Essen. Freddie Mercurys persönlicher Roadie veröffentlicht bislang unbekannte Fotos – und erzählt, wie die Band mit David Bowie zusammenkam.

Die Band Queen hat jüngst ihren Musikkatalog für 1,185 Milliarden Euro an Sony Music verkauft: Der größte Deal in der Geschichte der Popmusik bislang. Das war nicht abzusehen, als das britische Quartett um Freddie Mercury vor 50 Jahren mit dem Song „Killer Queen“ durchstartete. Peter Hince gehörte als Mercurys persönlicher Roadie und Chef der Roadcrew zum engsten Kreis der Band und hat sie in allen erdenklichen Situationen abgelichtet. Sein neuestes Buch heißt „Queen hautnah“. Von Peter Hince, 69, erfuhr Olaf Neumann, welche Bedeutung München für die Weltstars hatte, wie Queen und Bowie zusammen jammten und warum er das Biopic „Bohemian Rhapsody“ für absolut misslungen hält.

Mr. Hince, Ihr Buch versammelt Fotos, Texte, Tourplakate, Flugtickets, Setlists, Stadtpläne, Tonträger, Eintrittskarten, Konzert- und Bandfotos. Wie umfangreich ist Ihr Archiv?

Peter Hince: Die Fotos wollte ich natürlich machen, aber die anderen Dinge habe ich im Laufe der Jahre nicht bewusst aufgesammelt. Hätte ich alles behalten, würde ich jetzt wahrscheinlich in einer Villa irgendwo in Italien leben. Im Laufe der Jahre ist vieles verloren gegangen, aber es ist kein schlechtes Archiv. In dem Buch sehen Sie nur eine Auswahl.

Ihre Fotos zeigen die Band ungezwungen und intim. Hatten Sie von Anfang an ein Gespür dafür, wann Sie auf den Auslöser drücken durften und wann nicht?

„Queen“- Biograf Peter Hince (69) war persönlicher Roadie von Freddy Mercury.
„Queen“- Biograf Peter Hince (69) war persönlicher Roadie von Freddy Mercury. © Peter Hince | Peter Hince

Ich wusste intuitiv, wann die Stimmung richtig war. Ich habe die Kamera zu keinem Zeitpunkt herausgeholt, wenn im Studio Druck oder Spannung herrschte. Ich habe sie auch nie auf Partys fotografiert, denn ich habe immer zusammen mit ihnen gefeiert.

1973 arbeiteten Sie als Roadie für Mott The Hoople, und Queen war deren Vorgruppe. War die Band damals schon ein brillanter Live-Act?

Ich erinnere mich, dass niemand jemals von ihnen gehört hatte, als sie ihr erstes Album veröffentlichten. Aber sie waren sehr von sich überzeugt. Ich habe ihre Show ein paar Mal gesehen und mochte einige ihrer Songs, die damals noch viel härter klangen, mehr wie Led Zeppelin. Queen besaß immer diese arrogante Überzeugung, dass sie die größte Band der Welt sein würden. Und irgendwann waren sie es auch.

 
Freddie Mercury war damals schon ein echter Showman?

 
Mott The Hoople haben ihre Proben in einem kalten alten Kino ohne Heizung abgehalten. Alle trugen dicke Mäntel. Und dann stolzierte Queen herein – in Bühnenkostümen. Freddie rannte auf und ab, als wäre da Publikum. Es war nur eine Probe! Sie waren einfach durch und durch professionell und er tat immer, als würde er vor Leuten spielen.

Von rechts: Freddie Mercury, John Deacon (Bass), Brian May (Gitarre) und Schlagzeuger Roger Taylor (hinten) in der Sports Arena von San Diego am 5. Juli 1980.
Von rechts: Freddie Mercury, John Deacon (Bass), Brian May (Gitarre) und Schlagzeuger Roger Taylor (hinten) in der Sports Arena von San Diego am 5. Juli 1980. © Getty Images | David Tan/Shinko Music

 
War die Band schon perfektionistisch, als Sie 1975 Freddie Mercurys persönlicher Roadie wurden?

Auf jeden Fall. Besonders zu Zeiten von „A Night at The Opera“ und dem Folgealbum haben sie so viele Overdubs und Gesangsspuren übereinander gelegt, um diesen großen, großen Sound zu bekommen. Die Zeit, die sie mit Aufnahmen verbrachten, war enorm. Vor allem „Bohemian Rhapsody“ dauerte so lange und niemand aus der Crew wusste, was es war, weil wir immer nur verschiedene Teilstücke hörten. Aber als sie die schließlich zusammenfügten, wussten wir, dieses Lied war wirklich anders.

