Essen. Die Protagonistin wird entführt, eingesperrt oder vergewaltigt: Dark Romance lebt von düsterer Gewalt. Wie das auf Minderjährige wirken kann.

Hunderte Bücher in rosaroten bis tiefschwarzen Covern auf 8000 Quadratmeter: Mit Halle 1.2 hat die Frankfurter Buchmesse 2024 vor allem junge Mädchen und Frauen angezogen. Hier präsentierten 64 Aussteller Bücher des Genres New Adult mit seinen Untergattungen Romance und Fantasy. Einige von ihnen – insbesondere jene der Dark Romance – tragen Altersempfehlungen auf ersten paar Seiten.

Ab 16 Jahren heißt es häufig. Rechtlich bindend ist eine solche Empfehlung für Bücher nicht. Glaubt man etwa Kommentaren unter Buch-Videos auf Tiktok, lesen auch Mädchen im Alter von 12, 13 oder 14 Jahren Dark Romance: Erzählungen, in denen Frauen entführt, eingesperrt oder vergewaltigt werden, von denen es häufig heißt, sie würden sexualisierte Gewalt romantisiert darstellen. Wir haben bei der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) nachgefragt, was das mit jungen Leserinnen macht und wie Eltern ihre Kinder schützen können.

Bisher kein Prüfverfahren für Dark Romance Bücher

Die Prüfstelle für jugendgefährdende Medien bei der BzKJ kontrolliert Medien auf potenziell jugendgefährdende Inhalte. Fällt ein Game, Film oder Buch durch, wird ein Werbe- und Verbreitungsverbot ausgesprochen. Laut Aussage der Bundesbehörde mit Sitz in Bonn gab es bisher kein Prüfverfahren für Dark Romance Bücher.

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Denise Schönnenbeck, psychologische Referentin im Bereich Grundsatz und Strategie der BzKJ, beschäftigt sich mit sexueller Gewalt und Belästigung in digitalen Medien. Dark Romance sei ihr längst ein Begriff. Die Psychologin sieht durchaus eine potenziell negative Wirkung auf Kinder und Jugendliche, die das Genre mit seinen Darstellungen von Sexualität und sexualisierter Gewalt lesen.

Sexualität: Kinder und Jugendliche lernen von Medien

Sexuelles Lernen sei ein besonderer Fall: Während Kinder und Jugendliche etwa das Essen mit Messer und Gabel wie selbstverständlich von ihren Eltern, Geschwistern oder Freundinnen und Freunden abschauen, holen sich viele Jugendliche in den Medien ihr „mentales Verhaltensskript“ zu Sexualität ab – etwa in Pornografie oder Dark Romance Romanen.

Im Klartext bedeute das: Erste Berührungspunkte mit Sexualität erleben Kinder und Jugendliche im Internet oder auf dem Papier. Lesen sie in Dark Romance Romanen wiederholt von erzwungener Intimität, könne sich dieses Verhaltensskript laut Schönnenbeck festsetzen. So wie Kinder lernen, dass sie im Restaurant zunächst Getränke und dann Essen bestellen, könnten sie verinnerlichen, dass Sex dem Mann gefallen muss, die Frau für gewöhnlich betäubt oder gefesselt wird. „Konsumiere ich viele Medieninhalte, die mir eine toxische Dynamik vermitteln oder dass Frauen immer unterlegen sind und männliche Dominanz herrscht, baue ich die Vorstellung auf, das sei normal, eine Frau solle sich so verhalten“, erklärt die Psychologin.

Dark Romance: Junge Leserinnen könnten sich ungesunde Verhaltensskripte abschauen

So könnten Dark Romance Romane dazu führen, dass ihre Leserinnen die Realität verzehrt wahrnähmen und gegenüber Gewalt und toxischen Verhaltensmustern desensibilisiert würden. Ganz so einfach sei die Wirkung von Medien dann aber doch nicht: Nur weil eine Jugendliche einen Roman lese, sei ihr sexuelles Skript nicht für immer in eine Richtung geprägt.

„Auf uns Menschen wirken ganz viele Faktoren ein: die Bindung zu den Eltern, eigene Beziehungserfahrungen, das Alter spielt eine Rolle, erworbene Normen und Werte.“ Auch Persönlichkeitseigenschaften der Leserin seien entscheidend. Adaptiert diese etwa schnell Meinungen von anderen, sei sie gefährdeter, aus Dark Romance Romanen toxische Beziehungsskripte mitzunehmen. An einem bestimmten Alter sei diese Reife schwer festzumachen. Im Prüfverfahren jugendgefährdender Medien ginge man daher immer von gefährdungsgeneigten Jugendlichen aus.

Wie Eltern mit Dark Romance Büchern umgehen sollten

Andere Jugendliche könnten sich von Dark Romance Romanen auch ermächtigt fühlen, gibt Schönnenbeck zu bedenken – insbesondere junge Erwachsene, deren Normen und Werte bereits gefestigt sind, die möglicherweise schon eigene, gesunde Beziehungserfahrungen gemacht haben. „Sie lernen dabei etwas über ihre eigene Sexualität“, sagt die Expertin.

Eltern, die vor der Frage stehen, ob sie ihren minderjährigen Kindern Dark Romance zutrauen, sollten sich eben diese Frage stellen: „Wie weit ist mein Kind?“ Die Frage könne man durchaus auch mit der Jugendlichen selbst besprechen und herausfinden, was das Genre für sie so reizvoll macht. An den Altersempfehlungen, die Verlage vergeben, könnten sich Eltern zudem orientieren. Auch der eigene Blick ins Buch sei lohnenswert: Hilfreich seien etwa Szenen, in denen die Gewalt aufgearbeitet und sich von dieser distanziert wird.

So oder so: Ein Verbot hält Psychologin Schönnenbeck nicht für zielführend. Stattdessen sollten Eltern die Lektüre lieber begleiten und mit der Leserin über toxische und missbräuchliche Beziehungsmuster sprechen.

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