Berlin. Immer wieder fallen AfD-Politiker mit ausländerfeindlichen Parolen auf. Und dennoch zieht die Partei auch Migranten an. Was steckt dahinter?

Die AfD bekommt Schützenhilfe. Ausgerechnet von Feroz Khan, einem jungen Mann, der nach eigenen Angaben in Frankfurt geboren wurde, nun in Dresden lebt. Und dessen Eltern aus Pakistan stammen. Khan sitzt in einem Podcast und erklärt, warum er die AfD wähle.

Khan ist Influencer, nutzt seine Reichweite für Wahlwerbung. Und möchte ein paar Dinge gerade rücken, zum Beispiel, dass die AfD gar nicht „alle Ausländer abschieben“ wolle. Der Moderator gießt dann noch ein wenig Schärfe dazu. Ein Land müsse „gesund“ sein, „stark“ sein. Und die „Dinge, die einem schaden, müsse man entfernen“. Man lasse sich ja auch im eigenen Haus nicht „zumüllen“.

Teilnehmer einer Demonstration gegen den Bundesparteitag der AfD im sächsischen Riesa stehen an der Protestbühne.
Teilnehmer einer Demonstration gegen den Bundesparteitag der AfD im sächsischen Riesa stehen an der Protestbühne. © dpa | Jan Woitas

Feroz Khan ist nicht allein an der Seite der AfD. Auch Serge Menga, ein Deutsch-Kongolese, der als Kind nach Deutschland geflohen war, traf in der Vergangenheit gemeinsam mit Politikern der rechten Partei auf. Als „Ex-Flüchtling“ sagt er, dass momentan in der Asylpolitik „einiges schieflaufe“. Ein Migrant, der für die AfD wirbt? Wie passt das zusammen?

Für die AfD sind Menschen mit Migrationsgeschichte wie Khan und Menga gut. Dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit begegnen sie mit dem Verweis auf eben diese Unterstützer wie Khan. Die Partei spielt ein Doppelspiel. Immer wieder fallen AfD-Politiker mit migrantenfeindlichen Parolen auf. Rechtsextremist Björn Höcke provozierte schon 2015 mit rassistischen „Thesen“ über „Reproduktionsstrategien“ und sprach vom afrikanischen „Ausbreitungstyp“. Im aktuellen Wahlprogramm greift die Partei den neurechten Kampfbegriff „Remigration“ bewusst auf. Der Bundestagsabgeordnete René Springer befeuert das mit dem Post: „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach.“ Kein Thema bespielt die AfD so stark und scharf wie ihre Anti-Migrations-Rhetorik.

Doch was weniger auffällt: Zugleich spricht die AfD gezielt migrantische Menschen an. Der Fokus ist klar: Es sind Menschen, die sich vom Islam in ihrem Heimatland losgesagt haben, oftmals kommen sie aus dem Iran. Es sind Menschen, die aus konservativen Familien stammen, wie es viele in den Generationen der türkischen Einwanderer gibt. Und es ist die russische Community, die von der AfD gezielt beworben wird. Denn wie keine andere Partei wettert die AfD gegen Hilfen für die Ukraine und gegen Sanktionen gegen Russland. Das zieht bei einem Teil der Deutschrussen.

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Der AfD-Rechtsaußen aus Sachsen, Maximilian Krah, äußerte sich auch in Richtung Ankara wohlwollend, wies dem Autokraten Erdogan „eine Bilanz“ aus, „die sich sehen lassen kann“. Die Unterdrückung der Opposition und der Meinungsfreiheit verschweigt Krah. Seine Worte richten sich wohl auch weniger in Richtung Türkei – und mehr an die Adresse der türkischen Community in Deutschland. „Die AfD wirbt gleichzeitig mit islamfeindlichen Positionen um islamkritische türkeistämmige Stimmen und zeitgleich mit Erdogan-unterstützenden Positionen um nationalistisch-konservative Milieus“, sagt Özgür Özvatan, der zur AfD und migrantische Wählerschaft forscht.

