Essen. Wenige Werke im öffentlichen Raum wurden so kontrovers diskutiert wie sein „Terminal“ in Bochum. Nun starb der Bildhauer mit 85 Jahren.
Weit mehr noch als andere Bildhauer war Richard Serra ein weit ausgreifender Gestalter des Raums, den er jenseits seiner tonnenschweren, minimalistischen Stahlskulpturen von ungeahnter Leichtigkeit als sein eigentliches Material ansah. Er war ein Raumverwandler, dessen Skulpturen nicht zum bloßen Anschauen gedacht waren, sondern als Teil eines sinnlichen Erlebnisse in mehr als drei Dimensionen. Er zielte unablässig auf „eine neue Art von Erfahrung“. Richard Serra, den Kollegen manchmal in gewollter Vereinfachung als „Poeten des Eisens“ bezeichneten, ist am Dienstag mit 85 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung in seiner Wahlheimat New York gestorben.
Wie sehr sich der Blick der Öffentlichkeit auf Serra gewandelt hat, markieren die zwei Jahrzehnte zwischen 1977 und 1998. Denn bekannt und fast eher berüchtigt als berühmt wurde Serras Name hierzulande durch den heftigen Streit um seine riesige „Terminal“-Skulptur aus vier Corten-Stahlplatten, die sich, rund 100 Tonnen schwer und über zwölf Meter hoch, gegenseitig stabilisieren. Wer den Innenraum zwischen den schräggestellten Platten betritt, sieht oben ein Quadrat von Himmel. Nach ihrer Erstpräsentation auf der Documenta 6 wurde „Terminal“ schräg vorm Bochumer Hauptbahnhof aufgestellt (die Stadt Köln wollte die Skulptur übrigens für ihren Domplatz haben) – und der Streit darum war so heftig wie bei keinem anderen modernen Kunstwerk. Serras europaweitem Galeristen Alexander von Berswordt-Wallrabe, der bei der Entstehung von „Terminal“ eine entscheidende Rolle gespielt hatte, wurden Drohanrufe zuteil und die Autoreifen zerstochen.
Richard Serra wirkte als Assistent von Josef Albers an dessen „Interaction of Color“ mit
Zwei Jahrzehnte später gab es keine logischere Krönung der „Landmarken“-Kunst für die Bergehalden des Reviers als Serras Bramme für die Schurenbachhalde. Die eben nicht nur aus einer 13,5 Zentimeter dicken Stahlplatte in präziser Ost-West-Ausrichtung mit einer Drei-Grad-Neigung nach Süden besteht: Serra bestand auch darauf, dass die Fläche rundum von Bewuchs freigehalten wird, weshalb sie bis heute wie eine Mondlandschaft wirkt und den rauen Charme der Industriekultur ebenso verkörpert wie die stählernen Oberflächen der Serra-Werke. Beim „Terminal“ wurden die Oberflächen übrigens für die „Wiedereinweihung“ 2013 gründlich gesäubert, wobei auch die ursprünglichen Bearbeitungsspuren aus dem Stahlwerk verschwanden – für deren Entfernung sei 1977 keine Zeit mehr gewesen, sagte Serra.
Der 1939 in San Francisco geborene Richard Serra hatte zunächst Literatur studiert, bevor er Anfang der 60er-Jahre an der Yale University als Assistent von Josef Albers an dessen Meilenstein „Interaction of Colors“ mitarbeitete. Serra experimentierte zunächst mit Gummi und Blei, aber auch mit Film und Video. Seit den 70er-Jahren waren und blieben zudem Radierungen und andere Druckgrafik ein Schwerpunkt seiner künstlerischen Arbeit. Doch auf Dauer wurde der Stahl elementar für sein Werk, und das im wahrsten Sinne des Wortes, wie die aktuell noch in der Bochumer „Situation Kunst“ (für deren Errichtung 2010 Serra eine Summe in Höhe seines „Terminal“-Honorars spendete) zu sehende Ausstellung „Work comes out of work“ mit Fotos von Serra-Skulpturen bei der Entstehung im Stahlwerk zeigt.
Richard Serra hatte die grundlegende Idee für das Holocaust-Mahnmal in Berlin
Heute gestalten an mehr als 100 Orten der Welt Serras Skulpturen den Raum, markieren, gliedern, teilen ihn in Barcelona, Dublin, Berlin (vor der Philharmonie) oder Doha, Seattle und Washington. Für das dortige Holocaust Memorial entwarf Serra einen Stahlblock für die Freitreppe an der „Halle der Zeugen“, die den Zivilisationsbruch der Shoah symbolisiert. Auch die grundlegende Idee für das Berliner Holocaust-Mahnmal stammte von Serra, der sich aber verärgert aus der Gestaltung zurückzog. Der 1981 auf der Federal Plaza in New York errichtete „Tilted Arc“-Bogen von Serra wurde allerdings acht Jahre später von der US-Regierung zerstört.
Nirgendwo in der Welt sind allerdings so viele Serra-Werke auf engstem Raum versammelt wie in NRW, vom Garten Haus Esters/Haus Lange in Krefeld bis zur „Axis“, die einen gewichtigen und doch federleichten Kontrapunkt zum Architektur-Trumm der Kunsthalle Bielefeld setzt. Von den Kölner Winkeln in St. Kolumba über das „Umgekehrte Kartenhaus“ am Essener Folkwang-Museum, den „Weitmar“-Bogen am Duisburger Lehmbruck-Museum und die beiden Stahlblöcke in den Ruinen der Sylvesterkapelle in Bochum-Weitmar („O.I.C.“) bis zum Würfel am Rüschhaus in Münster, wo bei den Skulptur.Projekten 1987 auch der Erbdrostenhof von zwei Serra-Stahlplatten punktgenau akzentuiert wurde und Serras monumentaler „Fassbinder“ heute im Hof des Bibelmuseums steht.
1000 Tonnen Stahl von Richard Serra für das Guggenheim Museum in Bilbao
Eine seiner wohl schönsten, beeindruckendsten Rauminstallationen aber beherbergt das Guggenheim-Museum in Bilbao: „Matter of Time“ (Frage der Zeit) besteht aus sieben Stahlskulpturen, die für einen Raum in Frank Gehrys Architektur-Ikone konzipiert wurden. Ein 1000 Tonnen schweres Labyrinth, das völlig angstfrei spüren lässt, wie viele verschiedene Räume ein einziger fassen kann.