Essen. Nicht leicht, dem Erfinder des Kafkaesken gerecht zu werden – der ARD-Sechsteiler nähert sich ihm mit einer spannenden Erzähltechnik.
Es fängt mit den wichtigsten Fakten stimmig an. Aber dann sagt die Stimme aus dem Off: „Nein, das muss man anders erzählen.“ Das wird sie in diesem Sechsteiler sechs Mal tun, und jedes Mal stimmt es. Es ist die Vielgesichtigkeit, welche die heillos widersprüchliche bürgerliche Existenz Franz Kafkas ausmachte – und die am Ende auch, verarbeitet in einem ebenso hellwachen wie zerrissenen Bewusstsein, eines der bedeutendsten Prosawerke des 20. Jahrhunderts hervorbrachte.
Der Sechsteiler der ARD nach einem Drehbuch von Daniel Kehlmann ist der gelungene Versuch, diesem Leben auf die Spur zu kommen, ohne allzu platte Verlängerungen in sein Werk zu ziehen. Umgekehrt blickt diese Film-Biografie aber aus der kundigen Kenntnis des Werks unter sechs verschiedenen Aspekten auf Kafkas kurzes, nicht einmal 41 Jahre währendes Leben, das am 3. Juni vor 100 Jahren zu Ende ging. Es ist keine perfekte, abschließende Erklärung für das, was uns bis heute über Kafka rätseln lässt – aber wir verstehen ein bisschen besser, worüber wir da rätseln.
Genial: Joel Basman als Kafka
Der erste Versuch, dieses Leben mit Filmbildern und der gewieften, ironiefähigen Stimme aus dem Off von Michael Maertens zu erzählen, beginnt anderthalb Jahrzehnte nach Kafkas Tod: mit jenem Moment, ohne den Kafkas Werk nicht wäre – als sein Freund Max Brod 1939 mit einem Koffer voller unvernichteter Manuskripte vor den Deutschen aus Prag nach Palästina flieht. Der Schaffner spricht die wie zufällig passenden Worte des Türwächters aus der Erzählung „Vor dem Gesetz“. Max Brod, der Kafka erst zu dem Kafka machte, den wir kennen, wird sich vor einem unbarmherzigen Germanisten im Marbacher Literaturarchiv für seine Übergriffigkeit dem Werk gegenüber rechtfertigen, auch diese unbehagliche Seite der Kafka-Überlieferung bleibt nicht ausgespart.
Nein, man muss anders anfangen: Dieser Kniff, der ja auch betont, wie unvollkommen, ja unvollständig jede dieser sechs Annäherungen ist, setzt den Ton. Wir blicken nach Max Brod auch noch durch die erste Geliebte Felice, die Familie, das Büro sowie Milena und Dora, die beiden letzten Geliebten, auf Kafka. Auf den Turner etwa, der sich vegetarisch ernährt und allen Leuten damit auf die Nerven geht, dass er jeden Bissen 40 Mal kaut. Und den all sein Gesundheitsbewusstsein nicht vor der Tuberkulose schützt, an der er sterben wird.
Erzählt ist diese Filmbiografie auf milde Weise kafkaesk: Mit einer Rot-Blau-Ausleuchtung etwa, wenn es um das hochschwierige Verhältnis zum platt-dominanten Vater geht. Dabei weckt Joel Basmans geniale Art zu spielen stellenweise sogar Verständnis für Hermann Kafkas Ungeduld mit dem Sohn. Basman gibt Kafka diese durchsichtige Aura des über den Dingen schwebenden Bubis, der so wirkt, als könne ihn jeder Windhauch umwerfen – andererseits lässt er auch die bis zur Halsstarrigkeit gehende Verbohrtheit in Sachen Literatur plausibel werden, die Kafka zu eigen gewesen sein muss: „Hartnäckigkeit“, so das Bonmot dazu, „kann auch Verzweiflung sein“.
Charly Hübner als Verlags-Fuchs Rowohlt
Die typensichere Besetzung (bis hin zu Charly Hübner als jovial-gemütlicher Verlags-Fuchs Rowohlt oder Verena Altenberger als exaltierte Robert-Musil-Karikatur) ist in diesem Sechsteiler die Voraussetzung dafür, dass manche Sprünge und Drehungen funktionieren: Wenn der Erzähler die Figuren aus dem Rahmen fallen lässt und mit ihnen diskutiert. Wenn die Szenenfolgen assoziativ werden. Wenn welche raunen: „Ich verstehe es nicht, aber ich glaube, es ist gut.“ Wenn es wortspielwitzig bis zur ausgelassenen Albernheit über Schriftsteller wird: „Zwei Leute zum Preis von einem.“ Das alles funktioniert in den farbstarken, fast retrohaft schicken Wohnungseinrichtungen und sonstigen Ausstattungen sehr gut. Und im Gegensatz zum Kafka-Film „Die Herrlichkeit des Lebens“, der vor allem der letzten Liebe des großen Autors nachgeht, ohne seine Werke zu thematisieren, verliert diese Serie bis zur letzten Folge aus der Sicht von Dora Diamant nicht aus dem Auge, warum wir uns eigentlich für diesen Menschen interessieren: Weil seine Texte bis heute unsere Gegenwart kommentieren.