Berlin. Das Filmporträt über die nordirische Band ist ein rasant-anarchisches Vergnügen. Und ist Irlands Kandidat für den Auslands-Oscar.

Jede verdammte Story über Belfast beginnt wie das hier. Bilder blitzen auf, von Straßenschlachten und brennenden Barrikaden, Schüsse und Schreie sind zu hören. Als eine Autobombe explodiert, friert das Bild ein. Stille. Man kennt Szenen wie diese aus dem Nordirlandkonflikt, von Nachrichten und aus dem Kino. „Jede verdammte Story über Belfast beginnt wie das hier“, so kommentiert denn auch der Erzähler, Liam, aus dem Off in den ersten Sekunden von „Kneecap“. Und verkündet nach einer kurzen Pause: „Aber nicht diese.“

Die Band wurde auf der Polizei gegründet - als Protest im Verhörraum

Stattdessen setzt die Geschichte mit einer Mutter und ihrem Baby im Wald an. Also ganz am Ursprung, „Kneecap“ ist schließlich eine „Origin-Story“, wie bei Superheldenfilmen, nur dass es hier um drei blasse irische Jungs geht und den Gründungsmythos ihres gleichnamigen, auf gälisch rappenden Hiphop-Trios. Und der hat es in sich.

Liam Óg Ó hAnnaidh und Naoise Ó Cairealláin gehören Ende der 2010 zur ersten Generation nach dem offiziellen Ende des Nord­irlandkonflikts 1998. Auf einem Protestmarsch für die irische Sprache sprühen Naiose und ein Freund die Buchstaben „C.E.A.R.T.A.“ an eine Bushaltestelle, zu Deutsch so viel wie Menschenrecht, um klarzumachen, dass Irisch als Ausdrucksmittel für die Bewohner der Region elementar ist. Sie werden prompt verhaftet und weil der Freund sich weigert, beim Polizeiverhör Englisch zu sprechen und die Beamten ihn nicht verstehen, wird ihm ein Irischlehrer als Dolmetscher gestellt.

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Dieser J.J. Ó Dochartaigh wird später Teil des Bandprojekts, lange vermummt mit einer umfunktionierten Strickmütze, um seine Identität nicht preiszugeben, und ist nun als DJ Próvaí für den Sound verantwortlich. Aus Naoise wird MC Móglaí Bap, aus Liam wird MC Mo Chara, „C.E.A.R.T.A.“ 2017 die erste Single von „Kneecap“, der Band, die in einem Verhörraum geboren wurde. So viel realer Mythos muss sein.

Sie benennen sich nach den Gepflogenheiten der nordirischen Terrorgruppe IRA, Feinde und Abtrünnige mit einem gezielten Schuss in die Kniescheiben außer Gefecht zu setzen. Auch sonst ist der Humor des HipHop-Trios rabiat, rasend schnell und irre komisch. Und konsequent auf Gälisch.

Außerhalb Irlands versteht kaum einer die drastischen Texte - geschenkt

Die Sprache ist für sie identitätsstiftend, Teil ihrer Kultur und sie setzen sich leidenschaftlich dafür ein, dass Gälisch ganz offiziell Landessprache wird. Damit wurden die drei erst in ihrer Heimat zu Undergroundhelden, ihre Songs schon mal im Radio verboten, bevor sie international Hallen füllten mit ihrem prollig-pumpenden Partysound, und dabei von Drogen, Feiern und Sex rappen.

Dass die drastischen Texte außerhalb Irlands kaum jemand versteht: geschenkt. Die Message der drei Hooligans ist klar: Wir sind irisch und das nimmt uns keiner. Und geben mit den treibenden Beats so Gas, dass sie ihre Fans auch ohne Textexegese zum Hüpfen bringen.

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Die Message ihrer Songs ist klar: Wir sind irisch, und das nimmt uns keiner.
Die Message ihrer Songs ist klar: Wir sind irisch, und das nimmt uns keiner. © Atlas Filmverleih | Atlas Filmverleih

Regisseur Rich Peppiatt, Jahrgang 1984, der zuvor den satirischen Dokumentarfilm „One Rogue Reporter“ und die Musikdoku „Who killed the KLF?“ drehte, inszeniert die Gründungs- und Aufstiegsgeschichte der Band nun in einer mitreißenden Mischung aus realen Begebenheiten und fiktionalen Elementen. Die drei Bandmitglieder spielen sich dabei selbst, oder, besser gesagt, Versionen ihrer selbst.

Wahr oder erfunden? Glauben sollte man wirklich nicht alles an dieser Legende, ernst nehmen aber unbedingt, weil es viel über das Selbstverständnis einer Generation aussagt, die nicht mehr mit bewaffnetem Kampf aufgewachsen ist und dennoch damit hadert, in Nordirland kein gleichberechtigtes Leben führen zu können. In einer Nebenrolle ist Michael Fassbender zu sehen. Der deutsch-irische „X-Men“- Star spielt Liams Vater Arló, Angehöriger der IRA, der seinen eigenen Tod vortäuschte, um einer Verhaftung zu entgehen und seinem Sohn Irisch beibrachte.

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Weil ein Großteil der Dialoge auf irisch sind, geht „Kneecap“ nun für Irland ins Oscar-Rennen. Ein bisschen Hintergrundwissen zum historischen Konflikt ist hilfreich, doch der Film funktioniert als energiegeladener Musik- und Partytrip auch ohne. So rasant und rotzig dieser Aufstieg inszeniert ist, folgt der der Film dabei doch durchaus gängigen Pfaden, die ähnliche filmische Musikerbiografien wie etwa „8 Mile“ über Eminem zuvor gelegt haben.

Ein anarchisches Vergnügen, das immer wieder respektlos und absurd-komisch Grenzen des Geschmacks und der politischer Korrektheiten überschreitet und sich dabei stets selbst mit auf die Schippe nimmt, ist „Kneecap“ allemal.

Drama, Irland/GB 2024, 105 min., von Rich Peppiatt, mit Liam Óg, Naoise Ó Cairealláin, JJ Ó Dochartaigh, Michael Fassbender