Köln. Mit „Rath“, dem zehnten Band der Babylon Berlin-Buchvorlage, beendet Volker Kutscher die Krimireihe. Muss der Titelheld sterben?
Leichten Schrittes kommt Volker Kutscher an diesem milden Herbstmorgen durch die gut besuchte Kölner Fußgängerzone zum Treffpunkt geschlendert. Am nächsten Tag geht es weiter zur Buchmesse nach Frankfurt, wo er zu den großen Namen zählt, und danach auf Lesereise quer durchs Land. Wie das so ist, wenn aus einem Buch- ein Bestsellerautor geworden ist, der gerade einen neuen Roman herausbringt. „Rath“ heißt er dieses Mal und ist Höhepunkt und Abschluss der zehnteiligen Krimireihe, die mit ihren ersten Bänden Grundlage der erfolgreichen TV-Serie „Babylon Berlin“ ist (zu sehen bis 15. Januar 2025 in der ARD Mediathek).
Charly muss gleich zwei Kriminalfälle lösen
Gleich zwei Kriminalfälle will Charlotte Rath, genannt Charly, im neuen Buch aufklären. Obwohl sie niemand damit beauftragt hat. Da ist die junge Jüdin aus der Psychiatrie, die bei ihrer angeordneten Zwangssterilisation angeblich „durch unvorhersehbare Komplikationen“ stirbt, und da ist ihr Pflegesohn Fritze, der zwei Kameraden aus der Hitlerjugend umgebracht haben soll. Hilfe von Gereon ist nicht zu erwarten. Der gilt offiziell als tot, muss sich im Rheinland vor den Häschern der SA und Gestapo verstecken. Schnell stellt Charly fest, dass sie selbst alten Freunden nicht mehr trauen kann und sich in höchste Gefahr bringt, wenn sie gegen den Willen des Regimes ermittelt.
Bald ahnt man als Leser, wer die wahren Täter sind. Aber das ist nicht wichtig. Mordfälle und ihre Aufklärung sind längst nicht mehr das Wichtigste in dieser Reihe. Konsequent beschreitet Kutscher den Weg, auf dem er in dem Band „Olympia“ abgebogen ist. Spannend und erstklassig recherchiert erzählt er, wie sich seine Helden in einer Gesellschaft zu behaupten versuchen, in die die Ideologie der Nazis langsam, aber unaufhaltsam in den Alltag der Menschen einsickert. In das Recht nichts mehr mit Gerechtigkeit zu tun hat, Freunde zu Verrätern werden und Nachbarn zu Denunzianten. Und in der nahezu das gesamte Land sehenden Auges in die Katastrophe schlittert.
Zehn Bände sind in 20 Jahren erschienen
Es brennen die Synagogen, klirren die Schaufensterscheiben, werden Juden im ganzen Land brutal zusammengeschlagen, manche auch getötet. Eindrücklich und gewohnt realistisch schildert Kutscher zum Finale die Ereignisse der Nacht vom 9. November 1938, von den Nazis damals „Reichskristallnacht“ genannt. Ein Name, den Kutscher für viel zu harmlos, ja geradezu zynisch hält, denn: „Das war der endgültige Zivilisationsbruch.“
Zehn Bände in 20 Jahren sind es geworden. Ist jetzt wirklich Schluss? Der 61-Jährige kennt die Frage, Fans stellen sie ihm seit Jahren. Seine Antwort ist stets dieselbe. „Die Rath-Serie ist beendet“, sagt er. „Es ging um Demokratie und wie sie kaputtgeht, wie sich eine Diktatur entwickelt, die immer schlimmer wird.“ Das ist nun erzählt.
Für ihn selbst, sagt Kutscher, sei der letzte Band eine Herausforderung gewesen. Nicht nur, weil es „einen gewissen Erwartungsdruck von der Leserschaft“ gab: „Ich wollte die Reihe ja selbst zu einem würdigen Ende bringen. Dafür musste ich offene Fäden aus den vorhergegangenen Teilen wieder einrollen, aber auch vorhandene Konflikte weiterführen.“ Oder sogar beenden. Letzteres hat nicht immer geklappt, aber das stört Kutscher nicht. Im Gegenteil. Das Ende sei anders als ursprünglich geplant, es sei viel offener. Das findet er besser: „Ich wünsche mir, dass die Leute sich Gedanken machen, wenn sie das Buch zuschlagen.“
Volker Kutscher: Viele Menschen wissen zu wenig über Geschichte
Und nicht nur über das Schicksal der Figuren, zumindest von denen, die noch leben. Sondern auch über die Zeit, in der sie leben: „Ich möchte Menschen dazu bringen, sich mit der damaligen Geschichte zu beschäftigen. Viele Leute wissen zu wenig darüber und laufen deshalb leichtfertig irgendwelchen Rattenfängern hinterher.“
Hat er Angst, dass sich die Geschichte wiederholt? Kutscher schüttelt den Kopf. „Das ist mir zu fatalistisch. Wenn man das sagt, hat man schon aufgegeben.“ Ein Blick in die Geschichte könne nicht helfen, die Probleme von heute zu lösen. „Aber aus Geschichte kann man lernen. Man muss nicht die Fehler, die man schon mal gemacht hat, noch einmal machen.“ Gerade im Umgang mit Extremisten. Besonders gefährlich sei es, die Leute nicht ernst zu nehmen: „Klar kann man darüber Witze machen, aber das löst nicht das Problem. Denn viele andere nehmen diese Menschen ernst.“ Und irgendwann sei es zu spät, wie die Erfahrung zeige: „Wenn man faschistoide Parteien ans Ruder lässt, fahren sie das ganze Land gegen die Wand“, warnt der Autor, „und noch die halbe Welt dazu.“
Bleibt noch die Frage, was er künftig macht, jetzt wo die Reihe zu Ende ist. Kutscher winkt ab. „Erst mal werde ich noch eine ganze Zeit lang im Rath-Kosmos unterwegs sein.“ Denn nicht nur einen dritten von Kat Menschik illustrierten dünnen Band mit dem Arbeitstitel „Westend“ wird es geben, sondern auch eine Kurzgeschichtensammlung. Darin will er „weiße Flächen und schwarze Löcher in den Romanen füllen“, will erzählen, was aus Figuren geworden ist. „Und das müssen nicht zwangsläufig die Hauptfiguren sein.“
Aber dann? Was macht er dann? „Wo ich richtig Lust drauf habe“, sagt Kutscher. Schreiben gehöre definitiv dazu. Ein ganzer Ordner voller Ideen findet sich auf seinem Rechner. „Alles, was mir in den letzten 20 Jahren mal eingefallen ist.“ Unmöglich, zu sagen, was er als Nächstes veröffentliche. „Ein Band mit Liebesgedichten wird es wohl nicht werden“, schätzt er. Zu abwegig soll es grundsätzlich nicht werden. „Wer etwas schreibt“, sagt Kutscher, „möchte ja, dass es auch gelesen wird.“