Düsseldorf. Der alte Theatermagier geht auf Fischzug. Robert Wilson, 82, will es noch einmal wissen - und jagt in Düsseldorf den weißen Wal.

Was macht ein Theatermagier, wenn er alt ist? Er tut, was er kann. Das, was immer funktioniert hat. Ein One-Trick-Pony der edelsten Sorte. Robert Wilson ist 82, einer der letzten seiner Art. Er hat, bewundert viel und seltener gescholten, seine Unverwechselbarkeit ins Extreme kultiviert. Bild vor Text, Optik als große Erzählung und feinziseliertes Lichtspiel: alles in Personalunion. Die Räume, durch die er von Paris bis New York Lohengrin oder Lear in abgezirkelter Körperlichkeit wandeln ließ, sind ja seine Schöpfungen. Immer schön, zum Wegschauen auch bei Mord und Totschlag viel zu schade. Hamlet hätte vielleicht gesagt: Design oder Nichtsein.

Die Kritik: Robert Wilson inszeniert „Moby Dick“

Und darum ist alles so schön (für die Fans) wie schrecklich (für die paar anderen) vertraut Samstag Abend im Düsseldorfer Schauspielhaus. Die bleichgeschminkten Schauspielergesichter mit den roten Mündern, die seriellen Sturmfrisuren als Kostüm-Krönchen, der Rigorismus des Farb-Einsatzes (hier fast nur Schwarz und Weiß, letzteres von Neon bis Elfenbein), die Quietschtöne in jeder Tonart, der freie Eintritt zum Wiederholungskarussell der paar Sätze, die dem Meister lieb und teuer sind. Bob Wilson sticht in See, einen fetten Brocken der Weltliteratur an Land zu ziehen: Herman Melvilles „Moby Dick“.

Düsseldorfs Premierenpublikum feiert Robert Wilson

„Moby Dick“ in Düsseldorf - und Bilderzauber, wie man in vom Altmeister kennt:  Bühne, Licht und Regie, alles Robert Wilson.
„Moby Dick“ in Düsseldorf - und Bilderzauber, wie man in vom Altmeister kennt: Bühne, Licht und Regie, alles Robert Wilson. © Lucie Jansch | Lucie Jansch

So ein Magier, der kriegt das hin mit dem Wal im Goldfischglas. Melville schrieb über 1000 Seiten, bei Wilson ist in pausenlosen 105 Minuten alles vorbei. Eine saubere Sache von Bob, dem Schaumeister. Nie stinkt es nach dem Schweiß der räudigen Bande, die mit Ahab in See sticht, ein feuchter Rachefeldzug gegen den Wal, der ihm einst sein rechtes Bein nahm. Nie gibt es Blut, nie tut die Todesgewissheit weh. Mal ist der Abend glanzvoll steril (ein schneeweißes Holzhaus im Echtformat, wer zaubert das so augenweidig hin wie Wilson?!), mal richtig gemütlich, wenn Wilson hinten das knautschige Zelluloid Hollywoods zum Prospekt macht und sein Ensemble vorn in die Szenen steigt.

Neues von Bob, dem Schaumeister

Auf 20 Sequenzen hat Wilson dieses Wundertier unter den großen Romanen des 19. Jahrhunderts eingekocht. Dass er seine Künste unentwegt selbst zitiert: geschenkt. Perlen fischt er doch. Wie die Riesenbühne radikal auf das Etagenbett vom erzählenden Ismael und dem „Wilden“ Queequeg zusammenschnurrt, wie Rosa Enskats Ahab medusenhäuptig über den Wellen thront, wie übermächtige Scherenschnitte die Tableaus adeln - das mag Routine eines Könners sein, und doch bleibt die Faszination einer Ästhetik, die so niemand außer ihm beherrscht.

Typisch Wilson, aber welches Stück? Robert Wilson bleibt sich treu. Dass seine unverwechselbare Ästhetik das Stück überlagert, liegt fast in der Natur der Sache. Szene aus „Moby Dick“ in Düsseldorf.
Typisch Wilson, aber welches Stück? Robert Wilson bleibt sich treu. Dass seine unverwechselbare Ästhetik das Stück überlagert, liegt fast in der Natur der Sache. Szene aus „Moby Dick“ in Düsseldorf. © Lucie Jansch | Lucie Jansch

Was Vorlage und Deutung angeht: Von des Originals hinreißender Vielstimmigkeit (Enzyklopädie bis klassisches Drama) bleibt nicht viel. Den literarischen Ozean finden wir im Schauspielhaus auf ein Aphorismen-Pfützchen reduziert. Und ums große Schlussbild, das die Traumfabrik den Menschen eingebrannt hat, drückt sich der alte Zauberer gar. Ahabs Kampf mit dem weißen Wal bleibt: eine Mauerschau.

Wilsons „Moby Dick“: Nicht der große Wurf

Einer wie Wilson verdirbt nichts, dafür weiß er viel zu gut, welche Strippen er ziehen muss. Aber als eine der ganz großen Arbeiten seiner Karriere wird diesen Abend kaum jemand würdigen wollen. Eher sehen wir eine Art Passepartout-Gaukler auf Tour: Mit diesen Mitteln kann man irgendwie alles schön, edel und staunenswert wie in einem Einrichtungshaus auf der Kö machen, ob Rotkäppchen oder Parsifal. Und so ist diese See- keine Irrfahrt, aber was da zwischen den Figuren (Menschen kann man diese Puppen-Parade in Edel-Optik nicht nennen) verhandelt wird, ist bloß eine Stelle hinter dem Inszenierungskomma.

Mal Designeroperette, mal Welttheater - alles, nur nicht verwechselbar: Robert Wilson.
Mal Designeroperette, mal Welttheater - alles, nur nicht verwechselbar: Robert Wilson. © Lucie Jansch | Lucie Jansch

Wilson baut auf ein gutes, nicht sensationelles Ensemble. Als Sängerdarsteller mit einer irisierend schönen Bandbreite lässt Christopher Nell alle hinter sich. Wenn vokale Manierismen so majestätisch androgyn tönen: bitte mehr davon! Apropos: Fast hätten wir vergessen zu erwähnen, dass auch dieser neue Wilson eine Art Musical ist. Wie bei Düsseldorfs Dauerbrenner „Der Sandmann“ gibt Anna Calvi in einem knappen Dutzend Songs den Ton an. Das ist solide ausgetüftelt, teils in den stampfenden Atmo-Sphären allerdings frech beim „Fluch der Karibik“ abgeguckt und oft vom merklichen Versuch gezeichnet, mit der Live-Band rockend jene Härte des Walfängerlebens zu dokumentieren, die in Wilsons hochpoliertem Daumenkino als quantité négliable gestrandet ist.

So bleibt alles in allem die Sichtung ein Besuch im Zoo der jüngeren Theatergeschichte. Zu bestaunen: von Meisterhand gezähmte Urgewalten. Man könnte am Gründgens-Platz eigentlich das Füttern mit Popcorn gestatten.

Wilsons „Moby Dick“, Karten und Termine

Robert Wilson inszeniert Melvilles „Moby Dick“. Düsseldorfer Schauspielhaus. Ca. 1:45h, keine Pause.

Nächste Aufführungen 8.9 (ausverkauft), 26.9., 29.9., 6.10, 19.10. Karten 25-60€ unter Tel 0211 -36 99 11 und dhaus.de