Speyer. Wie durch ein Wunder hat die Weihnachtskrippe im Kaiser- und Mariendom zu Speyer den Zweiten Weltkrieg überstanden. Jetzt feiern die wertvollen Figuren der Heiligen Familie ihren 100. Geburtstag.

Der Kaiser- und Mariendom zu Speyer wurde im Jahr 1061 geweiht und ist heute die größte erhaltene romanische Kirche der Welt. Seit dem Jahr 1981 steht der Dom auf der Unesco-Liste des Weltkulturerbes. Allein schon dieser Status sowie das Raumgefühl der Erhabenheit und Souveränität machen dieses Bauwerk ganzjährig zu einem Besuchermagneten. Noch größer wird die Zahl der Besucher, vor allem an Familien mit Kindern, wenn von Heiligabend bis Anfang Februar die große Weihnachtskrippe aufgebaut ist und die Geschichte von Christi Geburt bildhaft macht. Beim diesjährigen Weihnachtsfest kann diese Krippe auf ihr hundertjähriges Bestehen zurückblicken.

Dass die kunsthandwerklich wertvollen Figuren aus der Werkstatt des Bildhauers Otto Zehentbauer auch nach 100 Jahren gut erhalten sind, liegt auch auch an der Tatsache, dass der im Zweiten Weltkrieg im Unterschied zu einigen anderen Kirchen in der Pfalz von Luftangriffen verschont blieb. Anders als bei den Verwüstungen der gesamten Innenausstattung durch französische Revolutionstruppen im Jahr 1794, in deren Folge aus dem Dom ein Viehstall und Materiallager wurde, blieb das imposante Gotteshaus in den großen Kriegen des 20. Jahrhunderts unversehrt.

Weihnachtskrippen für Päpste und Kaiser

Als Stifter der Weihnachtskrippe hat sich Alfons Krezdorn in die Geschichtsbücher eingetragen. Er war Druckereibesitzer und Verleger der „Pfälzer Zeitung“, damals das älteste und bekannteste katholische Organ der Pfalz. Krezdorn gab im Sommer 1924 dem Münchner Bildhauer Otto Zehentbauer (1880-1961) den Auftrag, für den Dom zu Speyer eine „stattliche Weihnachtskrippe mit großem Stall“ aus Holz zu schnitzen. Der beauftragte Krippenbauer hatte seine Fertigkeiten bei Sebastian Osterrieder erworben, der wegen seiner ausdrucksstarken und authentisch wirkenden figürlichen Darstellungen bis heute als „Großmeister“ des Krippenbaus bezeichnet wird. Er hat Weihnachtskrippen für Päpste und Kaiser gefertigt. Osterrieder-Krippen sind in der Pfalz unter anderem noch in Landau (Marienkirche), Deidesheim (Kath. Kirche St. Ulrich), Hettenleidelheim (Kath. Kirche St. Peter) und Herxheim (Kath. Kirche St. Maria Himmelfahrt) zu sehen.

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Die Grundausstattung der Speyerer Domkrippe lieferte Otto Zehentbauer 1924, weitere Elemente folgten 1925 und 1926. Wie Osterrieder verstand es auch der Münchner Professor an der Akademie der Bildenden Künste, seinen Figuren eine beeindruckende Ernsthaftigkeit und Tiefe im Ausdruck von Gesichtern und Haltungen zu verleihen. Wer sich die Domkrippe in Speyer, die ihren Platz im südlichen Seitenschiff, nah am Haupteingang des Doms hat, aufmerksam ansieht, erkennt die besondere Arbeitsweise ihres Schöpfers leicht. So zeigt sich der Verkündigungsengel als kleines Kunstwerk, das durch Anmut, Ernsthaftigkeit, Bedeutsamkeit und Feierlichkeit fasziniert. Gleiches gilt für die Figuren der Heilige Familie, die ebenfalls zur Grundausstattung von Zehentbauer gehören. Allein beim Betrachten der lebensechten Gesichtszüge der Gottesmutter versteht man, warum Zehentbauer in den 1920er-Jahren als Krippenbauer sehr gefragt war. Auch die Weihnachtskrippe im Dom zu Aachen, ausgestattet mit bis zu 1,20 Meter großen Figuren, stammt aus seinem Atelier.

Jesus lag wohl nicht in einer Futterkrippe

Von Pfarrer Thomas Buchert aus Bellheim, seit langem selbst passionierter Krippenbauer und konzeptioneller Berater für die Speyerer Domkrippe, stammen die im orientalischen Stil gehaltene Herberge und die Geburtsgrotte. Diese Geburtsgrotte gleicht den Höhlen, die noch heute bei den Hirtenfeldern von Bethlehem zu sehen sind. Der Bellheimer Krippenspezialist erläutert zu den Figuren Maria und Josef auch die Farbsymbolik ihrer Kleidung: „Maria trägt ein rotes Kleid. Rot steht für die Liebe und das Fühlen. Ihr Mantel ist blau, die Farbe des Glaubens und des Nachdenkens. Auf dem Kopf und den Schultern von Maria liegt ein weißer Schleier. Weiß darf man als Hinweis auf ihre Reinheit verstehen und auf ihr Ja-Wort zum Willen Gottes, der durch sie Mensch werden sollte.“ Der braune Mantel des Josef deute auf dessen Erdverbundenheit hin, und das Grün auf dem damals im Orient auch für Männer üblichen Gewand ist die Farbe der Hoffnung und des guten Willens. In Erwähnung des Jesuskindes korrigiert Pfarrer Buchert den Brauch, das Kind in das Gestell einer Futterkrippe zu legen: In den Felshöhlen des Orients sei es eher üblich gewesen, Kuhlen in den Boden einzulassen und sie als Futtertrog zu nutzen. Und in so einer Kuhle sei wohl auch Jesus nach seiner Geburt gebettet worden.