 
Wie muss man sich eine Show auf höchstem Niveau vorstellen?

 
Als elektrisierend. Auf der Bühne, als Queen so richtig heiß gelaufen war, zitterte man als Zuschauer vor Aufregung. Sie waren so gut, sie waren als Band sowas von eng zusammen. Man konnte ihre Energie spüren, wenn sie diese ganz besonderen Nächte hatten. Das hat sich offensichtlich auf das Publikum übertragen.

 
1979 spielte Queen auch in Jugoslawien. Wie hat sich die Band dort gefühlt?

 
Jugoslawien war Sowjetunion light. Queen wollte immer in neuen Territorien spielen. Wir führten auch Gespräche darüber, in Moskau aufzutreten, aber man dachte wohl, Queen sei zu dekadent, um dort zu spielen. Auf der anderen Seite waren wir die erste Rockband, die große Shows in Südamerika spielte, eine weitere Pionierleistung, aufregend und gefährlich.

 
Warum gefährlich?

 
Weil es dort unten nicht viel Recht gab. Viel Geld wechselte den Besitzer. Aufgrund der damaligen politischen Situation in Argentinien und Brasilien mussten wir sehr vorsichtig sein, aber wir waren jung und sagten: „Lasst uns das machen! Über Gefahren machen wir uns im Nachhinein Sorgen“. Nach Queen war es etwas einfacher für andere Bands, dort zu spielen.

 
Die beiden allergrößten Shows spielte Queen 1985 bei Rock in Rio vor jeweils 300.000 Zuschauern. Wie oft hat Sie Freddie Mercury auf der Bühne überrascht?

 
Ständig. Man wusste nie, wie er auf das Publikum reagieren würde. Er war einfach unberechenbar und beschloss plötzlich, ein anderes Lied als geplant zu spielen, Getränke zu sich zu nehmen oder sie über das Publikum zu schütten. Ständig machte er etwas Theatralisches, um die Leute bei der Stange zu halten.

 
Zu den denkwürdigsten Erlebnissen zählt für Sie „Live Aid“ am 13. Juli 1985 im Wembley-Stadion. War das für die erfolgsverwöhnte Band ein Gig wie jeder andere?

 
Bei „Live Aid“ hatte jede Band gleich viel Spielzeit. Es gab kein Lichtsystem, keine Effekte, keine Nebelmachinen. Queen hat mehrere Tage für diesen Auftritt geprobt, bis sie die Songs perfekt beherrschten. Sie hatten ja schon einmal in großen Stadien gespielt und schafften es, an diesem besonderen Tag die totale Energie abzuliefern.
 

Queen 1978: (vo links) John Deacon, Freddie Mercury, Roger Taylor und Brian May .
Queen 1978: (vo links) John Deacon, Freddie Mercury, Roger Taylor und Brian May . © picture-alliance/ dpa | UPPA 067130

Ab 1979 verbrachte die Band viel Zeit in München, um in den Musicland Studios Alben wie „The Game“, „The Works“ oder „A Kind of Magic“ aufzunehmen. Wie erklären Sie sich, dass Queen in München die erfolgreichste Zeit hatte?

 
Sie gingen im Sommer 1979 nach München. Die Steuer betrug damals 95 oder 98 Prozent. Deshalb lebten alle britischen Rockstars außerhalb des Landes. Sechs Wochen hatten wir zu füllen, und das Musicland-Studio in München besaß einen guten Ruf wegen der Rolling Stones, Led Zeppelin, Electric Light Orchestra oder Donna Summer. Die Band mochte München auch als Stadt. Wir konnten dort entspannen und Sachen auf lockere Art aufnehmen. Auch mit dem Produzenten Reinhold Mack, der einen anderen Arbeitsstil vertrat, verstand sich die Band sehr gut. Zu dieser Zeit hatte sie sich zu einer Pop-Band entwickelt, und diese Session bescherte ihnen ihre ersten Nummer-1-Hits in den USA, „Crazy Little Thing Called Love“ und „Another One Bites The Dust“.

 
Einige Songs feierten ihre Premiere in dem damals angesagten Münchner Nachtclub Sugar Shack. Wie kam es dazu?

 
Reinhold Mack nahm eine Kassette mit, nur um zu sehen, wie der frische Song in einer Disco klingen würde. Er sagte nicht, von wem es war, er blieb dort und nahm anschließend das geheimnnisvolle Tape wieder mit. Das war einfallsreich. Mack hat die Songs so abgemischt, dass sie auch im Radio gut klangen, was clever war, da man Platten verkaufen musste.
 

Als junger Mann haben Sie auch für David Bowie gearbeitet. Queen und er nahmen 1981 in Montreux „Under Pressure“ auf. Eine denkwürdige Session?
 

