Essen. Unter Klaus Mäkelä erklangen auch Kuhglocken, als das brillante Orchester in der Philharmonie Mahlers Sechste Sinfonie zelebrierte.

Ein weihnachtliches Festprogramm war es nicht wirklich, und doch geriet dieser Abend zum Weihnachtsgeschenk. So bekundete es nicht nur Philharmonie-Intendantin Marie Babette Nierenz, sondern auch Daniel Froschauer vom Orchestervorstand, der im Vorabgespräch verriet, dass sich die Wiener Philharmoniker „irrsinnig“ freuten, in Essen zu spielen. Denn hier, im ehrwürdigen Saalbau, dirigierte Gustav Mahler 1906 höchstpersönlich die Uraufführung seiner 6. Sinfonie – damals mit den Essener Philharmonikern, verstärkt vom Sinfonieorchester Utrecht wegen der weit über 100-köpfigen Besetzung dieses anderthalbstündigen Monolithen.

Nun also die Wiener als einer der traditionsreichsten und besten Klangkörper der Welt, geleitet von dem 28-jährigen Senkrechtstarter Klaus Mäkelä. Kann der schon Mahler? Dass er es kann, hatte der Finne, in dieser Saison Portraitkünstler der Essener Philharmonie, erst unlängst mit der Ersten am Pult des Concertgebouworkest bewiesen. Und dass andererseits die Wiener Philharmoniker nicht erst seit heute auf die jüngere Dirigentengeneration blicken müssten, bekannte auch Geschäftsführer Michael Bladerer. Schließlich sei selbst Zubin Mehta als ihr dienstältester Maestro schon 1961 als Mittzwanziger dabei gewesen …

Klaus Mäkelä: Mahler blieb ein Wohllaut bis in die expressiven Passagen

Klaus Mäkelä jedenfalls genießt spürbar den Respekt der Wiener. Auch in der „tragischen“ Sechsten gab er nicht den jugendlichen Draufgänger oder manierierten Egomanen. Da irritierten weder überzogene Tempi noch brutale Klangattacken. Bis in die extrem aufgeladenen Momente der Ecksätze blieb Mahlers expressiv zerrissene Musik Wohllaut: dank der Noblesse der Blechbläser (nicht nur der exzellenten Hornsoli!), den Zauberfarben des Holzes, den seidig-geschmeidigen Streichern und den naturidyllischen Mixturen von Celesta und fernen Kuhglocken.

Wiener Philharmoniker: Am Ende sprachlose Stille – bevor sich die Spannung in Jubel auflöste

Das „allerpersönlichste Werk“ des Komponisten, so Alma Mahler, setzt Mäkelä hier mit dem österreichischen Wunderorchester höchst sensibel um. Das Andante (an zweiter Stelle gespielt) wird nach der unerbittlichen Strenge des Kopfsatzes zur wehmütig schönen Oase des Friedens, ohne den ständig pochenden Marschrhythmus, der im Finale in die „Axthiebe“ des Holzhammers mündet, mit denen Mahler die Vision der eigenen Schicksalsschläge antizipiert haben mochte. Keine strahlende Apotheose per aspera ad astra am Ende, sondern ein letzter akkordischer Aufschrei und sprachlose Stille. Auch das Publikum brauchte eine gefühlte Minute, bevor sich die Spannung im Jubel löste.