Duisburg. Ruhrtriennale macht auf Klamotte: Herbert Fritschs „Pferd frisst Hut“ im Landschaftspark. Geritten wird auf dürftigsten Witzen. Die Kritik
Dieses Raunen! „Er ist da!“ Als käme der Messias. Er heißt aber Herbert. Und die Blondierte in Reihe 2 kann sich einfach nicht halten, klettert über die Stuhlreihe und stellt den armen Herrn Grönemeyer regelrecht. Sie sagt aufgeregt was. Und er lächelt etwas verdruckst und entgegnet sowas wie „Ja, dann...“
Ruhrtriennale setzt auf Magnet Herbert Grönemeyer
Es ist wie es ist: Das Ereignis (wohlkalkuliert von Ruhrtriennale-Chef Van Hove) ist am Mittwochabend im Landschaftspark-Nord nicht die krachend entstaubte Komödie Labiches, nicht die mit einer Handvoll längst abgegriffener Tricks operierende Regie-Berühmtheit Herbert Fritsch. Nein, es ist die Tatsache, dass einer, den das Ruhrgebiet lebenslänglich adoptiert hat, diesem Abend seinen Namens-Stempel aufdrückt. Man spielt „Pferd frisst Hut“ (eigentlich „Der florentinische Hut“) mit Musik von Herbert Grönemeyer.
Herbert Grönemeyer besucht die Ruhrtriennale, die Fans johlen
Ein Gastspiel aus Basel ist es. Es wird einen sehr langen Abend nach Duisburg bringen. In der Pause gehen Menschen, suchen ihr Heil im Dunkel Meiderichs. Die meisten bleiben, weit über drei Stunden. Und als der Pulk von Sängern sich im Schlussapplaus wie eine Blütenknospe öffnet und Grönemeyer freigibt, da johlen nicht wenige lauthals. Wer wollte es Fans verdenken?! Die Gründe, diesen Abend zu feiern, sind freilich übersichtlich.
Fritschs „Pferd mit Hut“ ist Form ohne Inhalt
Was wir sehen ist Form ohne Inhalt. Mag der Stoff flach sein, diese Inszenierung nimmt ihm den letzten Funken Substanz. Die Geschichte: Tatsächlich frisst ein Pferd einen Hut. Der aber wird dringend gebraucht, sonst fliegt der Seitensprung seiner Besitzerin auf. Was tun? Fritsch, einst als munterer Knallfrosch zum Regie-Stern aufgestiegen, lädt auf der Story einen Berg billigster Zoten ab, so onkel- wie krampfhaften Witz, angesichts dessen uns Fips Asmussen als Bruder Voltaires erscheinen muss.
Das Schlimme an diesem Abend ist nicht der vorsätzliche Nonsens. Es ist eine Aufführung wie ein Autounfall: Man sieht das Grauen und kann nichts dagegen tun. Es wird sogar mehr. Denn das Schlimme ist, dass man nach zehn Minuten weiß: Fritsch wird den Rest des Abends nichts weiter einfallen als das Geschehene: geknallte Türen, gekreischte Botschaften, Sprache fast ohne Nuancen, Genitalwitze, Rülpsparaden, Purzelbäume. Wenn der Zirkus schon in die Stadt kommt, dann bitte nicht so.
„Pferd frisst Hut“. Nonsens, der sich im Kreis dreht
Das Ensemble folgt diesem Käse mit bestechender Hingabe. Virtuos rufen sie das schweißtreibende Wiederholungsgeplänkel ab, das Fritsch für Komik hält. Der Beste in dieser Spiel-Hölle ist Christopher Nell als Pferdebesitzer Farinard (letzte Woche noch in Wilsons Moby Dick die Säule des Abends). Da rettet einer trotz grausigster Hetzjagd über die von Fritsch entworfene Bühne (eine Bürgerbude aus den Fugen, elf Türen und das Dach löst sich ab) unendlich farbenreich sein Fell in dieser Inszenierung roher Gleichmacherei.
Und was ist mit Grönemeyer? Der sitzt in Reihe 4 und hört: Grönemeyer. Drei Mal füttert Nell Songs mit echten, ziemlich guten Herbie-Parodien an. Und man kann nicht anders als zu spüren: Grönemeyer kann am besten Grönemeyer. Was sonst an diesem Abend aus seiner Komponistenfeder zitatensatt erklingt, ist vorwiegend hübsche Filmmusik (hollywoodeske Orchestrierung Thomas Meadowcroft). Tom & Jerry zischen vorbei, anderes lässt an die Zeit knatternder Rühmann-Komödien denken. Hier eine Latino-Einlage, da ein Walzer. Alles okay, wenig innovativ. Die Songtexte? Zum Steinerweichen: „Ich brauche einen Hut. Das find‘ ich supergut“. Wenn sie gerade nicht spielen, eskortieren Bochums erhöht platzierte Symphoniker Fritschs billigen Bühnen-Radau mit der Noblesse versteinerter Professionalität. Als Klangkörper (Dirigent ist Thomas Wise) agieren sie in der Pferde-Operette ohne Fehl. Aber selbst 60 Berufsmusiker können aus einer Currywurst kein Chateaubriand zaubern.
Bochumer Symphoniker spielen Bühnenmusik von Herbert Grönemeyer
Was bleibt? Eine Rechnung, die auf ihre Weise aufgeht: Mit einem großen Namen eine große Halle zu füllen. Gleich mehrere Abende lang. Van Hove setzt, wie in seinem Eröffnungsabend mit Sandra Hüller, aufs Populäre. Erinnern wir uns: Die Anfänge der Ruhrtriennale prägten ausschließlich kühne Kreationen. Was würde ihr Erfinder Gerard Mortier heute sagen, wo doch die Kraftzentrale („Das wird unser Festspielhaus“) einer seiner liebsten Orte war? Derzeit beherbergt sie einen Komödienstadl.
Letzte Termine & Bilanz
„Pferd frisst Hut“ ist in der Kraftzentrale des Landschaftsparks Duisburg noch zu sehen täglich bis 15.9. Es gibt nur noch wenige Karten (Kosten 24-84€). Info auf der Website des Festivals
Die erste Ruhrtriennale unter Ivo Van Hove endet am Wochenende. Bilanz zog sie bereits jetzt: Die Auslastung habe 86 Prozent betragen, hieß es. Etwa 70.000 Menschen haben die Veranstaltungen in Duisburg, Essen und Bochum besucht.