wurde und auch die, die gerade gesagt werden. Durch einen Betrug werden in der Regel unsere Kern-Kränkungen getriggert. Das sind negative Glaubenssätze, die wir oft bereits von Kindesbeinen an haben. Das kann zum Beispiel sein: Ich genüge nicht, kein Wunder, dass ich betrogen wurde. Oder: Ich bedeute meinem Partner nichts. Ich bin ihm nicht wichtig. Je negativer die eigenen Glaubenssätze sind, desto mehr schmerzt der Betrug.

Die systemische Paar- und Sexualtherapeutin Arnika Otto
Die systemische Paar- und Sexualtherapeutin Arnika Otto © Foto: Privat | Unbekannt

Ein großes Thema ist sicherlich ein Vertrauensverlust. Wie kann man Vertrauen wieder aufbauen?

Otto: Vertrauen wird geschenkt, nicht erarbeitet. Es gilt individuell zu sehen, unter welchen Umständen wieder Vertrauen geschenkt werden möchte. Man hat erfahren, dass der Partner im Stande ist, über einen gewissen Zeitraum zu lügen und etwas zu tun, von dem er weiß, dass es einen zutiefst verletzt. Oftmals will der Betrogene sehen, dass der Betrügende es bitter bereut und sich um die Beziehung bemüht.

Häufig zeigen sich die Betrogenen etwas anstrengend für den Partner. Es macht Sinn, sich mit den Sorgen und Ängsten des Betrogenen auseinanderzusetzen. Er hat es im Moment schwer und will seinen Partner nicht über die grüne Wiese davon stürmen sehen. Viele haben das Gefühl, den Betrügenden nicht zu schnell von der Anklagebank lassen zu dürfen, damit er das volle Ausmaß dessen begreift, was er einem angetan hat. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Vertrauen ist, dass der Betrogene beweist, dass es ihm leid tut, er die Gefühle des Betrogenen ernst nimmt und ihm die Beziehung so wichtig ist, dass er auch diese schwere Zeit in Kauf nimmt.

Ist es sinnvoll, strengere Regeln aufzustellen?

Otto: Kontrolle ist kein Vertrauen. Am Anfang kann es jedoch hilfreich sein, dem Partner eine "Buße" aufzuerlegen. So sieht der Betrogene, dass er es ernst meint. Es spricht nichts dagegen, gemeinsam durch die Krise zu gehen. Es sollte jedoch kein Dauerzustand werden. Grundsätzlich glaube ich, dass sich vertrauensvolle Menschen nach einer gewissen Zeit auch wieder für das Vertrauen entscheiden. Misstrauen ist anstrengend und verhindert nicht, dass man wieder betrogen wird – eher im Gegenteil, weil sich manch einer denken könnte: Wenn ich eh behandelt werde, als ob, dann kann ich es auch tun. Oder die Beziehung wird so zermürbend, dass die Sehnsucht nach etwas Leichtem umso größer wird.

Nach der Affäre: „Der Betrogene muss die Antwort aushalten können“

Ist radikale Ehrlichkeit nach einem Seitensprung gut oder sorgt sie für mehr Kopfkino?

Otto: Der Betrogene sollte sich selber ganz genau fragen, was er wirklich wissen muss. Er muss die Antwort aushalten können. Ich warne zum Beispiel vor zu vielen Details. Der Betrügende sollte sich überlegen, ob es Dinge gibt, die er erzählen muss. Vielleicht hat er eine Seite von sich erlebt, auf die er nicht verzichten will – ob emotional oder sexuell. Ich ermuntere dazu, dass der Betrügende den Gründen für die Außenbeziehung nachgeht und mit dem Partner teilt. Ein Verständnis der Situation kann helfen.

Ist es eine Option, die Beziehung in solchen Situationen zu öffnen oder ist sie aufgrund des Vertrauensbruchs zu instabil?

Otto: Es ist dann eine Option, wenn der Betrügende für sich feststellt, dass er auf Außenbeziehungen nicht verzichten will. Oft ist der Partner jedoch nicht besonders angetan. Dennoch heißt es nicht selten: Wir stabilisieren erst die Primärbeziehung und verhandeln dann neu über Treue oder erlaubte Seitensprünge.

Sollte der Betrügende den Kontakt zum Seitensprung gänzlich einschränken?

Otto: Der Kontakt erschwert das Überwinden der Krise in der Regel erheblich. Oftmals wird die Außenbeziehung erstmal abgebrochen, geht dann aber doch nochmal in die zweite Runde, weil die Sehnsucht mehr nagt, als dem Betrogenen gesagt wird. Das ist etwas, das viele Betrogene besonders hart trifft. Dennoch passiert es sehr oft.

Fremdgehen: Therapeutin erklärt „Angst vor der grünen Wiese“

Was, wenn man den Seitensprung nicht verzeihen kann?

Otto: Verzeihen ist das Aufgeben von Ansprüchen, die aus einem Schuldverhältnis entstehen: Mein Partner darf nun aufhören, mir zu beweisen, dass er es bereut, er muss sich nicht mehr kontrollieren lassen und muss auch keine weitere Abbitte leisten. Passiert das nicht, gilt es herauszufinden, warum man den Partner nicht aus dem Schuldverhältnis entlassen will oder sich immer wieder mit dem Problem beschäftigt.

Jüngst hatte ich eine Klientin, die denkt, dass sie nicht glücklich sein darf. In ihrer Kindheit war immer alles schwierig und voller Probleme. Probleme gaben ihr deshalb mehr Sicherheit als eine zufriedene Beziehung. Ich nenne das: die Angst vor der grünen Wiese. Eine grüne Wiese ist für Menschen aus Kriegsgebieten nun mal keine schöne Wiese, sondern eine Landschaft, in der sie nicht wissen, aus welcher Richtung geschossen wird. In Bagdad kennen sie sich aus, auf der Wiese sind sie unsicher – also produzieren sie wieder Bagdad.

Glauben Sie, dass ein Seitensprung das Ende bedeuten muss?

Otto: Auf keinen Fall. Es kann das Ende bedeuten, es kann eine massive Irritation in einem sonst intakten Paarleben bedeuten, es kann als Wake-Up-Call fungieren und zu Verbesserungen in der Beziehung führen oder das Beziehungskonzept verändern. Alles ist möglich.