Die Grundausstattung der Speyerer Domkrippe, wie hier die drei Könige, lieferte Otto Zehentbauer im Jahr 1924.  
Die Grundausstattung der Speyerer Domkrippe, wie hier die drei Könige, lieferte Otto Zehentbauer im Jahr 1924.   © npk-fotoart | Norman Krauß

Nebenbei und nicht ohne erkennbare Wehmut erwähnt der Krippenfreund Buchert, dass es immer schwieriger werde, den Auf- und Abbau von Weihnachtskrippen in Kirchen praktisch zu bewerkstelligen: „Die Zeiten, in denen sich viele Vereins- und Chormitglieder zuverlässig um den Aufbau, die Pflege und den Abbau der Weihnachtskrippen kümmerten, sind leider vorbei. Ob in ländlichen Gebieten oder großen Gotteshäusern wie dem Dom zu Speyer – es ist überall das Gleiche, überall fehlen ehrenamtliche Helfer. Es gibt diesbezüglich viel zu wenig Nachwuchs.“

Restaurierungsarbeiten an Marias Finger

Zurück zur Krippe im Dom: Neben der Heiligen Familie und dem Verkündigungsengel fertigte Zehentbauer für die Speyerer Domkrippe die Heiligen Drei Könige, drei Hirten und die Magd mit dem Wasserkrug. Wobei die gesamte von Zehentbauer gefertigte Ausstattung mit Ausnahme eines Fingers der Gottesmutter bislang ohne Restaurierungsbedarf blieb.

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Mit der Zeit haben die Krippenfiguren im Dom Zuwachs erfahren. Der größte Beitrag kommt dabei von dem Südtiroler Bildhauer Filip Piccolruaz. Er schuf in den Jahren 1996 bis 1999 die Figuren Ochs und Esel und die aus einem einzigen Holzblock wunderbar geschnitzte große Schafgruppe, die vor Mauerresten lagert. Auch der imposante Elefant, der vor allem von Kindern bestaunt wird, sowie ein junger Elefant, ein Dromedar und ein edles Pferd stammen aus dieser Werkstatt.

Auch sei erwähnt, dass einige verlorene Schafe vom Speyerer Bildhauer Karl Wex ersetzt wurden. Auch die Dimensionen der gesamten Krippenlandschaft zeigen sich heute deutlich vergrößert. Beschreiben zeitgenössische Berichte die Maße der Domkrippe von 1924 mit 3x3 Metern, so sind es heute eindrucksvolle 7x4,5 Meter.

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Der Auf- und Abbau sowie die Verwahrung und Pflege dieser Großkrippe mit all ihren Elementen liegen seit langem in den Händen von Domsakristan Markus Belz und seinem Kollegen Domsakristan Michael Flörchinger. Um die Krippe an Heiligabend im Lichterglanz des Doms erstrahlen zu lassen, müssen die Aufbauarbeiten Ende November beginnen, ohne, dass die üblichen Arbeiten von Sakristanen – Messvorbereitung, Gewänder pflegen und richten, Aufsicht und Reinigung im Dom, Schließdienst, etc. – vernachlässigt werden könnten. Markus Belz sieht darin keinen Grund zur Klage. Er arbeitet seit 1990 im Speyerer Dom und war auch schon vorher in seiner Heimatkirche St. Ludwig in Ludwigshafen beim Krippen Auf- und Abbau aktiv. Als schwierige Zeit erlebte er diesbezüglich die Corona-Jahre 2020 und 2021: „Wir konnten wegen Corona hier im Dom keine Krippe aufbauen. Deshalb gaben wir die wichtigen Elemente als Leihgabe an Geschäfte in Speyer zur Ausstellung in deren Schaufenster. Ich war froh, danach alles wieder unversehrt entgegennehmen zu können.“

Die Krippenlandschaft hat sich mit der Zeit von 3x3 Metern auf heute eindrucksvolle 7x4,5 Meter vergrößert. 
Die Krippenlandschaft hat sich mit der Zeit von 3x3 Metern auf heute eindrucksvolle 7x4,5 Meter vergrößert.  © npk-fotoart | Norman Krauß

Während die Domkrippe seit hundert Jahren in guten Händen ist und die Weihnachtsgeschichte unzähligen Familien nah bringen konnte, hat es die Geschichte mit ihrem Spender Alfons Krezdorn weniger gut gemeint. Seine „Pfälzer Zeitung“ (1849 in Annweiler gegründet) wurde wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber den Nationalsozialisten nach 1933 mit anderen Blättern zwangsvereinigt, was ihr Ende bedeutete. Die neuen Machthaber nahmen Alfons Krezdorn 1933 in „Schutzhaft“. Danach verliert sich seine Spur.

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