Essen. Geschlechter-Unterschiede wurden bisher kaum beachtet, sagt Prof. Arzu Oezcelik. Doch sie können entscheiden über Leben und Tod.
- Der Mangel an Organen ist groß. Bei der Verteilung von Spenderlebern-, -nieren, -herzen - oder -lungen ist das Geschlecht von Spender und Empfänger daher kein Kriterium.
- Doch das Geschlecht macht auch in der Transplantationsmedizin einen gewaltigen Unterschied, weisen Studien nach.
- Nicht nur bei der Vergabe von Organen...
Der kleine Unterschied macht auch da einen, wo es selbst Experten nie vermutet hatten: bei der Organtransplantation. Weibliche Spendernieren werden vom Immunsystem des Empfängers oder der Empfängerin offenbar eher abgestoßen als männliche. Und mit Spenderlebern haben Frauen mehr Probleme als Männer. Frauen, die auf dieses Organ warten, müssen zudem oft kränker sein als Männer, bevor sie (ganz oben) auf der Warteliste landen. Das haben Studien nachgewiesen. Erklären kann man es noch nicht, zumindest nicht vollständig.
Lange Zeit haben Mediziner sich einfach nicht gefragt, ob das Geschlecht von Empfänger oder Spender bei Organtransplantationen von Bedeutung ist. „Die Fallzahlen sind zu klein und der Mangel an Organen ist zu groß. Man hat geschaut, ob ein Organ passt; nicht, von wem es stammt“, sagt Prof. Arzu Oezcelik, leitende Viszeralchirurgin am Westdeutschen Zentrum für Organtransplantationen (WZO) der Uniklinik Essen. Natürlich habe eine kleine, zierliche Frau auch früher nicht die Leber eines großen, kräftigen Mannes erhalten – „aber nur, weil das von der Organgröße her nicht passt. Die Allokation erfolgt aufgrund des Organmangels nicht geschlechterspezifisch.“
Gender-Match-Transplantationen funktionieren besser als Gender-Mix
Das sollte aber anders sein, weiß Oezcelik, seit sie zu den „gender-spezifischen Aspekten der Viszeralen Transplantation“ forscht. Im Ratten-Modell etwa untersucht sie zur Zeit, „was auf molekularbiologischer Ebene passiert, wenn man eine weibliche Leber einem männlichen Patienten transplantiert“. Als eine von sehr wenigen Medizinerinnen engagiert sich die Essener Chirurgin zudem im Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW. „Denn das Thema ist völlig unterbewertet, es verdient mehr Aufmerksamkeit. Auch in meinem Bereich, wenn man Patienten optimal behandeln will.“
„Frauen, vor allem kleine, zierliche Frauen, werden im Grunde systematisch benachteiligt.“
3000 Lebern wurden im WZO schon verpflanzt. Dass eine „Gender-Match-Transplantation“ (Spender wie Empfänger haben dasselbe Geschlecht) besser funktioniert als „Gender-Mix“ sei längst unstrittig, sagt Oezcelik, die selbst seit vielen Jahren Lebern transplantiert hat. Doch die Probleme gingen darüber hinaus: „Frauen, vor allem kleine, zierliche Frauen, werden im Grunde systematisch benachteiligt. Denn Organe werden nach dem Meldscore verteilt.“
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Der Meldscore gibt bei Patienten, die auf eine Leber warten, die Dringlichkeit der Transplantation an, den Platz auf der Warteliste. Er beruht auf drei verschiedenen Blutwerten, einer davon ist Kreatinin. „Kreatinin ist aber abhängig von der Muskelmasse. Und Frauen haben davon meist weniger als Männer“, sagt die Expertin, ihr „Baseline-Kreatinin“ sei niedriger. „Frauen müssen also, um es zugespitzt zu sagen, kränker sein als Männer, damit ihr Meldscore steigt.“ Und sie warteten deswegen oft länger. Oezcelik sagt, sie habe zu viele kleine, zierliche Patientinnen erlebt, die es nicht geschafft hätten; die starben, bevor ein passendes Organ für sie gefunden wurde. „Die müssten eigentlich Zusatzpunkte bekommen für den Meldscore, denke ich.“
Frauen sind immunolgisch stärker als Männer: ein Nachteil?
Bereits 2008 forderten Wissenschaftler aus Basel und Heidelberg im Fachmagazin Lancet, dass bei der Zuteilung von Spenderorganen das Geschlecht berücksichtigt werden müsse. Sie hatten zuvor die Daten von fast 200.000 Nieren-Empfängern ausgewertet und festgestellt: Die Transplantation einer weiblichen Niere war seltener erfolgreich als die einer männlichen Niere. Abstoßungsprobleme traten am häufigsten auf, wenn Frauen eine männliche Spenderniere erhalten hatten: Bei ihnen war das Risiko, dass das Organ wieder abgestoßen wurde, im ersten Jahr nach der Operation um elf Prozent höher als bei anderen Spender-Empfänger-Kombinationen.
Frauen, erklärt Oezcelik, seien „immunologisch stärker“ als Männer. Durch Schwangerschaften, in denen sie sich mit dem fremden Gewebe des Fötus auseinandersetzen mussten, oder vielleicht auch, weil immunologische Gene auf dem x-Chromosom verortet sind – Frauen haben davon zwei, Männer nur eins. Und was bei der Infekt-Abwehr ein Vorteil ist, könne bei einer Transplantation ein Nachteil sein. „Aber auch darüber weiß man noch zu wenig, das müsste man noch genauer erforschen.“
Die Zahl der postmortalen Organspender und -spenderinnen ist inzwischen meist gleich, Lebendspender sind indes sehr oft Lebendspenderinnen – was auch mit dem Geschlecht zu tun hat, aber nicht mit Biologie: Frauen sind in großen Teilen der Welt noch immer die Kümmerer, Männer die Versorger. „Vor allem in Middle East und Asien, auch in den ländlichen Gebieten der Türkei, wo ich sechs Jahre lang gearbeitet habe, sind in der Regel die Männer Hauptverdiener der Familie. Sie dürfen nicht ausfallen, scheuen darum das Operationsrisiko“, erläutert Oezcelik. „Gefühlt“, sagt sie, sei es in Deutschland auch nicht anders.
Gendermedizinische Forschung: eine Frauendomäne
Kritisch sieht die Ärztin zudem, dass Medikamenten-Studien früher nicht geschlechterspezifisch erarbeitet wurden, mit männlichen Probanden ohne Hormon-Zyklus sei es eben einfacher gewesen. „Wir wissen inzwischen aber, dass transplantierte Frauen andere, höhere Dosen von Immunsuppressiva benötigen als Männer. Es wäre hilfreich, wenn man endlich dazu große Studien hätte.“
Warum sich noch immer so wenige Pharmaunternehmen und Ärzte mit dem Thema befassen, kann Oezcelik nur vermuten. „Gendermedizinische Forschung“, sagt sie, „wird vor allem von Frauen betrieben. Ich denke, weil viele Männer das immer noch mit Gleichstellung verwechseln, und nicht in diese Ecke gedrängt werden wollen. Tatsächlich ist beides wichtig, hat aber nichts miteinander zu tun.“
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