Berlin. Der Romanklassiker von Alexandre Dumas neu verfilmt. Mit Pierre Niney. Und vielen Nuancen, die das Altbekannte neu erscheinen lassen.

Unschuld und Aufrichtigkeit allein reichen nicht mehr aus, um für ihn einzunehmen. Nein, dieser Edmont Dantès muss schon in der ersten Szene ins offene, stürmische Meer springen, um eine Frau vor dem Ertrinken zu retten. Muss sich das Oberhemd vom Leib reißen, damit man auch gleich seine athletische Statur bewundern kann.

Aber die Heldentat wird ihm nicht zur Ehre gereichen. Im Gegenteil. Die Schiffbrüchige ist eine Spionin, die eine geheime Botschaft von Napoleon aus dessen Exil nach Paris schmuggeln soll. Und da die Dame die Schwester des Staatsanwalts von Marseille ist und die Aufdeckung ihrer Tat auch seinen Ruf ruinieren würde, wird das Dokument ihrem Retter zugesteckt. Und dieser deshalb des Hochverrats angeklagt.

Neuverfilmung mit kleinen, aber feinen neuen Akzenten

Das ist eine von vielen Momenten, wo „Der Graf von Monte Christo“ umgeschrieben wird. Alexandre Dumas‘ Abenteuerroman aus den Jahren 1844 bis 1846 gehört längst zum Kanon der Weltliteratur. Auch wenn die wenigsten den Schmöker wirklich gelesen haben, der mit seinen 1200 Seiten noch mal deutlich dicker ist als Dumas‘ noch populärerer Roman „Die drei Musketiere“. Die meisten kennen den Stoff nur als Film. Und da ist nur die Frage, welcher Generation man angehört.

Nur noch wenige werden die französischen Kinoverfilmungen von 1953 mit Jean Marais oder von 1961 mit Louis Jourdan kennen. Am bekanntesten dürfte der britische TV-Mehrteiler von 1975 mit Richard Chamberlain sein, in Erinnerung vor allem, weil der Rächer hier ganz in Schwarz, aber mit langem weißen Haar auftrat. Auch Gérard Depardieu hat die ikonische Rolle 1998 in einem Fernsehmehrteiler gespielt, und Hollywood hat den Roman 2002 mit James Caviezel verfilmt.

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Es gibt sogar ägyptische und mexikanische Versionen und eine japanische Trickfilmserie. Schon wieder ein „Graf von Monte Christo“, mögen manche also denken. Aber das ist ganz offensichtlich ein Stoff, der nicht altert. Und immer wieder zu neuen Verfilmungen reizt. Ganz ähnlich wie Dumas‘ Musketiere.

Der jüngste oder doch jüngst gebliebene Graf von Monte Christo, den es je gab

Die wurden zuletzt von den Drehbuchautoren Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière umgesetzt, 2023 mit vielen Stars als monumentaler Kino-Zweiteiler. In Deutschland kam der zweite Teil zwar gar nicht mehr ins Kino, sondern nur noch als DVD heraus. In Frankreich dagegen war die Neuverfilmung geradezu ein Staatsakt, Uraufführung auf dem Filmfestival von Cannes und Vorpremiere im Herzen von Paris inklusive.

Das Filmstudio Pathé gab damals bekannt, auch künftig in groß angelegte Prestigeprojekte investieren zu wollen. Und so durften sich Delaporte und de la Patellière nun gleich in Folge, und diesmal auch als Regisseure, Dumas‘ Rächerroman vornehmen, als Dreistundenepos. Mit Pierre Niney in der Titelrolle. Der ist gerade mal 34 Jahre alt, aber schon ein Bühnenstar der Comédie française und hierzulande vor allem bekannt durch den Film „Yves Saint Laurent“ (2014), in dem er den Modeschöpfer verkörperte. Schon da musste er sich dem Vergleich stellen, mit einem anderen Biopic aus dem gleichen Jahr, „Saint Laurent“ mit Gaspard Ulliel. Als Graf von Monte Christo muss er sich nun mit gleich mehreren berühmten Kollegen messen lassen

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Dumas-Experten: Das Regie-Duo  Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière bei den Dreharbeiten zu „Der Graf von Monte Christo“.
Dumas-Experten: Das Regie-Duo Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière bei den Dreharbeiten zu „Der Graf von Monte Christo“. © Central | capelight

Jeder kennt sie leidlich, die Geschichte vom armen Seemann, den eine Intrige in den Kerker bringt: das legendäre Chateau d’If, Pflichtprogramm eines jeden Marseille-Besuchs. Jeder kennt die Geschichte, wie er dort 14 Jahre vor sich hinvegetiert, aber auch von einem versteckten Schatz auf einer fernen Insel erfährt und schließlich fliehen kann. Jeder kennt den Triumph, wie er unsagbar reich zurückkehrt und sich nach und nach an den Männern rächt, die sein Leben ruiniert haben. Jeder weiß aber auch, dass es kein Happy End mit seiner einstigen Liebe Mercedes gibt. Nicht, weil sie nicht auf ihn gewartet hat. Sondern weil längst keine Liebe, sondern nur noch Hass in ihm ist.

