Berlin. Der Hund ist hyperaktiv und impulsiv. Ob ADHS dahinterstecken kann, wurde in einer neuen Studie untersucht. Die Ergebnisse überraschen.
Viele Hundehalterinnen und Hundehalter kennen das Problem: Der Vierbeiner kommt nur schwer zur Ruhe, lässt sich leicht ablenken und reagiert empfindlich auf Reize von außen. Symptome, die zumindest bei Menschen auf eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (AHDS) hindeuten.
Ob auch Hunde an einer Art von ADHS leiden können, ist in der Forschung noch nicht eindeutig belegt. Forschende der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest sind dieser Frage in einer neuen Studie nachgegangen – und auf überraschende Ergebnisse gestoßen.
ADHS: Diagnose läuft bei Tier und Mensch ähnlich ab
Äußern sich bei einem Menschen Symptome wie Konzentrationsschwäche, Hyperaktivität oder Impulsivität, können Kinder und Erwachsene Fragebögen ausfüllen, um ADHS diagnostizieren zu lassen. Die bisherigen Fragebögen für Hunde zielen jedoch nicht auf die genaue Einordnung der Verhaltensauffälligkeiten ab.
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Auf dieser Grundlage hat das Forschungsteam aus Budapest einen neuen Fragebogen, die Dog ADHD and Functionality Rating Scale, entwickelt und 1.168 Hundebesitzerinnen und -besitzer befragt. Das Ergebnis: Verhaltensauffällige Hunde haben überraschend viele Gemeinsamkeiten mit von ADHS betroffenen Menschen.
Befragt wurden die Herrchen und Frauchen zu ADHS-ähnlichen Verhaltensauffälligkeiten ihres Haustieres, die immer wieder zu Herausforderungen im Alltag führen. Im Fachmagazin „Scientific Reports“ unterteilen die Biologie-Doktorandin Barbara Csibra und ihr Team auf Basis der gesammelten Daten die Verhaltensprobleme der Hunde in drei Kategorien.
ADHS bei Hunden: Das könnten die Symptome sein
- Aufmerksamkeitsstörungen: Sie äußern sich besonders im persönlichen Umgang und der Kommunikation mit den Tieren. Betroffene Hunde haben Probleme damit, sich beim Training auf den Menschen zu konzentrieren, und lernen Kommandos dadurch deutlich langsamer. Außerdem tendieren sie häufig dazu, die gelernten Tricks schneller wieder zu vergessen.
- Hyperaktivität: Das besonders bei jungen Hunden auftretende Symptom zeigt sich laut Report vor allem durch anhaltend unruhiges Verhalten. Den Hunden fällt es trotz eines einstudierten Kommandos oft schwer, stehen oder sitzen zu bleiben. Auch bei Menschen mit ADHS äußert sich die Hyperaktivität durch hohen Bewegungsdrang – das betrifft vor allem Kinder. Es kann sich aber auch durch innere Unruhe und Nervosität bemerkbar machen, was besonders unter Erwachsenen vorkommt.
- Impulsivtät: Diese Kategorie fällt durch die Neigung auf, ohne Weitsicht auf unmittelbare Triebe und Reize zu reagieren. Dazu kommt in einigen Fällen eine fehlende motorische Kontrolle und ungeduldiges Verhalten. Nimmt der Hund zu viele Reize auf einmal wahr, kann das auch zu einer Kurzschlussreaktion führen.
Als Folgeerscheinung dieser Symptome hat das Forschungsteam bei einigen Hunden die Vokalisation beobachtet, also das laute Bellen und Jaulen, auch wenn es dafür keinen besonderen Anlass gibt. Beim Blick auf die Ergebnisse fällt auf: Männliche Hunde scheinen eher dazu zu neigen als weibliche.
Biologe Mark Benecke: „Das ist bei Menschen auch so“
Auch Wissenschaftler Mark Benecke, bekannt als Kriminalbiologe, Autor und Politiker, sieht darin Parallelen zu ADHS bei Menschen. „Das ist bei Menschen auch so“, erklärte er Anfang März im Podcast „Der Benecke“ von Radio Eins. Unter den von ADHS betroffenen Menschen seien es auch eher die Männer, die zu Aggressionen und lauten Worten neigen, so der Biologe.
Die Ergebnisse der Studie deuten außerdem darauf hin, dass die Verhaltensauffälligkeiten bei Hunden eher denen von Erwachsenen nahekommen als denen von Kindern. Das zeige sich laut Benecke auch in der Aufspaltung der Verhaltensmerkmale. Bei Kindern würden Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität oft miteinander einhergehen. „Bei Erwachsenen spaltet sich das dann auf in zwei getrennte Teile. Und das könnte bei Hunden vielleicht auch so sein.“
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Der Vergleich zwischen Hund und Mensch funktioniere unter anderem deshalb, „weil zwei Vorgänge im Gehirn sehr ähnlich sind bei Hunden und bei Menschen, wenn die ADHS haben“, erläuterte Benecke in dem Podcast und verwies unter anderem auf das Dopamin-Belohnungssystem, das bei verhaltensauffälligen Hunden und Mensch mit ADHS eine ähnliche Veränderung aufweise.
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Ob die Vierbeiner nun tatsächlich ADHS bekommen können, ist noch nicht eindeutig geklärt. Bisher wird von Tierärzten nur das Hypersensitivitäts-Hyperaktivitäts-Syndrom (HSHA) diagnostiziert. Die Ergebnisse der Studie haben jedoch überraschend viele Parallelen zum beim Menschen weit erforschten ADHS aufgezeigt. Sollten sich diese Beobachtungen in weiteren Studien bestätigen, könnte das für die Hundepsychologie ein bahnbrechender Fortschritt sein.