Bochum. Der Bildhauer Richard Serra, über dessen „Terminal“ Bochum lange gestritten hat, sah Stahlwerke als sein Atelier an. Eine Fotoschau in Bochum.
Manche Geheimnisse hinter den monumentalen Stahl-Skulpturen von Richard Serra verraten diese Fotografien nicht. Wie das der „Bramme für das Ruhrgebiet“ auf der Schurenbachhalde zwischen Gelsenkirchen und Essen, die Dirk Reinartz auf einer Schneedecke fotografiert hat. Nur zwei Wochen vor Errichtung stellte sich heraus, dass die 67 Tonnen Stahl, aus denen die 15-Meter-Bramme besteht, die falsche Zusammensetzung hatten – das französische Stahlwerk musste neu gießen und machte 700.000 Euro Miese dadurch.
Was man auf den Bildern von Dirk Reinartz, die jetzt die Situation Kunst in Bochum in einer Ausstellung zeigt, aber sieht: den unbändigen Energie-Einsatz, die hochentwickelte Spezialtechnik, aber auch die Hingabe, den Ehrgeiz, mit dem sich die Stahlarbeiter diesen doch sehr besonderen Werkstücken beim Gießen, Schmieden, Walzen widmen.
Henrichshütte Hattingen: Anfangs wurde Richard Serra belächelt, dann respektiert
Anfangs belächelten die Malocher in dem US-Amerikaner Serra den Künstler, dessen „Terminal“ am Hauptbahnhof in Bochum seit 1979 für erregte Diskussionen sorgte. Später respektierten sie ihn als Werkmeister. Und staunten über seine Qualitäts-Ansprüche. Richard Serra, der Anfang dieses Monats 85 Jahre alt geworden ist, hat Stahlwerke als sein „erweitertes Atelier“ begriffen. So etwa die Henrichshütte in Hattingen, wo Serras Skulptur „Berlin Block (for Charlie Chaplin)“ geschmiedet wurde, die heute an der Nationalgalerie in der Hauptstadt steht. Serra drehte zusammen mit Clara Weyergraf sogar einen Film darüber, der den unsagbaren Lärm fühlen lässt, aber auch den Dreck, den Staub, die Hitze spüren lässt. Als Ehefrauen diesen Film aus der „verbotenen Stadt“ gesehen hatten, sollen manche gesagt haben: „Jetzt verstehe ich, warum Du nach der Schicht zu nichts mehr zu gebrauchen bist.“ Für Serra waren diese Produktionsprozesse aber zugleich auch Inspiration für neue Werke: „work comes out of work“, Werke entstehen auch aus der Arbeit heraus.
Ein zweiter Film, der ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist, dokumentiert die vielen Debatten um die stählerne „Terminal“-Skulptur von Richard Serra vor dem Bochumer Hauptbahnhof. Aber auch im Weitmarer Schlosspark rund um die Situation Kunst stehen ja Werke des US-amerikanischen Minimalisten – zwei meditative Stahlblöcke etwa in der Ruine der Sylvesterkapelle unter dem Titel „O. I. C.“(Abkürzung für „Oh, ich sehe“) die Walzstahl-Bramme „TOT“ oder auch die ikonisch den Raum teilenden und eindringliche Raumerfahrungen prägenden Stahlplatten „Circuit“, die in einer Variante auch das Museum of Modern Art in New York besitzt.
Dirk Reinartz ließ nur Handabzüge seiner Aufnahmen zu. Serra widmete ihm „Dirk’s Pod“
Die brillanten, mit einer Höchstzahl an Graustufen arbeitenden Schwarz-Weiß-Bilder von Dirk Reinartz (alles Handabzüge!) sind etwas für Foto-Feinschmecker. In Folgen zeigen sie die Entstehung der „Lemgo Vectors“ in der Henrichshütte vom glühenden Stahlblock bis zur Skulptur im ostwestfälischen Gelände. Richard Serra vertraute dem Fotokünstler und Freund Dirk Reinartz, der zusammen mit Robert Lebeck die Foto-Sprache des „Stern“ geprägt hatte und mit seiner „totenstill“-Serie über ehemalige Konzentrationslager international Eindruck machte, zutiefst. Reinartz fotografierte zurückhaltend, auch die Nahaufnahme von Serras Händen hat so wenig etwas von Star-Glorifizierung wie ein Bild des Bildhauers im räumlichen Gehäuse seiner Werke.
Eine andere Serie verfolgt die Entstehung einer Arbeit für den Novartis-Campus in Basel vom Stahlguss und dem Walzen der Grobbleche in der Dillinger Hütte im Saarland bis zu ihrer schlussendlichen Formgebung bei der Spezialfirma Pickhan in Siegen in den Jahren 2003 und 2004. Als Reinartz dann überraschend starb, widmete Serra ihm die fünf gigantischen Stahl-Hülsen in Schotenform: „Dirk’s Pod“. Ihre Aufstellung fotografierte Reinartz’ Kollege Nic Tenwiggenhorn.
„work comes out of work“: Situation Kunst, Nevelstraße 29c, Bochum (Parkplatz: Schlossstraße 98). Geöffnet: Mi-Fr 14-18 Uhr; Sa/So 12-18 Uhr; Eintritt: 6 €. Bis 12. Mai 2024.