Schon in den 90ern sprachen extremistische Parteien migrantische Milieus an

Die Wahlforschung zeigt: AfD-Anhänger sind überwiegend männlich, ostdeutsch, oft jünger. Darüber, wie Menschen mit Zuwanderergeschichte über die AfD abstimmten, gibt es bisher wenig Studien. Klar ist aber auch: Etwa mit den „Grauen Wölfen“ ist eine große, türkischstämmige rechtsextreme Organisation auch in Deutschland aktiv. Analysen zeigen, dass radikal rechte Narrative in russischsprachigen Medien durchaus verbreitet sind. Schon in den 1990er Jahren versuchten extremistische Parteien, die Migrantengruppe anzusprechen.

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    Und doch ist das Wahlverhalten eher eine wissenschaftliche „Blackbox“. Der Verein Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) hat im vergangenen Jahr 2689 Wahlberechtigte mit und ohne Migrationshintergrund befragt. Die Ergebnisse liegen nun vor, auch unserer Redaktion. Das Zentrum fragte nach Parteineigungen der Menschen, also, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Mensch eine bestimmte Partei wählt. Diese Umfrage sagt nach Einschätzung von Fachleuten mehr aus als Momentaufnahmen der Sonntagsumfragen.

    Interessant ist: 21,6 Prozent aller Befragten können sich vorstellen, die AfD zu wählen. Das ist der niedrigste Wert aller Parteien. Zum Vergleich: 74,4 Prozent sind es für die SPD. Bei den Wahlberechtigten – die deutsche Staatsbürgerschaft ist bei der Bundestagswahl Grundvoraussetzung – mit Bezügen in den arabischen Raum und die Türkei sind die Werte für die AfD noch etwas geringer: 19,7 Prozent. Wenig überraschend kommt die AfD bei Menschen mit Bezug zur ehemaligen Sowjetunion auf einen hohen Wert, fast 30 Prozent.

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    Bisher ist wenig erforscht, warum einige Migrantinnen und Migranten auch die AfD attraktiv finden. © DPA Images | Sebastian Gollnow

    Das zeigt: Die AfD muss auch um Stimmen der Menschen mit Migrationsgeschichte kämpfen. Sie hat es in diesen Milieus nicht leicht. Die Umfrage von DeZIM legt zumindest nahe, dass zwar weniger Menschen eine Neigung zur AfD haben – aber diese Personen entschlossen sind, die in Teilen rechtsextreme Partei auch zu wählen. Umgekehrt ist es offenbar bei der SPD: Sie erzielt hohe Zuneigung – aber landet derzeit bei schlechten Umfragen.

    Früher unterstützten die türkischen Einwanderer oft die SPD. Doch die Bindung an eine Partei ist heute aufgelöst. Das gilt nicht nur für Migrantinnen und Migranten. Experte Özvatan hebt noch etwas hervor: „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Deutschland fühlen sich von den Parteien ignoriert und wenig beachtet.“ Viele hätten in der Vergangenheit erlebt, wie Politiker „alle vier Jahre vor Wahlen vorbeikommen und zuhören – und dann wieder verschwinden“, sagt der Migrationsforscher. „Das hat Frust wachsen lassen. Und dieser Frust kann sich nun auch in der Wahl der AfD entladen.“ Im Erfolg der AfD sieht Özvatan auch ein Versagen der demokratischen Parteien.

    Ein Verein für Migranten in der AfD: ein Feigenblatt?

    In Hessen hat der AfD-Politiker Robert Lambrou einen Verein gegründet. Er nennt ihn „Mit Migrationshintergrund für Deutschland“. Nach eigenen Angaben hat der Verein 146 Mitglieder, mit Familiengeschichten etwa in Griechenland, Afghanistan, Russland, Frankreich, Iran. Fast alle sind auch AfD-Mitglieder. Es gebe „auch unter Migranten Frust über die naive Asylpolitik“ der Regierung, sagt Lambrou, der einen griechischen Vater hat, unserer Redaktion. Er wolle zeigen, dass die AfD nicht ausländerfeindlich sei.

    Özvatan sieht in dem Verein auch „eine Form von Feigenblatt, das die AfD als bürgerlich präsentieren soll“. Die stellvertretende Vorsitzende des Vereins kommt aus Nigeria. Es gibt ein Foto von ihr, mit AfD-Sticker am Hemd, im Hintergrund das Parteilogo. Und an ihrer Seite, Arm in Arm: Rechtsextremist Höcke.

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