Berlin. Lust an der Provokation: Der Hollywoodstar als Firmenchefin, die sich mit einem Praktikanten auf ein S/M-Spiel einlässt: „Babygirl“.

Der Film hat noch gar nicht angefangen, da hört man sie schon stöhnen. Dann sieht man Nicole Kidman beim Sex mit Antonia Banderas. Nach dem Orgasmus schläft er zufrieden ein. Sie aber stiehlt sich in ein anderes Zimmer. Schaut sich auf dem Laptop einen Hardcore-Porno an, mit einer jungen Frau, die ihrem Daddy gehorcht. Und masturbiert dazu.

Eine Affäre mit einem Jüngeren. Im Büro. Mit S/M-Spielen

Kidman spielt im Film „Babygirl“ eine Powerfrau: Romy ist Gründerin und Geschäftsführerin eines Lagerrobotik-Unternehmens, die immer alles unter Kontrolle und obendrein eine Bilderbuch-Familie hat, mit ihrem Mann Jacob (Banderas), einem gefeierten Bühnenregisseur, und zwei adretten Töchtern. Aber etwas Roboter-artig wirkt sie selbst. Das Glück, es ist schon echt, aber nicht vollständig. Weil sie Gelüste hat, die ihr Mann nicht erfüllen kann.

Dann beginnt eines Tages ein junger Mann, der ihr Sohn sein könnte, ein Praktikum in ihrer Firma. Schon auf der Straße beschützt Samuel (Harris Dickinson) Romy vor einem wilden Hund. Und doch spüren beide in dieser Situation des Ausgeliefertseins noch etwas anderes. Dann erst werden sie sich vorgestellt. Romy behandelt Samuel erst so kühl und reserviert wie alle. Und doch umkreisen und beschnuppern sie sich fortan. Und gehen schließlich eine Liaison ein. Bei der es nicht nur um den großen Altersunterschied geht. Sondern auch um Erniedrigung und Dominanz. Da wird gleich an mehreren Tabus gerührt.

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Die Chefin, die immer das Sagen hat, lässt sich von einem, der in der Hierarchie ganz unten steht, Befehle erteilen und gehorcht. Auch wenn sie damit gegen sämtliche Compliance-Vorschriften verstößt und ein einziger Hinweis von Samuel ihre Karriere, ihr Leben zerstören könnte. Aber das scheint den Reiz, den Kitzel nur zu erhöhen.

Nicole Kidman gibt alles und ist dabei immer wieder ganz schutzlos zu sehen

Sex am Arbeitsplatz, das hat man im Kino zur Genüge gesehen. Aber eben immer mit dem Mann in der Chefposition. „Babygirl“ dreht den Spieß genüsslich um. Die Affäre wird dabei aber nicht als großes Skandalon vorgeführt. Und die SM-Praktiken werden auch nicht sensationsheischend ausgewalzt wie in „9 ½ Wochen“ oder „50 Shades of Grey“. Das ist die eigentliche Provokation von Regisseurin und Drehbuchautorin Halina Reijn: dass diese Affäre nicht moralisch bewertet, nicht verurteilt, nicht verteufelt, sondern einfach nur gezeigt wird.

Es ist schon der zweite Film in kurzer Zeit, in der Nicole Kidman eine reife Frau spielt, die sich auf einen weit Jüngeren einlässt: nach „A Family Affair“ (2024), der das noch als Komödie erzählte. Hier geht es nun deftig zur Sache. Kidman gibt dabei alles, ist immer wieder ganz schutzlos und nackt zu sehen. Und in Situationen, die man als demütigend verstehen könnte. Eine Ausnahme-Performance, für die sie auf den Filmfestspielen von Venedig als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde.

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Immer wieder gibt es stürmische Sexszenen. Und doch verlaufen sie anders als üblich.
Immer wieder gibt es stürmische Sexszenen. Und doch verlaufen sie anders als üblich.

Die Sexszenen werden aber nicht, wie so oft, voyeuristisch ausgeschlachtet. Sie wurden mit einer Intimitätskoordinatorin ausgearbeitet und verlaufen meist ganz anders als gewöhnlich. Die Sexpartner erweisen sich dabei als Suchende. Mal lachen sie unsicher, mal brechen sie ab, mal probieren sie spielerisch Neues aus.

Die Provokation: Weibliches Begehren ganz wertfrei zu zeigen

Das ist die eigentliche Provokation dieses Films: Dass eine Frau, die durchaus etwas zu verlieren hat, sich die Freiheit nimmt, sich sexuell auszuleben. Und dass ihr Lover daraus nicht berechnend Kapital schlagen will, indem er sie erpresst, sondern einfach, wie auch sonst im Praktikum, Erfahrung sammeln will.

Die Niederländerin Halina Reijn begann als Schauspielerin und kennt weibliche Klischee-Offerten wohl zur Genüge. Gleich in ihrem Regiedebüt „Instinct“ wagte sie 2019 den Affront, weil sich da eine Gefängnispsychologin mit einem (ebenfalls jüngeren) Sexualstraftäter einließ. In ihrem dritten Film „Babygirl“ variiert sie das Szenario nun im New Yorker Luxus-Ambiente einer Großunternehmerin.

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Nicole Kidman
Nicole Kidman bei der Premiere von „Babygirl“ auf den Filmfestspielen von Venedig, im August 2024. © DPA Images | Vianney Le Caer

Aber für so viel Freiheit und Freizügigkeit ist die Welt nicht gemacht. Natürlich ist Liebe am Arbeitsplatz ein Aufreger. Aber die wenigen Mitarbeiter, die davon Wind bekommen, schlagen nicht etwa Alarm, sondern versuchen ihr Mitwissen für ihre Zwecke zu nutzen. Und erweisen sich damit als die wahren moralisch Fragwürdigen.

Ein erfrischend anderer Blick auf weibliches Begehren

Es meldet sich auch die gekränkte Männlichkeit, wenn Romy ihrem langjährigen Gatten gesteht, dass sie mit ihm noch nie einen Orgasmus gehabt, sondern das immer nur vorgetäuscht hat. Dass Antonia Banderas diese Rolle spielt, ist feine Ironie, musste der Spanier in Hollywood doch oft das Klischee des Latin Lover erfüllen und den heimlichen Geliebten geben.

Spannend bleibt bis zuletzt, worauf das alles hinausläuft und wie „Babygirl“ diesen Konflikt löst. Aber auch da bleibt sich Reijn treu und weiß unaufgeregt zu überraschen, ohne ihr Thema oder die Figuren zu verraten. Ein mutiger, experimentierfreudiger Film. Und ein erfrischend anderer Blick auf weibliches Verlangen im Kino.

Erotikdrama, USA 2024, von Halina Reijn, mit Nicole Kidman, Harris Dickinson, Antonio Banderas