Boris Brejcha bei Tomorrowland: Wie Musik "Narben heilen" kann
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Boom. Boris Brejcha wurde als Kind beim Ramstein-Unglück schwer verletzt - heute ist er ein DJ-Star und begeistert bei Tomorrowland mit einem Konzert.
Der Auftritt von Boris Brejcha gehörte zu den Höhepunkten des Festivals Tomorrowland in Belgien. Die mit spektakulären Licht-Effekten bestückte Freedom-Halle platzte zeitweilig aus allen Nähten, als der 41-Jährige aus Ludwigshafen mehrere tausend Gäste mit endlosen Sound-Schleifen in seinen Bann zog. Kurz vor seinem dreistündigen Konzert bei Tomorrowland verrät Brejcha im Interview, wie er über den Umweg Brasilien zum internationalen Star wurde, warum er es liebt, ein Workoholic zu sein und wie er als Sechsjähriger beim Flugshow-Unglück von Ramstein schwer verletzt wurde und daraufhin den Weg zur Musik fand.
Du hast mit bei deinen Musik-Produktionen einen unverkennbaren Stil entwickelt, der dir ein Alleinstellungsmerkmal in der elektronischen Musik-Szene beschert. Welche Intention hast du als Künstler und was möchtest du mit deinem „High-Tech-Minimal“-Sound bei den Menschen erreichen?
Boris Brejcha: „In erster Linie produziere ich Musik, wie sie mir gefällt, weil ich mich damit ausdrücken möchte. Wenn den Leuten die Musik dann gefällt und sie etwa auf einem Festival mit vielen Bühnen beim Vorbeigehen erst stehen und dann bei mir bleiben, ist das natürlich überragend.“
"In dem Kreis fühle ich mich manchmal etwas fehl am Platz"
Das Programm beim Festival Tomorrowland besteht in erster Linie aus reinen DJ-Sets – jetzt gibst Du hier ein dreistündiges Konzert. Wie kam das zustande?
Boris Brejcha: „Die meisten DJs spielen Musik von anderen Künstlern – in dem Kreis fühle ich mich manchmal etwas fehl am Platz. Ich sehe mich da eher wie eine Band. Deshalb haben wir begonnen, meine Auftritte wie ein Konzert mit eigenen Visuals aufzuziehen – die Leute sollen am besten gezielt drei Stunden Boris hören und dann sagen, dass es cool war.“
Boris Brejcha: „Da bin ich immer so zwiespältig – auf der einen Seite, finde ich es auch geil vor 200 Leuten in einem Club zu spielen. Da hast du das Publikum direkt vor dir und kannst einen intensiveren Vibe aufbauen. Auf der anderen Seite ist es auch gut, auf so großen Festivals zu spielen – weil es spektakulär ist und weil du neue Leute für dich gewinnen kannst, die einfach mal neugierig vorbeischauen.“
Du gehörst international gesehen zu den größten deutschen Stars – ohne dass du jemals einen Single-Chart-Hit hattest…
Boris Brejcha: „Ganz ehrlich, ich kann es mir selbst nicht erklären. Bei mir war das im Vergleich zu anderen schon immer ganz komisch. Ich komme zwar aus Deutschland, habe aber in Brasilien und dann Russland angefangen richtig aufzulegen. Das kam irgendwie von außen nach innen, bis ich dann auch in Deutschland bekannt war. Und wenn ich was veröffentlicht habe, war das auch nicht so, dass sich viele andere DJs die Lieder gekauft und gespielt haben. Man muss also nicht unbedingt einen Hit schreiben.“
Boris Brejcha: "Man muss kontinuierlich gute Musik machen"
Hat dich der Mainstream jemals gereizt?
Boris Brejcha: „Nein! Ich weiß noch, wie mein Manager mich anrief und sagte, lass doch mal was auf diesem US-amerikanischen Ultra-Label mit der krassen Reichweite machen. Da meinte ich, das geht nur, wenn sie die Lieder so nehmen, wie sie schon im Kasten sind. Bei jeder Anfrage, ob da nicht noch eine Stimme rein könne, um das radiotauglicher zu machen, habe ich dann immer nein gesagt. Am Ende haben sie es akzeptiert. So habe ich die letzten zwei Alben auf dem Label herausgebracht.
Was hat dir auf deinem Karriere-Weg geholfen?
Boris Brejcha: „Das Wichtige ist, dass du kontinuierlich gute Musik machst und mit deinen Fans in Kontakt bist. Die müssen sehen, dass ich nur ein ganz normaler Typ bin, der Spaß daran hat, Musik zu machen und diese gerne mit anderen Menschen teilt.“
Du hast schon früh als Kind den Weg zur Musik gefunden – Auslöser war allerdings ein trauriges Ereignis. Was ist damals passiert?
