Essen. Lina Atfah, erste Gewinnerin des Literaturpreises Ruhr, deren Texte aus einer Fremdsprache übersetzt wurden – die Lyrikerin aus Wanne im Porträt.
Die Tränen kullerten Lina Atfah nur so übers Gesicht, in dem neben Freude und Stolz immer noch ein wenig Unglauben geschrieben stand, und wollten auch auf der Bühne nicht aufhören zu kullern: Nachdem die Lyrikerin mit ihrem Gedichtband „Grabtuch aus Schmetterlingen“ bereits im Frühjahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, hatte sie nicht mehr daran geglaubt, dass sie diesmal, beim Finale zum Literaturpreis Ruhr 2023 in der Essener Kreuzeskirche, gewinnen könnte.
Aber gewonnen hat die 1989 im syrischen Salamiyya geborene Lyrikerin mit dem Preis so viel mehr: „Mein Mann und meine Kinder sind schon deutsche, ich bin bei uns zu Hause in Wanne die einzige Ausländerin. Und ich habe von der Stadt Bescheid bekommen, dass mein Termin für die Einbürgerung erst 2025 ist. Aber dieser Preis, das ist meine Einbürgerung – jetzt bin ich Deutsche! Ich schreibe auf Arabisch, aber ich bin eine deutsche Autorin.“
Ihre beiden Zwillinge, die im April zur Welt kamen, waren auch dabei
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Zu ihrem nicht vorweggeahnten Triumph waren sogar Verwandte aus Kanada angereist – und auch ihre beiden Zwillinge, die sie in diesem April zur Welt gebracht hat, erlebten die zweistündige Zeremonie in der Kreuzeskirche im Kinderwagen. Auf die Frage, was sie denn vielleicht mit dem Preisgeld von 15.000 Euro machen würden, entgegnete Atfahs Ehemann Osman Yousufi spontan: „Da müssen wir erst einmal das Finanzamt fragen!“ In der Tat muss die Prämie, weil sie finanzamtlich einem einzelnen Werk zugeordnet werden kann, versteuert werden. Bei Auszeichnungen für mehrere Werke oder ein Lebenswerk ist dies nicht der Fall.
Lina Atfah: „Hier habe ich wirklich Freiheit gefunden!“
Lina Atfah hat mit ihrem Mann 2014 ihr bürgerkriegsgeplagtes Heimatland verlassen – sie hatte bei einem stundenlangen Verhör den Druck des syrischen Geheimdienstes zu spüren bekommen. In Damaskus, wo sie Arabische Literatur studiert hat, schrieb sie für Zeitschriften und Zeitungen. Ihr Mann, heute Physiklehrer (wenn er nicht gerade die Gedichte seiner Frau ins Deutsche überträg), wollte damals in Bochum sein Physik-Studium fortsetzen – und seither wohnen sie im Herner Stadtteil Wanne, weil die Mieten dort für sie eher bezahlbar waren als in Bochum. „Hier in Deutschland“, sagt Lina Atfah, bin ich frei, hier habe ich wirklich Freiheit gefunden!“
Auszeichnungen vom Liberaturpreis bis zum Künstlerdorf Schöppingen
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Der Literaturpreis Ruhr ist nicht die erste Auszeichnung für Lina Atfah, 2017 erhielt sie nach Nominierung durch Nino Haratischwili den Kleinen Hertha-Koenig-Preis; 2019 folgte ein IKF-Arbeitsstipendium für Autorinnen im Ruhrgebiet. 2020 war sie Stipendiatin auf Schloss Wiepersdorf und erhielt für ihren ersten Gedichtband Das „Buch von der fehlenden Ankunft“ den Liberatur-Preis, 2021 erhielt sie ein Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus Edenkoben und für dieses Jahr ein Stipendium für das NRW-Künstlerdorf in Schöppingen.