Der Film nimmt sich auch Anleihen bei einer anderen berühmten Figur: Fantômas

Aber wie das so ist bei Altbekannten: Es gilt das Prinzip Same same but different. Man möchte schon die Wiedererkennung, aber sich nicht mit reiner Wiederholung langweilen. Weshalb jede Neuverfilmung neue Akzente setzen muss. Und das tut das Dumas-erprobte Trio. Allein schon mit dem erst 34-jährigen Niney, der wohl der jüngste oder doch jüngst gebliebene Graf aller Zeiten ist. Depardieu war schon 49, als er die Dumas-Rolle übernahm, Marais und Chamberlain waren immerhin 40. Und selbst der damals 35-jährige Caviezel, mit dem der Stoff auch schon stark verjüngt wurde, wurde als Graf deutlich älter geschminkt.

Niney aber scheinen die 14 zehrenden Jahre im Kerker kaum etwas anhaben können. Außer einer markanten Narbe ist er noch immer ein Bild von einem Mann. Die Einzelzelle bei Brot und Wasser scheint eher ein Anti-Aging-Resort gewesen zu sein. Während seine Gegenspieler Villefort (Laurent Lafitte), Morcef (Bastien Bouillon) und Danglars (Patrick Mille) – deren Intrigenspiel gegen Dantès ein bisschen anders motiviert sind als im Roman – in der Zwischenzeit deutlich vom Leben gezeichnet wurden.

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THE COUNT OF MONTE-CRISTO
Einer der prägnantesten Grafen von Monte Christo: Richard Chamberlain 1975 als schwarzer Rächer mit weißem Haar. © picture alliance / Mary Evans Picture Library | Rights Managed

So ganz ohne frühzeitige Alterung müsste eigentlich jeder in dem fremden Grafen den Dantès von einst erkennen. Deshalb arbeitet der Rächer zuweilen mit Gesichtsmasken. Wobei man erst an Tom Cruise und seine „Mission: impossible“-Filme denkt, schnell aber auch an eine andere berühmte französische Romanfigur, die auch leidlich verfilmt wurde: Fantômas. Der Graf hat außerdem zwei junge Gehilfen, denen er stets seine Rachepläne erklärt. Ein dramaturgischer Kniff, damit auch das Publikum eingeweiht – und zum Komplizen wird.

Same same but different. Das geht leidlich auf. Etwa wenn der Gefangene schon im Totensack liegt und auf die Zinnen getragen wird, um von dort ins Meer geworfen zu werden, ein Wächter aber die leere Zelle von Dantès entdeckt und die Sackträger noch aufhalten will. Natürlich muss die Flucht gelingen, sonst ginge die Geschichte ja nicht weiter. Und doch bangt der Zuschauer bis zuletzt, dass das doch noch vereitelt werden könnte.

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Der Film protzt mit aufwändigen Kulissen, ohne sich in ihnen zu verlieren.
Der Film protzt mit aufwändigen Kulissen, ohne sich in ihnen zu verlieren. © Central | capelight

Nur eines von vielen Beispielen, mit denen die alte Geschichte neu und frisch inszeniert wird. Auch die Damen sind hier nicht nur schmückendes Beispiel, sie spielen eine weit aktivere Rolle. Selbst eine lesbische Liebe wird angedeutet. Womit man sich breiter und diverser aufstellt. Der immense Aufwand, was da an Kulissen und Kostümen aufgefahren wurde, ist in jedem Bild spürbar, die Kamera fährt aber nicht, wie so oft in Historienschinken, prahlerisch lange drüber.

Ein klassischer Mantel- und Degenfilm, der sich nicht im eigenen Schlepptau verheddert. Sicher, auch diese Neuverfilmung erfindet das Rad nicht neu. Aber der Graf von Pierre Niney besteht bestens und kann sich würdig einreihen in die Christo-Galerie von Marais bis Dépardieu. Und ein paar Abwandlungen haben es wirklich in sich. Etwa wenn ein Gegenspieler im Degenduell nicht getötet, sondern am Leben gelassen wird. Weil der Ehrverlust und das Fortleben in Schimpf und Schande die weit größere Rache sind.

Abenteuerfilm, Frankreich 2024, 178 min., von Matthieu Delaporte, Alexandre De La Patellière, mit Pierre Niney, Bastien Bouillon, Anaïs Demoustier, Pierfrancesco Favino