Es war im Grunde eine Jam-Session, eine sehr lockere Sache. Sie spielten ein paar Mott The Hoople-Stücke und alte Rock’n’Roll-Songs. Und die wurden alle aufgezeichnet. Tags darauf begannen sie mit der Arbeit an diesem Riff, das John Deacon geschrieben hatte. „Under Pressure“ kam recht schnell. Für John ist es einer der besten Songs, die Queen je gemacht hatten. Vor allem Roger Taylor war ein großer Bowie-Fan und liebte alles, was er tat. Bowie lebte zu der Zeit etwas außerhalb von Montreux. Und er war zufällig dort, wo Queen war. So entsteht Geschichte.

 
Würde diese legendäre Session, von der bis heute nur ein Song veröffentlicht wurde, ein ganzes Album hergeben?

 
Es wurden noch einige andere Originalsongs aufgenommen, oder zumindest Teile davon. Aber definitiv nicht genug für ein Album. Aber sie spielten Songs von Mott The Hoople, Bowie und den Rolling Stones, um in den Groove zu kommen. Gibt es diese Takes noch? Möglicherweise. Ich persönlich habe noch einen anderen Track mit Bowie, der nie veröffentlicht wurde, und Mack hat wahrscheinlich die ganzen Bänder, weil er der Toningenieur war.

 
Freddie Mercury starb 1991. Erinnern Sie sich an den Moment, als er seine HIV-Infektion öffentlich machte?

Freddie Mercury 1985 beim Live-Aid-Konzert im Londoner Wembley-Stadion.
Freddie Mercury 1985 beim Live-Aid-Konzert im Londoner Wembley-Stadion. © picture alliance / empics | Pa

 
Es war am Tag vor seinem Tod. Wir hatten alle eine Idee, wollten die Realität aber nicht akzeptieren. Dass er krank war, war schon lange klar. Wir haben es einfach verdrängt, weil er für uns dieser mächtige, superstarke Mann war, der alles besiegen konnte, was auch immer es ist. Leider hat er es nicht geschafft. Das war ein ziemlicher Schock.
 

Drei Jahrzehnte nach Freddies Tod gibt es mehr erfolgreiche Cover-, Revival- und Tribute-Bands mit den Songs von Queen als mit den Songs der Beatles. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

 
Es ist unglaublich. Ich habe mehrere davon gesehen und einige sind wirklich, wirklich gut. Okay, mit der modernen Technologie kann man die Dinge größer und besser klingen lassen, aber einige dieser Tribute-Sänger sind großartig. Und Queen werden immer noch größer. Das Biopic „Bohemian Rhapsody“, das Musical „We Will Rock You“ und die Freddie-Mercury-Auktion im letzten Jahr haben die Popularität von Queen offensichtlich in die Höhe getrieben.

 
Laut US-Branchen- und Showbusiness-Medien ist der Backkatalog von Queen gerade für umgerechnet etwa 1,18 Milliarden Euro an den Musikverlag von Sony verkauft worden. Dylan, Bowie und Springsteen haben jeweils nicht einmal die Hälfte davon bekommen. Ist Queen bedeutender als alle anderen?

 
Sie sind nicht unbedingt wichtiger als Springsteen oder Dylan. Als diese Künstler begannen, ihre Rechte oder Teile davon zu verkaufen, war das ein neuer Markt. Daher waren die Anleger vorsichtig. Aber beim nächsten Mal stieg der Preis. Und Queen-Songs wie „We Will Rock You“ und „We Are The Champions“ sind so kommerziell. Sie werden häufig bei Sportmeisterschaften oder in Fernsehwerbespots gespielt. Wenn ein Investor diese Rechte kauft, kann er damit weiterhin viel Geld verdienen. Deshalb ist der Preis so hoch.

 
Wie fanden Sie eigentlich den Film „Bohemian Rhapsody“? Hat Freddie Mercury-Darsteller Rami Malek seinen Oscar verdient?
 

(lacht) Nein! Als ich Rami Malek sah, dachte ich nicht eine Sekunde, dass das Freddie sein könnte. Der Film ist pures Hollywood. Er zeigt nicht, wie die Dinge wirklich waren. Leider kann man dem Film nicht widersprechen, denn er war das größte Biopic aller Zeiten. An der Kinokasse spielte „Bohemian Rhapsody“ eine Milliarde Dollar ein. Unglaublich!

Peter Hince: Queen hautnah. Hannibal Verlag, 256 S., 30 €.

Peter Hinces Buch „Queen hautnah“
Peter Hinces Buch „Queen hautnah“ © Peter Hince | HANDOUT