Essen. Deine Freunde füllen das Amphitheater Gelsenkirchen, Heavysaurus spielen 190 Konzerte in 13 Monaten. Über eine Wachstumsbranche im Musikgeschäft.
Zuerst waren da die Tonies: Kleine, aus Hartgummi gepresste Hörspielfiguren, und sie bevölkern die Kinderzimmer mittlerweile in rauen Mengen. Der Musikbranche brachte die Erfindung zweier Düsseldorfer Väter endlich wieder einen neuen Tonträger zum Anfassen mit großem Verkaufspotenzial. Das Unternehmen ist längst an der Börse notiert, die Umsätze versetzen Anleger in Goldgräberstimmung.
Insgesamt gewinnen Kinder im Musikgeschäft an Bedeutung: Vor allem im Bereich der Kindermusik sieht etwa Michael Thiesen ein Genre, das sich gerade erst neu erfindet. Der Booker, der für den Hamburger Verlag Schubert Music unter anderem die Band Heavysaurus betreut, stellt mit „Rabatz & Rabauken“ gar ein eigenes Musikfestival für Kinder auf die Beine. Auf Burg Vischering in Lüdinghausen läuft am Sonntag, 18. August, bereits die zweite Auflage des Formats, das in diesem Jahr an neun Standorten in ganz Deutschland Halt macht. Familienfreundlich von 12 bis 18 Uhr, mit Hüpfburg, Luftballonkünstlern und natürlich: Kindermusik auf der Bühne. „Blacky‘s Kool Katz“ und die Kinder-Metal-Band Heavysaurus geben Kindern und Eltern dann das, was aus Sicht Thiesens immer stärker nachgefragt wird: „Ein Live-Erlebnis für die ganze Familie.“
Die Erklärung liegt für den erfahrenen Booker auf der Hand: „Die jetzige Elterngeneration geht selbst gern auf Festivals und Konzerte. Und das wollen sie auch ihrem Nachwuchs ermöglichen“, sagt Thiesen. Das entdeckt auch, wer sich in diesem Festivalsommer aufmerksam vor den Bühnen von Juicy Beats bis Haldern Pop umschaut: Immer häufiger ragen mit bunten Schallschutzhörern ausgestattete Knirpse auf den Schultern ihrer Eltern in der Menge hervor. Mit „Rabatz & Rabauken“ wolle man ein Festival schaffen, das Familien als eigene Zielgruppe gewinnt. „In Metropolen funktioniert das bereits super: Eltern sind gewohnt, ihren Kindern auch kulturell etwas zu bieten“, sagt Thiesen.
Die meisten Konzerte der aktuellen Tour von „Deine Freunde“ sind ausverkauft
„Speerspitze“ dieser Entwicklung sei die Band „Deine Freunde“. Das Hamburger Trio ist aktuell auf seiner „Kindsköpfe im Park“-Tour. Der Termin am 25. August im Amphitheater Gelsenkirchen gehört zu den wenigen, die noch nicht ausverkauft sind. Für das Gastspiel im Kölner Tanzbrunnen am 15. September etwa – immerhin eine Kapazität von 12.500 Stehplätzen – sind die Karten längst vergriffen. Der riesige Erfolg des Hamburger Trios kommt nicht von ungefähr. Schlagzeuger Florian Sump spielte früher bei „Echt“, Markus Pauli war Musikproduzent und Live-DJ von Fettes Brot, Sänger Lukas Nimscheck früher Moderator des Tigerenten-Clubs.
Das Ergebnis: Auch Eltern können Beats und Songtexte in Dauerschleife ertragen. Klassiker wie „Häschen Hüpf“ haben durch „Deine Freunde“ ein zeitgemäßes Rebrush erhalten und kommen im fetten Bass-Gewand und mit launig umgetexteten Zeilen daher („Armes Häschen wirst du krank, wenn du nicht mehr hüpfen kannst? Dann zieh‘ dir diesen Sound hier ‘rein, der Rest passiert von ganz allein“). Das gefällt sogar dem Urvater des Genres, Rolf Zuckowski, der 2012 das erste Album für „Deine Freunde“ mitproduzierte.
