Düsseldorf. Was versprechen sich russische Geheimdienste von einem Anschlag auf Rheinmetall-Chef Papperger? Und wann wusste dieser von den Plänen?

„Kriege werden betriebswirtschaftlich gewonnen.“ Mit diesem Satz hat Rheinmetall-Chef Armin Papperger nicht nur die militärische Lage in der Ukraine erklärt, sondern indirekt auch das Motiv von Russland, Attentäter auf ihn anzusetzen. Papperger ist Chef des Betriebs, der den größten Einfluss auf den Kriegsverlauf hat. Gelingt es Rheinmetall, seine Produktion von Artilleriemunition, Panzern und anderen Waffen wie geplant hochzufahren, könne das „den Krieg mitentscheiden“, führte Papperger weiter aus, Anfang Mai vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung in Düsseldorf. „Und deswegen mögen mich einige Leute nicht.“

Wenige Tage zuvor hatten Linksextreme Pappergers Gartenhaus im niedersächsischen Hermannsburg in Brand gesteckt. Im Bekennerschreiben forderten sie „Freiheit für Daniela“, gemeint war die RAF Terroristin Daniela Klette. Doch Papperger muss zu diesem Zeitpunkt bereits gewusst haben, dass nicht nur der Terror-Nachwuchs ihn im Visier hatte, sondern auch ein weitaus gefährlicherer Gegner: Wladimir Putin und seine Geheimdienste. Nun ist auch öffentlich bekannt geworden, dass von russischen Geheimdiensten angeheuerte Auftragsmörder dem Rheinmetall-Chef im Urlaub auflauern sollten. Ja, sie warteten bereits.

Auftragsmörder, beschattet von Agenten

„Verdächtige sollen sich sowohl in der Nähe der Düsseldorfer Konzernzentrale als auch an Reisezielen von Papperger im Ausland aufgehalten haben“, schreibt der Spiegel. Es soll sich bei den etwa fünf mutmaßlichen Attentätern um „Proxies“ handeln, um freie Killer, die von russischen Geheimdiensten extra angeheuert wurden. Nach Spiegel-Informationen stammen sie aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion, mindestens einer soll Russe sein. Die Auftragsmörder sollen bei ihren Reisen in Europa wiederum von westlichen Agenten beschattet worden sein. Offenbar wurden sie dennoch laufen gelassen. Die Hinweise sollen nicht ausgereicht haben für Festnahmen.

US-Nachrichtendienste hatten den deutschen Kollegen schon vor Monaten konkrete Hinweise auf Mordpläne gegen den Rüstungsindustriellen gegeben, erfuhr diese Redaktion aus Sicherheitskreisen. Sie seien viel konkreter gewesen als alle anderen Warnungen, die US-Geheimdienste in den vergangenen Jahren gaben, zum Beispiel zu terroristischen Gefahren in Deutschland. Seit Januar, als die Bedrohung besonders akut war, wird Papperger speziell geschützt, seine Reiserouten auch im Inland wurden geändert. Zum Teil seien die Schutz-Maßnahmen so aufwändig wie die für den Kanzler. Zu den Details des Personenschutzes nennt das NRW-Innenministerium keine Details. Auch Rheinmetall beantwortet „grundsätzlich keine Fragen zur Konzernsicherheit“.

Armin Papperger im Werk Unterlüß (Niedersachsen), wo seine Laufbahn bei Rheinmetall begann.
Armin Papperger im Werk Unterlüß (Niedersachsen), wo seine Laufbahn bei Rheinmetall begann. © dpa | Julian Stratenschulte

Der Kreml dagegen weist die Vorwürfe zurück. Es sei sehr schwer, solche Gerüchte zu kommentieren, die ohne seriöse Begründung allein auf irgendwelchen anonymen Quellen basierten, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow vor Journalisten in Moskau. „Das alles wird im Stil weiterer Fakes aufgetischt, daher kann man solche Meldungen nicht ernst nehmen.“

Der US-Sender CNN hatte zuerst über die Anschlagspläne berichtet. Demnach sollen die Russen auch weitere Chefs europäischer Waffenhersteller ins Fadenkreuz genommen haben. Die Pläne seien Teil einer Sabotage- und Einschüchterungskampagne in ganz Europa: In London zum Beispiel sind vier Männer angeklagt, Feuer auf einem Industriegelände gelegt haben sollen, wo Material für die Ukraine lagerte. Der russische Geheimdienst soll sich auch nicht zu schade gewesen sein, das Auto des estnischen Innenministers zu demolieren.

