Bochum. Die Ruhrtriennale startet am Freitag in der Jahrhunderthalle. Intendant Van Hove schwärmt – und gibt sich bei einer Frage schmallippig.

Während Ivon Van Hove, neuer Intendant der Ruhrtriennale, Sandra Hüller in den Himmel lobt, probt die für einen Oscar nominierte Schauspielerin weiter ihre Hauptrolle für die Premiere von „I Want Absolute Beauty“. „Ich wusste ja, dass sie singen kann“, sagt Van Hove, „als sich sie aber nun bei den Proben gehört habe, war ich überwältigt.“ Eigentlich hatte Hüller am Dienstag gemeinsam mit Van Hove das Ruhrtriennale-Programm in der Bochumer Jahrhunderthalle präsentieren sollen. Eine kurzfristig angesetzte Musikprobe kam dazwischen.

Nicht nur Hüller wird der Premiere am Eröffnungswochenende der Ruhrtriennale zu einem Glanzpunkt verhelfen: Mit ihr auf der Bühne steht das französische Tanz-Kollektiv „La Horde“, das schon die Tour von Madonna choreografierte. Und dann wäre da noch die Musik: Niemand geringeres als PJ Harvey komponierte „I Want Absolute Beauty“. Die britische Alternative-Musikerin wird bei der Uraufführung am Freitag, 16. August, in der Jahrhunderthalle Platz nehmen.

Castingprozess für „The Faggots and Their Friends Between Revolutions“ dauerte ein Jahr

Dass Sandra Hüller im Premierenstück nicht nur schauspielert, sondern sogar singt und tanzt, steht stellvertretend für viele Produktionen in diesem Jahr, in denen „alle alles machen“, wie es Programmdirektor Krystian Lada beschreibt. So auch in dem gesellschaftskritischen Musiktheater „The Faggots and Their Friends Between Revolutions“, deren deutsche Erstaufführung am Samstag ebenfalls in der Jahrhunderthalle folgt.

Die Besetzung sei besonders, da alle Beteiligten sich musikalisch, schauspielerisch und tänzerisch komplett ins Stück werfen. Entsprechend habe der Castingprozess ein Jahr gedauert, schildert Komponist Philip Venables. Er hält das gleichnamige Buch für „ikonisch“, rufe Autor Larry Mitchell darin doch zu einer sanften Revolution gegen das Patriarchat und den Kapitalismus auf – auch wenn das Schimpfwort „Faggot“, zu deutsch „Schwuchtel“, dies zunächst nicht vermuten lasse. Als Mitchell sein Buch 1977 veröffentlichte, habe er das Wort auf eine liebevolle Art für die LGBTQ-Szene zurückgewinnen wollen, betont Venables. Auch aufgrund dieser Ursprungsintention habe man sich entschieden, an dem Begriff festzuhalten.

Drei Viertel der 41.000 Tickets sind bereits vergriffen

Während Premiere und Folgetermine von „I Want Absolute Beauty“ lange ausverkauft sind, gibt es für das revolutionäre Stück aus der Feder von Philip Venables noch Karten. Insgesamt aber scheint Van Hoves Plan, die Ruhrtriennale für eine neue Generation zu öffnen, aufzugehen. Drei Viertel der rund 41.000 Karten sind bereits verkauft, auch an bislang eher untypische Zielgruppen wie Familien. So erlaubt das neue Format „Happy Sundays“ Eltern sonntags einen Besuch der Aufführungen, während Kinder im Grundschulalter zeitgleich an einem professionell angeleiteten Workshop teilnehmen. Das Angebot gilt an den Spielorten Zollverein, Jahrhunderthalle und Landschaftspark Nord.

Bespielte die Ruhrtriennale in der Vergangenheit oft auch abseitige Industriedenkmäler, konzentriert sich das Festival in diesem Jahr auf Essen, Duisburg und den Ankerpunkt Bochum. Das sei vor allem Kosten- und Logistikgründen geschuldet, begründet Van Hove und setze zu einem kleinen Seitenhieb in puncto Kulturförderung an: „Vor 25 Jahren ging das alles aufwändiger. Nur gibt es heute noch das gleiche Geld wie damals.“ Während die Kosten immer weiter gestiegen seien. So könnten in der Jahrhunderthalle mehrere Produktionen laufen, die Konzentration sei schlicht wirtschaftlicher. Gleichwohl sprach sich der Intendant aber dafür aus, einen seiner Lieblingsspielorte wieder zurückzuholen: Die Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck sei eine der schönsten Industriekulissen zum Spielen, schwärmte Van Hove und versprach: „Die kommt ganz sicher wieder zurück.“

Awareness: Ruhrtriennale richtet mehrere Beschwerdestellen ein

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Zeit genug hat Van Hove: Bis 2026 hat er turnusgemäß die Intendanz der Ruhrtriennale inne. Mit Vergangenem scheint er abgeschlossen zu haben. Zu den jüngst laut gewordenen Vorwürfen zu Fällen von Machtmissbrauch an seiner alten Wirkungsstätte, dem International Theater Amsterdam (ITA), befragt, gibt sich Van Hove schmallippig: „Ich arbeite nicht mehr in Amsterdam“. Auch zu der renommierten Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker, die mit „Y“ eine Weltpremiere am Museum Folkwang inszeniert, verlieren die Ruhrtriennale-Verantwortlichen kein Wort. Sie soll Mitglieder ihrer Tanz-Kompanie gedemütigt und manipuliert haben. „Wir vertrauen darauf, dass die Company mit allen Personen sprechen wird, die Beschwerden erhoben haben, und dass sie die begonnenen Maßnahmen zur Herstellung einer sicheren und wertschätzenden Arbeitsumgebung fortsetzt“, hieß es in einer Stellungnahme der Ruhrtriennale Anfang Juli.

Dass die Vorwürfe das größte Festival der Künste im Ruhrgebiet einholen könnten, befürchtet Van Hove nicht. Stattdessen verweist er auf die „gut geregelten Strukturen“ der Ruhrtriennale. So seien zahlreiche Beschwerdestellen eingerichtet worden, an die sich alle Mitwirkenden wenden könnten, wenn es nötig wird.