Münster. Frauenfeindlich? Rassistisch? Übergriffig? Der Expressionist und seine Idyllen sollen im Museum für Kunst und Kultur diskutiert werden.
Das Lieblingsbild von David Bowie ist auch da. Ein „Liebespaar zwischen Gartenmauern“, knutschend, eng aneinandergeschmiegt. Und langgestreckt, wie alle Frauen- und Männerfiguren, die Otto Mueller gemalt hat. Die schützenden Mauern scheinen auf das Paar zuzustürzen, im Hintergrund scheint das Gebüsch zu explodieren. Und doch ist auch viel Harmonie in diesem Bild, im Verschmelzen des so gegensätzlichen Paars. Spannend!
Einfacher wäre es allerdings, Otto Mueller nicht zu zeigen. Er ist umstritten. Die vielen jungen, ja sehr, sehr jungen Frauen, die er nackt gemalt hat – und dann erst die vielen Bilder von Roma und Sinti, die im Titel das führen, was heute das „Z-Wort“ genannt wird … Das LWL-Museum für Kunst und Kultur traut sich trotzdem, ab dem 20. September sind rund 65 Gemälde, Grafiken und Aquarelle des Künstlers dort zu sehen.
Otto Mueller in Münster: Diskussionen werden nicht vermieden, sondern angefacht
Und den Diskussionen geht das Haus am Münsterschen Domplatz nicht aus dem Weg. Im Gegenteil, es facht sie an: Weil man hier auch nicht weiß, wie man richtig damit umgeht, ist das „Z-Wort“ in den Bildtiteln mal in Anführungszeichen gesetzt, mal (sichtbar) durchgestrichen, mal überdeckt. Das Schlusskapitel im Katalog gibt eine Diskussion darüber wieder. Und drei Künstlerinnen aus der Community der Romnja und Sintizze antworten mit Werken auf Mueller. Und ein Raum der Aktivistin, Künstlerin und Wissenschaftlerin Natasha A. Kelly problematisiert die Rolle der Schwarzen in Muellers und expressionistischen Bildern überhaupt.
Wer indes die vielen „Badenden“ Muellers sieht, denen hier ein ganzer Raum gewidmet ist, die gedeckten Töne seiner Leimfarben, die oft das grobe Webmuster der Rupfen-Leinwand noch betonen, weiß auch: Hier sind gar nicht Menschen gemalt, sondern Idealvorstellungen. Mit Anleihen bei der altägyptischen Kunst, bei seinem Freund Wilhelm Lehmbruck, bei Lucas Cranach.
Otto Mueller in Münster: Menschen unverstellt in der Natur
Muellers Mädchen, Frauen und manchmal auch Männer haben sich der einengenden Zivilisation im wahrsten Sinne des Wortes entkleidet. Seine Landschaften kennen See-Ufer, Bäume und Gestrüpp – aber keine Straßen, Häuser, Schlote. Müller malte Ruhe, Selbstbesinnung und Menschen, die eins sind mit der Natur. Sein „Akt zwischen den Bäumen“ könnte einer von ihnen sein. Die Idyllen lassen aber auch das Böse ahnen.
Drei Ehen und den vier Frauen seines Lebens, die Mueller am häufigsten (und oft voller Selbstvertrauen) malte, ist ebenfalls ein eigener Raum gewidmet. Ein Film erklärt die nicht zu unterschätzende Rolle der Ehefrau „Maschka“ Mayerhofer in seinem Leben, die auch nach der Scheidung seine Beraterin, Managerin, Gefährtin blieb. Wer Otto Mueller selbst wirklich war, offenbaren auch seine Selbstporträts nicht wirklich, so sehr sie auch in Abgründe blicken lassen. Seinen „Brücke“-Kollegen galt er als feiner, höchst schätzenswerter Mensch – er selbst dachte oft verächtlich von ihnen. Nicht von ungefähr hatte er wiederholt ein Kunststudium abgebrochen, allergisch gegen Kritik.
Otto Mueller in Münster: Am 20. Oktober vor 150 Jahren geboren
Otto Mueller, der am 20. Oktober vor 150 Jahren zur Welt kam, reizt. Nicht zuletzt deshalb, weil Chef-Kuratorin Tanja Pirsig-Marshall in dieser Ausstellung erstaunlich viele qualitätvolle Leihgaben aus aller Welt (bis hin zum MoMA in New York) versammeln konnte: Müllers Gemälde sind so empfindlich, dass sie noch weniger reisen dürfen als andere – so viele wie in Münster wird man in nächster Zeit kaum wieder an einem Fleck sehen können.