Essen. Der Film um den vor 100 Jahren gestorbenen Autor kreist um die große Liebe, sein letztes, kurzes Lebensglück. Aber nicht um Literatur.
Literatur ist kein Drama. Nichts, was für die Leinwand taugt. Nicht einmal ihre Entstehung, so sehr sie auch von unablässigem Ringen, masochismusverdächtiger Selbstqual und vereinzelten Momenten der Seligkeit begleitet sein mag. Die Kämpfe am Schreibtisch, die Kämpfe im Kopf, das Ausprobieren unzähliger Wörter, bis endlich das richtige gefunden ist: alles nichts für die Kamera.
Sabin Tambrea ist der Kafka in der „Herrlichkeit des Lebens“, Henriette Confurius die Dora Diamant
Aber man wüsste eigentlich doch gern, wie einer auf die Idee kommt, so einen Roman zu schreiben wie den „Proceß“ oder „Das Schloß“, Geschichten wie „Die Verwandlung“, „In der Strafkolonie“ oder „Der Hungerkünstler“. Oder wie einer darauf kommt, diesen eigenwilligen „Brief an den Vater“ zu schreiben und ihn vor seinem Adressaten zu verheimlichen. Wie so einer wurde, was er war, welche Erlebnisse ihn geformt haben: Das wüssten vielleicht sogar die Hunderttausenden gern, die sich seit Jahrzehnten in der Schule Kafka-Deutungen abringen müssen, obwohl die Wissenschaft davon schon so viele hervorgebracht hat, dass sie nach Regalkilometern zählen.
Kafka ist der dunkle Stern in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Niemand hat die Entfremdung als durchgängige Erfahrung der Moderne so dicht erzählt, ihre Dilemmata, ihre Ungerechtigkeit, ihre Tragik. Ob der Begriff „kafkaesk“ wirklich nie so häufig gebraucht wurde wie in unserer Gegenwart, könnte sich unter Umständen erst in Zukunft erweisen – die an unfreiwillige Komik grenzenden Widersprüche und Fallen in Kafkas Texten, der systemische Zynismus und die individuelle Ausweglosigkeit springen uns schließlich in der Realität unentwegt an.
„Die Herrlichkeit des Lebens“: Kafka erzählt Kindern Fabeln
Wer diese Romane und Erzählungen kennt, kommt allzu leicht auf den Gedanken, Kafka müsse ein bedauernswerter Tropf mit einem schlimmen Leben gewesen sein. Und nun wird man ihn ab Donnerstag in der „Herrlichkeit des Lebens“ auf unseren Kino-Leinwänden mit einem Motorrad über den Ostseestrand tuckern sehen, verfolgt von einer Kinderschar, die ihm wenig später an den Lippen hängt, wenn der die heute berühmte „Kleine Fabel“ mit der Maus erzählt, die aus lauter Langeweile in eine Sackgasse aus Ziegelsteinen läuft – und nach der Empfehlung der Katze, doch die Laufrichtung zu ändern, in deren Magen landet. Das mag ein etwas anderer Kafka sein, als die meisten erwarten.
Die Schar aus einem jüdischen Kinderheim wird betreut von Dora Diamant, der letzten und wohl auch größten Liebe in Kafkas kurzem Leben. Er kann ihr nur entsagen – oder muss Dora den endgültigen Verlust ihrer Liebe zumuten: Darin liegt die Tragik, denn er leidet ja schon länger an der Tuberkulose. Aber mit Dora spürt er noch einmal eine krankheitsverträgliche Leichtigkeit des Seins: Sie ignoriert die Ansteckungsgefahr und er die Tbc-Symptome.
„Die Herrlichkeit des Lebens“: Kafka spielt „Toter Mann“ in der Ostsee und findet sein Glück
Henriette Confurius gibt der Dora Diamant eine Liebenswürdigkeit, die Kafkas Zuneigung alles andere als rätselhaft wirken lässt. Ihr Gesicht, ihre Blicke messen das Glück und das Leid dieser Liebe in seinen Extremen aus. Umso vergeigter wirkt die Musik dieses Films über weite Strecken, die das Drama nur verdoppelt (wenn sie nicht gerade mit Charleston und Ragtime Zeitkolorit einstreut), aber nicht differenziert, variiert oder kontrapunktiert.
Sabin Tambrea ist ein mustergültiger Kafka, Henriette Confurius liebenswert bis in die Haarspitzen
Sabin Tambrea ist ein mustergültiger Kafka (bis auf die mangelnde Segelhaftigkeit der Ohren). An seiner Haut, die mit fortschreitender Krankheit immer durchscheinender wird, hat die Maske beste Arbeit geleistet. Tambreas Spiel lässt etwas von der Komik ahnen, zu der Kafka durchaus fähig war, und holt ihn vom Sockel des entrückten Geisteshelden auf den Boden der Tatsachen, von dem er nur als Liebender abhebt. Die seltsame Familienhörigkeit Kafkas, sein schier unstillbarer Schreibdrang, seine zahllosen Marotten – all das bleibt biografischer Dekor, ohne ein differenziertes Charakterbild zu zeichnen.
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Georg Maas und Judith Kaufmann haben einen Film geschaffen, der aus dem großen Stoff dieses Literaten-Lebens die nicht unbedeutende, aber überschaubare Liebesepisode an dessen Schluss herausgreift. Damit leistet der Film weniger als der zugrundeliegende Roman von Michael Kumpfmüller, der immerhin die Innenansichten der Liebenden hier wie dort einfühlsam und voller Individualität ausmalt.
Ob die gewiss nicht einfach zu nutzende Chance, eine Biografie von hinten aufzurollen, die so vieles hinterlassen hat, was uns bis heute angeht, überhaupt gesehen wurde, ist nicht auszumachen. Es bleibt 99 Minuten lang bei einem berührenden, tragischen Liebesdrama voller sauberer, atmosphärischer, eingängiger Bilder.