Essen. Neu im Kino: „Maria Montessori“ ist als Spielfilm-Porträt der großen Pädagogin vom Zeitgeist geprägt. Spart aber dunkle Seiten aus.

Was will die aufgeputzte Frau denn hier? Maria Montessori wundert sich sehr über das Erscheinen der überaus schönen Französin Lily d’Alengy im römischen Arbeiterviertel, in dem Montessori und ihr Lebenspartner Giuseppe Montesano ein Institut für geistig zurückgebliebene Kinder führen. Lily will ihre uneheliche Tochter Tina hierher abschieben, um die sie sich sonst nach dem Tod der Großmutter selbst kümmern müsste.

Leïla Bekhti als Lili d’Alengy und Jasmine Trinca als Maria Montessori.
Leïla Bekhti als Lili d’Alengy und Jasmine Trinca als Maria Montessori. © epd | Neue Visionen Filmverleih

Ihr Ruf als Kokotte in der besten Pariser Gesellschaft ist gefährdet. Also ist sie nach Rom gereist, um Tina, die sie als ihre Nichte ausgibt, in Montessoris Institut dauerhaft unterzubringen. Aus Kapazitätsgründen hat man dort nur einen Platz in der Tagesstätte frei. Notgedrungen muss Madame d’Alengy nun in Rom bleiben, kann sich hier als Französin aber leicht in den besseren Kreisen etablieren. Und allmählich zeigt sich, dass Maria und Lily sich gegenseitig helfen können – wenn sie sich gegen die herrschenden Rollenzuweisungen an Mann und Frau verbünden.

Die Filmbiografien über Marie Curie, Käthe Kruse und Margarete Steiff funktionieren ähnlich

Eine Begegnung, die es nie gab, weil Lily d’Alengy eine erfundene Figur ist, liefert das dramatische Gerüst für ein weiteres zeitgeistgeprägtes Frauenporträt. Sehr offenkundig zielt die französische Filmautorin Léa Todorov in ihrem Spielfilmdebüt darauf ab, die historische Maria Montessori in ihrer Position als akademisch gebildete Frau im patriarchalischen Italien zur Wende des 19. aufs 20. Jahrhundert aus heutigem Blick zu zeigen; ein Ansatz, der auch schon in früheren Filmbiografien genutzt wurde, etwa in den beiden Filmen über Marie Curie oder den deutschen Fernseh-Produktionen über Margarete Steiff und Käthe Kruse. Die Heldin muss sich dabei gegen üble Ressentiments behaupten; negative Seiten in der Montessori-Biografie wie ihre umstrittenen Rassentheorien bleiben ausgespart.

Leïla Bekhti und Jasmine Trinca glänzen als Hauptdarstellerinnen

Todorov arbeitet gut heraus, dass die operativ gleichberechtigte Geschäftsführerin Montessori unentgeltlich arbeiten muss, nur weil sie Frau ist und deshalb abhängig von ihrem männlichen Partner. Der formale Rahmen dafür lässt Wünsche offen: Zu umständlich bewegen sich die Handlungsstränge aufeinander zu, Konflikte und Figuren kippen unversehens aus dem Geschehen, um dann abrupt doch wieder eingebunden zu werden. Dieser ruppigen Dramaturgie und den eher sparsamen Schauwerten stehen mit Leïla Bekhti und Jasmine Trinca in der Titelrolle zwei superbe Hauptdarstellerinnen gegenüber, die ihre Figuren trotz der thesenbedingten Corsage des Drehbuchs mit Leben erwecken können. Es ist kein Zufall, dass die auch dokumentarisch geschulte Todorov die besten Szenen erwirkt, wenn sie die Kamera einfach das unverstellte Spiel der Kinderdarsteller beobachten lässt. Dann ist sie wirklich da, die Nähe zur Montessori-Methode.

In seinen stärksten Szenen lässt „Maria Montessori“ dem Spiel der Kinder freien Lauf.
In seinen stärksten Szenen lässt „Maria Montessori“ dem Spiel der Kinder freien Lauf. © Neue Visionen | Neue Visionen