„„Ich werde häufig gefragt, ob wir es gut finden, den Kindern Rock und Heavy Metal näherzubringen. Dabei ist es vor allem das Live-Musik-Erlebnis, das wir ihnen bieten wollen.““
Kluge Texte für Kinder und Eltern, dazu Musik, die nichts mehr mit den schnöde dahinplätschernden Kindergarten-Dauerbrennern wie „Aramsamsam“ gemein hat: Ein Prinzip, das auch bei Heavysaurus funktioniert. 190 Konzerte (!) spielte die Kinder-Metal-Band allein in den vergangenen 13 Monaten. Als Drache „Riffi Raffi“ steht Gitarrist Christof Leim mit auf der Bühne, der zuvor in etlichen Metalbands wie „Motorjesus“ und „The New Black“ spielte.
„Ich werde häufig gefragt, ob wir es gut finden, den Kindern Rock und Heavy Metal näherzubringen. Dabei ist es vor allem das Live-Musik-Erlebnis, das wir ihnen bieten wollen“, erklärt der 50-Jährige, der selbst Vater ist. Früher sei Kindermusik eben Kindermusik gewesen. „Rolf Zuckowski war mein Held. Diese Art von Kindermusik gibt es auch heute noch. Daneben entwickeln sich aber viele andere Sparten, die Auswahl ist größer geworden“, sagt Leim. Kinder als Konzertgäste – das sei gleichermaßen anspruchsvoller und unmittelbarer, als vor einem ausschließlich erwachsenen Publikum zu spielen, erklärt Leim: „Wenn man Kinder nicht bei der Stange hält und sie zum Mitmachen animiert, dann sind die weg. Kinder wollen Interaktion, das ist auf unseren Konzerten total wichtig.“
Den Pommesgabel-Gruß machen schon die Kleinen
- „Deine Freunde“: Kindermusik, die Eltern zappeln lässt
- Simone Sommerland: Die Frau, die Helene Fischer entthront hat
- Düsseldorf: Wie die „Tonies“ die Kinderzimmer erobert haben
Dafür werde man aber mit ehrlicher Euphorie belohnt. „Kinder adaptieren alles sofort. Auf dem Wacken-Festival neulich habe ich bei einigen den Heavysaurus-Patch auf der Kutte gesehen. Auch den Pommesgabel-Gruß machen schon die Kleinen“, sagt Leim. Kinder verlangten aber auch eine andere Konzert-Logistik. Während Erwachsene für ein Live-Erlebnis auch mehr als 100 Kilometer Anreise in Kauf nehmen, sind Familien dazu eher nicht bereit. Auch deswegen sind Heavysaurus ständig auf Tour und spielen in so vielen Städten.
Bei den Konzerten selbst ist ebenfalls alles auf die jungen Zuhörer und Zuhörerinnen ausgerichtet: Die Kinder dürfen in die ersten Reihen, Erwachsene werden nach hinten verbannt. An den Eingängen gibt es zuvor Armbänder, die mit Namen und Handynummern versehen werden können, falls Kleine und Große einander nicht wiederfinden. Und eine von überall sichtbare Heavysaurus-Fahne dient als Treffpunkt. Wie Booker Michael Thiesen sieht auch Leim das Genre Kindermusik und vor allem Kinderkonzerte im Aufwind: „Die Nachfrage ist riesig,. Viele Familien besuchen mittlerweile regelmäßig unsere Konzerte“, sagt der Musiker.
Bei allem frischen Wind, der in der Branche weht: Dass auch die Klassiker unter den Kinderliedern noch funktionieren, beweist seit Jahren die Wittener Sängerin Simone Stiers alias Simone Sommerland: Mit ihrem Best-of-Album der beliebtesten Kinderlieder stand sie unglaubliche 460 Wochen in den deutschen Charts – und entthronte damit sogar Helene Fischer und Abba.