Boris Brejcha: „Es war eher Zufall. Mit meinen Eltern bin ich als Sechsjähriger zur Flugshow nach Ramstein gegangen, wo das Unglück passiert ist. Auch ich wurde verletzt und war danach sechs Monate im Krankenhaus. Als ich zurück in die Schule ging, wurde ich wegen meiner Narben gehänselt. Ich hatte keine Freunde und hab mich zurückgezogen. Da habe ich irgendwas gebraucht, das mir hilft und es kam die Musik ins Spiel. Die war mein Doktor. Da konnte ich mich ausdrücken und alles, was ich scheiße fand, in der Musik abbilden und widerspiegeln. Eigentlich war es am Ende für mich persönlich Glück im Unglück – wenn der Unfall nicht passiert wäre, wäre ich jetzt vielleicht auch kein Musiker.“
Es gibt viele junge Menschen, die unter Mobbing leiden und nach Hilfe sowie einem Ventil suchen. Kannst du denjenigen die Musik ans Herz legen?
Boris Brejcha: „Ich kann nachvollziehen, wie schwer es ist, wenn man gemobbt oder gehänselt wird. Aber man braucht von Grund auf einen starken Charakter, damit du lernen kannst darüber zu stehen. Ich dachte mir immer, es macht keinen Sinn, wenn ich mich nach diesem Unfall mit meinen Narben in die Ecke stelle und sage, mein Leben ist gelaufen. Ich wollte mein Leben positiv gestalten und mit der Musik hat sich das dann bei mir entwickelt.“
Brejcha: "Die venezianische Maske ist eigentlich nur ein Joke"
Welche Rolle spielt in dem Zusammenhang die venezianische Maske, die du im ersten Teil deiner Auftritte trägst?
Boris Brejcha: „Viele denken, ich verstecke mich hinter der Maske. Aber die Maske ist nur ein Joke. Die allererste Anfrage für einen Club-Gig kam aus Brasilien. Das war schon irgendwie verrückt. Da musste ich an den Karneval in Rio denken, wo sich die Leute verkleiden. Es gibt so viele DJs auf der Welt, aber irgendwie musst du herausstechen, damit sich die Leute an einen erinnern. Da fiel die Wahl auf die Maske.“
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Wenn du jetzt auf deinen Werdegang und deine Karriere zurückblickst, was hat dich all die Jahre angetrieben und dir geholfen dranzubleiben?
Boris Brejcha: „Ich hatte die Möglichkeit, mein Hobby zum Beruf zu machen. Da beschwere ich mich auch nicht, wenn ich von montags bis freitags neun, zehn, elf oder zwölf Stunden im Studio bin. Das macht mir einfach Spaß.“
Du hast gerade erst ein paar Tage Pause gemacht – wie wichtig ist dir das, mal zwischenzeitlich Luft zu holen?
Boris Brejcha: „Es ist sicher wichtig, mal ein oder zwei Wochen gar nichts zu machen. Aber ich bin schon ein Workaholic. Mir hätte es auch nichts ausgemacht, die Woche nicht Urlaub zu machen.“ (lacht)
Zu viele Termine und der Tour-Stress sind immer wieder ein großes Thema in der Musik-Branche – kannst du das gut steuern?
Boris Brejcha: „Bei einem neuen, jungen Künstler, der sich in der Materie nicht auskennt, kann es vorkommen, dass man sich überarbeitet oder übernimmt. Aber ich bin so lange dabei und meine Kurve ist so langsam nach oben gegangen, dass ich da mitgewachsen bin und immer alles super für mich entscheiden konnte. Ich bin sehr glücklich, dass es bei mir so gelaufen ist. Das Wichtigste ist aber für mich, ins Studio gehen und Spaß zu haben. Und wenn du mal keinen Spaß hast, dann chillste.“
Wie sehen deine musikalischen Pläne in den nächsten Wochen und Monaten aus?
Boris Brejcha: „In drei Wochen kommt eine neue Single raus, die wir mit einer Sängerin aus Argentinien produziert haben. Sie hat eine superschöne Stimme. Anfang 2024 bringen wir dann mein nächstes Album raus, weil ich einfach zu viele Lieder habe, die auf dem Rechner liegen. Die müssen jetzt alle mal raus.“
Manager nennt Boris Brejcha "Produktions-Maschine"
War es schon immer dein Ziel so viele Songs zu produzieren, damit du eines Tages deine Auftritte wie bei Tomorrowland als komplette Konzerte nur mit eigenen Produktionen gestalten kannst?
Boris Brejcha: „Nein, aber mein Manager sagt immer, ich sei eine Produktions-Maschine. Ich kenne auch fast keinen, der ein Lied in nur 16 Stunden oder in zwei, drei Tagen fertigbekommt. Die meisten wurschteln da ein, zwei Wochen rum. Ich will schon Gas geben, um die Leute jedes Jahr auf Neue mit neuer Musik zu überraschen. Natürlich muss das niemand in der Branche so machen, aber ich bin einfach so. Ich habe es von Anfang an so gemacht und ich liebe es.“
Boris Brejcha auf Konzert-Tour durch Deutschland
Boris Brejcha geht noch 2023 auf Konzert-Tour durch Deutschland - das sind die Termine: Sindelfingen (8. September), Berlin (15. September), Hamburg (22. September). Frankfurt (23. September), München (29. September) und Köln (30. September). Weitere Infos und Tickets dazu gibt es auf der Homepage von Boris Brejcha.
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