„Wir werden uns nicht einschüchtern lassen.“

Mehrere deutsche Medien haben den Anschlagsplan auf Papperger unabhängig recherchiert – in der Tat wollen die Quellen jeweils nicht genannt werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die natürlich Einblick hat, bestätigte den Bericht nur indirekt: Putins Regime wolle die Unterstützung für die Ukraine unterminieren. Aber wir werden uns nicht einschüchtern lassen.“

Auch Papperger absolvierte seine öffentlichen Auftritte im vergangenen halben Jahr betont gelassen. Offenbar wurde die Bedrohung zuletzt wieder etwas abstrakter eingestuft. Stets begleitet von seinen Personenschützern plauderte er noch Ende Juni beim Berliner Tag der Industrie mit anderen Gästen, einen Drink in der Hand. Er treibt aber auch die Debatte um Waffenlieferungen an, kritisiert die Untätigkeit der Politik, stärkt die Rüstungsindustrie in der Ukraine, auch in dem er dort den Schützenpanzer Lynx bauen lässt. Und er nutzt den neuen Blick der Deutschen auf die Rüstungsindustrie: Wäre es vor Ausbruch des Krieges denkbar gewesen, dass ein Rüstungskonzern Sponsor bei einem Fußball-Bundesligisten wie dem BVB Dortmund wird? Im Dortmunder Stadion ist Pappergers Firma nun präsent, nur auf die Trikots wollte man Rheinmetall doch noch nicht lassen.

Im CNN-Bericht wird Papperger als „weißhaariger Goliath“ beschrieben. Geboren vor 61 Jahren in Niederbayern, studierte er in Duisburg Maschinenbau, und begann 1990 als junger Ingenieur im Qualitätsmanagement von Rheinmetall in Niedersachsen (wo nun seine Gartenlaube abgefackelt wurde). Der Vater zweier Töchter stieg schnell auf, ab 2001 in die Geschäftsführung von Tochtergesellschaften und 2013 zum Vorstandsvorsitzenden von Rheinmetall.

Unbeeindruckt an der Konzernzentrale

Die Rheinmetall-Zentrale in Düsseldorf-Derendorf: Ein ganz normaler Tag?
Die Rheinmetall-Zentrale in Düsseldorf-Derendorf: Ein ganz normaler Tag? © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

An der Düsseldorfer Konzernzentrale gibt man sich ebenso unbeeindruckt von den Mordplänen. Mitarbeiter gehen ein und aus in dem geradlinigen Neubau, der  mit viel Glas und in der Sonne glänzenden Metallteilen ein historisches Gebäude ummantelt. Einige rauchen ihre Pausenzigarette auf der Terrasse. Auch die Portiers sagen: „Alles wie immer“. Besondere Sicherheitsvorkehrungen habe man nicht aufgefahren, die Stimmung unter den Angestellten sei wie üblich. Eine Polizeistreife fährt vorüber.

Vor dem Krieg in der Ukraine hat Rheinmetall etwa 70.000 Schuss Artilleriemunition pro Jahr hergestellt. Bis Ende dieses Jahres will man die Produktion verzehnfachen auf 700.000 Schuss – und das Ziel seien 1,1 Millionen. Damit würden die Düsseldorfer allein schon den Grundbedarf der Ukraine decken. Eine Million Schuss kosten etwa 3,5 bis vier Milliarden Euro. So sieht Papperger das Potenzial, den Umsatz von zuletzt rund 7 Milliarden Euro zu verfünffachen. „Wenn die Ukraine nicht genügend Artillerie-Munition habe, werde sie Russland nicht zurückdrängen können“, hat Papperger gesagt. Darin steckt wieder die Botschaft: Ohne uns geht es nicht.